Full text: Hessenland (43.1932)

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seren Direktor der Kurhessischen Staatsbahn, der 1850 
Assessor in Kassel war und in jenem Briefe die Ver 
hältnisse im Januar 1851 schildert, wie sie sich seit der 
Bequartierung der Häupter der liberalen Opposition 
durch die Strafbayern ergaben. Es war ein lebendiges 
Bild der politisch sehr erregten Zeit. 
Dann sprach Volkswirt Bruno Jacob zur Ge 
schichte des Kasseler Patriziats über die Familie 
Sydenschwanz. Was sie besonders interessant 
macht, ist der Umstand, daß sie zu den am frühesten vor 
kommenden Ratsfamilien zählt und dennoch die Kata 
strophe von 1391 überstand. Sie stammt möglicher 
weise aus der Gegend von Gudensberg, doch ist Siche 
res nicht zu sagen, wie denn überhaupt die Kasseler 
Patriziatsgeschichte reichlich lückenhaft ist und vieles nur 
vermutet werden kann. Oer älteste Sproß ist Ludwig 
Sydenschwanz; dann setzt das Geschlecht durch fünf 
Generationen in der Hauptlinie fort. Oer zweite die 
ser Reihe war Siegelbewahrer des Stadtrats nud in 
einen Prozeß verwickelt, der uns vermuten läßt, daß 
er Fruchthandel betrieb; der dritte des Geschlechts war 
Bürgermeister von Kassel und ist durch sein Testament 
zu Gunsten des Nikolausaltares in der Cyriakus-Kirche 
als ein reicher Kaufmann ausgewiesen. Sein Enkel 
Johannes gehörte gerade in der Krisenzeit (iZgo und 
1396) dem Kasseler Rate an; sein Sohn war der Eidam 
von Heinrich von Hundelshausen, der dem Landgrafen 
Hermann sehr nahe stand, was wohl auch die politische 
Stellung der Familie Sydenschwanz bestimmte. 
Daneben laufen noch weitere Familienmitglieder her, 
so wohl ein Bruder Ludwigs, der zuerst in Kassel nach 
gewiesen ist, in zweiter Ehe aber nach Fritzlar heiratete 
und seine beiden Töchter aus dieser mit dem Gute der 
Mutter ausstattete, als sie ins Ahneburger Kloster 
gingen. Der Nachlaß von seinem Sohne Heinrich gibt 
uns auch Gelegenheit, Grundbesitz der Sydenschwänze 
zu Kassel zu bestimmen: am Möncheberg wohl auf dem 
Gelände der Gastwirtschaft „Bunter Bock". Andere 
jüngere Sprossen des Geschlechtes sind Geistliche in 
Kassel, ihr Besitz zu Wolfganger und klmbach gibt An 
haltspunkte zur Ortsgeschichte und verbindet sie mit 
andern Patriziatsgeschlechtern, die wahrscheinlich mit den 
Familien verschwägert waren. Oer letzte dieser Kleriker 
ist Kanonikus zu St. Martin; in der Hauptlinie aber 
erlischt dag Geschlecht im iZ. Jahrhundert und sein 
Grundbesitz geht an die Adelsfamilie 0. Hebel über. 
Zum Schlüsse sprach Zolldirektor Worin 
ger über den irrig als Metzger bezeichneten Valen 
tin M u h l y aus Ziegenhain, der in dem Gefecht von 
Riebelsdorf (13. November 16^0) den kaiserlichen 
General von Bredow erschossen haben soll, der aber 
nicht Metzger, sondern landgräflicher Offizier gewesen 
und von 1599 bis 1656 als solcher ausgewiesen ist. 
Wie er eigentlich in den Ruf kam, Metzger gewesen zu 
sein, ist noch völlig unklar. Nach dem Beifall der Ver 
sammelten schloß der Vorsitzende dann den inhaltsreichen 
Abend. —c.— 
Vor den in der kulturellen Arbeitsgemeinschaft ver 
einigten Organisationen, denen auch der Geschichtsver 
ein angehört, sprach am Montag, dem 23. dg. Mts. 
Dr. Friedrich Ooldinger über den gotischen 
Kirchenbau. Oer Vorsitzende des Vereins Heimatschutz, 
dkr diesmal in den Vortraggsaal des Hessischen Landes- 
museums geladen hatte, begrüßte die Anwesenden, 
worauf Vortragender begann. 
Ausgehend von einem Worte von Auguste Ro 
din, daß man die Kunst der Gotik nicht restaurieren, 
sondern weiterbilden solle, zeichnete er die Wege, dw 
der Geist genommen hatte, namentlich über Goethe und 
Boisseree zur Erkenntnis des Geistes, der in der Gotik 
wirkt. Er zeichnete weiter die geistigen und seelischen 
Hintergründe, auf denen sich die Entwicklung vollzog, 
namentlich die Einflüsse des Orients, der Kreuzzüge und 
der in jener Zeit entstandenen Orden, die allesamt an 
Vorbilder des vorchristlichen Orients schon anlehnten, 
wie z. B. der Orden der Templer an den Tempel Sa- 
lomonis. Gerade auch für die Stellung jenes Bau 
werkes zu dem geistigen Gehalte der Gotik suchte Vor 
tragender Belege und Zusammenhänge aus der geistigen 
Atmosphäre der verschiedenen Epochen und Kulturkreise 
beizubringen, so, wenn er in dem Werke Salomonis 
einen Zusammenhang von Mikrokosmos und Makro 
kosmos sah, verkörpert in der Antike durch Ägypten 
und Phönizien. — Weiter führte Ooldinger ein in die 
statischen Elemente der gotischen Baukunst, zeigte, wie 
die Wände aufhören, tragende Funktionen zu erfüllen, 
die nun mehr und mehr auf die Pfeiler übergehen, 
während die Wandflächen durch breite Fensteröffnungen 
aufgelöst werden können, wie dann aber auch die Pfeiler 
sich aus der starren Masse in Pfeilerbündel auflösen, 
ja, in einzelnen Fällen sogar in Figuren aufgelöst wer 
den können. Dazu dann die veränderte Technik der Ge 
wölbekappen, bei denen in der Gotik die Rippen des 
Gewölbes tragen und sich gegenseitig stützen. Anhand 
vieler Lichtbilder wurde dies dargetan, dann folgte eine 
Betrachtung über die Chorbildung und die sich ihm an 
legenden Seitenkapellen, die den Umgang auflösen. Über 
haupt zeigte er, wieviel mathematische Mystik in der 
Gotik lebt und wirkt, wie die Ausmaße der Cheops 
pyramide sich wiederfinden in den Ausmaßen des Straß 
burger Münsters, wie der Kreis und der sechsmalige Ab 
trag seines Radius auf ihn sich dann weiter auswirkt 
in der Gestaltung des gotischen Planes, des gotischen 
Ornaments, wie die einzelnen Bauwerke aufgebaut sind 
auf der Vierzahl des Ouadrats, der Dreizahl des Drei 
ecks und wie beide mathematische Formen sich vereinigen 
mit dem Kreis, der auch wieder seine eigenartige Sym 
bolik hat. Alle diese Elemente wirkten sich unter den 
Bauhütten des Mittelalters aus, deren Geheinmisie aus 
uralter Überlieferung und Mystik stammten, die sich 
aber verloren, seit im IZ. Jahrhundert die Organisa 
tion der Werkleute die alten Traditionen überwucherte. 
Nachdem Ooldinger dann die Wirkung der verschie 
denartigen Baugestaltungen der Gotik noch gezeigt 
hatte, ging er ein auf die Stellung des gotischen Domes 
inmitten der Stadt, der Burg. Hier war der Mensch 
zusammengedrängt als Maste auf engem Raum, der 
Natur entfremdet, in der noch der Mensch der vorauf 
gehenden Zeit gelebt, in die er die Münster der Romantik 
gestellt. Dafür einen Ausgleich zu schaffen durch jene 
Dome, die aus der Enge der Stadt gen Himmel streb 
ten, war die Gotik berufen, und nur, zeigte das ganz be 
sonders die Gestaltung des Turmes des Freiburger 
Münsters, dessen Spitze sich in Licht aufzulösen jcheint. 
Auch wollte Vortragender die Dämonen des Glaubens 
jener Tage wiederfinden gebannt in die Wasserspeier der 
Dome. Anfang und Ende der Lichtbilderreihe bezeich 
neten die beiden Statuen, Kirche und Synagoge, vom 
Münster zu Straßburg. Sie umschließen gewisser 
maßen die Geheimnisse der gotischen Form, ihres Geistes, 
des Geistes, aus dem die Gotik geboren wurde, ünd 
mit der frohen Hoffnung, daß aus dem mechanisierten 
Chaos unserer Tage sich auch wieder der Geist neu er 
heben werde und überzeitlich dokumentieren, entließ Vor 
tragender das durch reichen Beifall dankende Publikum. 
LILU —C—
	        
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