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durch das Klima des Landes zu erklären, wenn man
auch heute in der weiteren Verfolgung der von
Nkendel gegebenen Richtlinien bereits so weit ist,
bestimmtere Schlüsse z. 23. aus einer längere Gene
rationen andauernden Gleichmäßigkeit in der so
zialen Stellung, in Beruf, Bildung und Lebens
art von Ahnengruppen ziehen zu können.
Man würde wohl zu gesicherteren Ergebnissen
kommen, wenn man auf eine größere Zahl von
Generationen hin alle Vorfahren kennte, aber durch
die ungleiche und vielfach ungünstige Überlieferung
ist das eben nicht der Fall. Schon in der Reihe der
Ilrurgroßeltern Goethes findet sich eine Lücke, eine
Generation weiter kennen wir statt 32 Ahnen deren
nur noch 25, dann statt 64 nur noch 36, statt 128
nur 47 usw. Wenn wir auch in einem Falle bis
in die 2i. Generation vorgedrungen find, und in
einer Reihe von anderen durch besondere Umstände
sehr günstigen Fällen bis in die 32. oder gar in die
36. Geschlechtsfolge, so hat das nicht allzuviel zu
bedeuten. Es ist äußerst wenig, wenn in mühsamer
Forschung 650 oder 700 Personen anstatt über
2 Millionen Ahnen in 20 Generationen, oder ein
paar hundert mehr bis zu den Zeiten Karls des
Großen gegenüber der ungeheuren Zahl von 8600
Millionen Ahnen, die rechnerisch ein Zeitgenoste
Goethes damals gehabt haben müßte, festgestellt
sind, und dabei find unter der kleinen Zahl der fest
gestellten Personen noch eine ganze Anzahl, die
mehrfach erscheinen. Dieser sogenannte Ahnen
verlust findet sich auf der Ahnentafel Goethes u. a.
bei den Familien v. Bnches, Imhof, May, Orth,
v. Rödelheim, Rotzmnl, v. Sasten, Schaufuß,
Schröder, v. Twern, v. Weitershausen, Werner.
Von einer großen Menge Goethescher Vor
fahren ist kaum mehr als der Name und die nackten
Lebensdaten zu sagen, von vielen wissen wir nicht
einmal den Beruf. Die Mehrzahl gehörte dem
bürgerlichen Stande an. Wir finden viele Hand
werker unter Goethes Ahnen, Schneider und
Barchentweber, Schmiede und Kannengießer,
Becker, M'etzger und Viehhändler, auch Kürschner
nnd Drechsler, dann Fuhrleute, Fischer, Gärtner,
Böttner und Bender, Bierbrauer nnd Weinwirte,
Bartscherer und Balbierer, Müller nnd Stein
metzen, Tuchmacher, Hecker, Krämer, Kaufleute
und Handelsherren. Aus der Menge heben sich ein
Kupferstecher, 2 Maler nnd ein Dichter, ein wirk
licher Poeta Jaureatus, hervor; Geistliche, darunter
auch ein ehemaliger Mönch, und Juristen in ziem
licher Zahl erscheinen neben Schulmeistern, Biblio
thekaren, Ilniverfitätöprofefsoren aller Fakultäten,
fürstlichen Verwaltungsbeamten, Rentmeistern,
Kellern, Räten und Kanzlern. Ratsverwandte
nnd Bürgermeister vieler Städte und kleiner Ge
meinwesen find vertreten, einige Kriegsmänner, ein
paar Ärzte, ein Jägermeister treten auf. Eine
ganze Gruppe von Adelsfamilien, die zum größten
Teil heute nicht mehr existieren, find festzustellen;
eine ziemliche Anzahl von alten tüchtigen Bürger
familien, deren Namen wir in den Goetheschen
Ahnenreihen antreffen, haben später ihren Platz in
mitten des Adels gefunden. Dazu gehören die
v. Cranach, v. Heydwolff, v. Lucanus, die Freiherrn
von Lyncker und v. Rotsmann, die früher Rotzmnl
hießen, die v. Schröter und die Wolff v. Toden-
warth. Von einer anderen sehr merkwürdigen hoch
adeligen Gruppe werden wir gleich hören.
Männer von überragender, weltgeschichtlicher
Bedeutung finden sich unter Goethes Vorfahren
ebenso wie neben dunklen Ehrenmännern eine
Menge von interessanten und tüchtigen Persönlich
keiten, bei denen sich auch lokalgeschichtlich wichtige
Beziehungen verfolgen lasten, sodaß es auch deshalb
einem allgemeineren Interesse begegnen müßte, den
vielen verschlungenen Pfaden einmal zu folgen.
Betrachten wir die deutschen Landschaften, die
durch ihre Söhne und Töchter zum Entstehen eines
Goethe haben beitragen dürfen, so läßt sich im
wesentlichen feststellen, daß fast in gleicher Stärke
drei dem Volkscharakter nach grundverschiedene
deutsche Stämme an der Blutmischung beteiligt
find, die Thüringer, die Franken und die
Hessen. Aus der gesegneten Goldenen Aue
stammt die eigentliche Goethesche Gippe. Ihr Name
kommt schon früh in den Ortschaften der Thüringi
schen Landschaft innerhalb eines Kreises vor, an
besten Peripherie sich die Städtchen Kelbra, Son
dershausen, Kindelbrück und Artern befinden. Als
Stammort dieses Bauerngeschlechts, das sich schlecht
und recht durch die Jahrhunderte durchgeschlagen
hat, ist nun nach den Ergebnissen der neuesten For
schung auf Grund alter heröfeldischer Akten unseres
Marburger Staatsarchivs das Dörfchen Thaleben
nicht weit von Sondershausen anzusehen. Von dort,
wo ein um 1500 geborener Hans Goethe als
ältester bis jetzt bekannt gewordener Träger des
Namens in ziemlichem Wohlstand ig44 und 1552
wohnte, zog die Familie in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts nach Badra, von Badra gegen
1600 nach Berka, von Berka 1636 nach Sanger-
hausen, von da wenig später nach Artern, von
Artern endlich mit Goethes Großvater, dem ersten
und einzigen des Geschlechtes, der durch weite Rei
sen und einen mehrjährigen Aufenthalt in Paris
seinen Gesichtskreis erheblich erweitert hat, 1687
nach Frankfurt. — Nach dem jetzt württembergi-
schen Ländchen Hohenlohe ins Herz von Ostfranken
und nach Crailsheim führen durch die Familien
T e x t 0 r und Walther zahlreiche Fäden zurück.