Full text: Hessenland (43.1932)

180 
hat sie sich nach Vokalisierung der Stammsilbe er 
halten, wie in der französischen Seine (Sequana); 
bei der von Haus aus gleichnamigen Sieg (§igcma 
aus Sequana) dagegen, ferner bei der Schwalm 
(Swalmana) und bei der Ohm (Amana, vergl. 
Amöneburg) ist sie später abgestoßen worden, wie 
eben auch bei der Edev—Adrana. 
Woher kommt aber das e für altes a in der 
Stammsilbe? Ein eigentliches Umlauts -6 kann -es 
nicht sein, denn dieses wird nur durch ein i resp. j 
der folgenden Silbe bewirkt. Der Übergang von 
a zu e muß also das sein, was wir einen spontanen 
Lautwandel nennen. "Wir kommen der Erklärung 
erst näher, wenn wir uns die nächstverwandten 
Flußnamen angesehen haben. Da treffen wir ein 
mal auf streng hochdeutschem Gebiete, in Oberöster 
reich, die Atter, welche dem Attersee (althochdeutsch 
Atar8eo) den Namen gegeben hat; auch hier ist 
eine Endung abgefallen, wie wir bald sehen werden. 
Und dann auf niederdeutschem Boden, im alten 
Sachsenlande: i. gar nicht weit von der großen noch 
eine kleine Eder: bei Eißen nördlich von Marburg; 
2. einen bis vor kurzem namenlosen kleinen Wasser 
lauf, einen Seitenbach links der Gande unterhalb 
Gandersheim, dem die Heimatskundler kürzlich den 
alten Namen „Eterna" zurückgegeben haben: rich 
tiger wäre Ederna, welche Schreibung sich auch 
schon im ii. Jahrhundert findet. 
Das Stammwort, welches in Adrana und 
Ederna mit einer schweren Ableitung versehen 
wurde, in Atter aber nur allein mit einem Vokali 
schen Suffix ausgestattet war (germ. Adro), das 
früh abfiel, ist ein Beiwort mit der Bedeutung 
„rasch, schnell"; althochdeutsch atar, altsächsisch 
ador (im Angelsächsischen nur als Adverb ädre 
erhalten). Das hat schon der große Altertums 
forscher Karl Rüullenhoff erkannt und damit der 
Eder ihren deutschen Namen gesichert. Das 6 für 
a aber ist eine sächsische Eigentümlichkeit oder viel 
mehr eine „ingväonische", weil sie den Sachsen des 
Festlandes mit den Friesen und Angelsachsen ge 
meinsam ist: soweit die Sachsen von der Unterelbe 
nach Süden vorgedrungen sind (in immer mehr sich 
verdünnender Nlenge), haben sie, wie von andern 
Spracheigentümlichkeiten, Spuren dieser ihnen 
eigenen Klangerhöhung des a zu 6 (ä) hinterlassen; 
wir haben beides nebeneinander etwa in den Orts 
namen Odagsen (Osdageshusen) und Hardegsen 
(Heridegeshusen). Da nun ein sächsischer Vor 
stoß nur zum Oberlauf der Eder erfolgt ist, dürfen 
wir annehmen, daß die Umlautung von Adrana 
zu Ederna dort aufkam und sich dann flußabwärts 
verbreitete. 
Neben dem oberösterreichischen Atter hat aber 
unsere Eder (und ihre kleinen Geschwister) noch 
einen vornehmen Verwandten im Osten Deutsch 
lands: die Ode r! 
Eben als mein Ncanufkript an diesem Punkte 
angelangt war und ich noch schwankte, ob und in 
welcher Form ich den Lesern des „Hefsenlandes" 
diese immerhin, wie mir schien, gewagte Hypothese 
vorsetzen sollte, erhielt ich von meinem Kollegen, 
dem Prager Professor Erich Gierach, einem 
der wissenschaftlichen Führer der Sudetendeutschen, 
seinen wertvollen Aufsatz „Die Oder" aus der Fest 
schrift „Altvater" (anläßlich des 50jährigen Be 
stehens der Sudetengebirgs-Vereine 1932), mit 
dem er mir auf halbem Wege entgegenkommt und 
mir den Nkut und die Stützen gibt, weiter zu 
schreiben. Der Einfachheit halber habe ich mich 
mehrfach geradezu seines Wortlauts bedient. 
Die frühste Erwähnung der Oder finden wir 
nicht gar lange nach der ersten Nennung der Eder 
bei dem alexandrinischen Geographen und Astro 
nomen Ptolemäns; aber hier heißt der Fluß Wia- 
dna, und von da einen Weg zu Oder zu suchen, 
ist vergebliche INühe. Wir haben es aber auch 
nicht nötig, denn bei Flußnamen ist, ganz abgesehen 
von den mundartlichen Verschiedenheiten, die wir 
bei Rhein—Rhin, Lahn—Löhne, Eder!—Edder ken 
nen gelernt haben, echte und rechte Zweinamigkeit 
oder ÜÜehrnamigkeit eine ganz geläufige Erschei 
nung. Sie kommt nicht nur bei großen Flüssen 
vor, wo man sie dann auf die verschiedenen Na 
tionen und Sprachen der Anwohner zurückführen 
kann (z. B. Donau—Ister), sondern auch bei ganz 
kleinen Wasserläufen; so haben wir in Hessen einen 
Bach, der vom Kaufungerwalde rechts zur Loste 
(Eo8mana) geht und auf seinem kaum eine RÜeile 
langen Lauf mit den beiden uralten Namen Notreff 
und Wettmann wechselt. 
Für die Oder nun treten nach der früh ver 
schwindenden Wiadua auf die Namensformen 
Odagra, Adora, Oddara, Odora, Odera. 
Diese lassen sich zunächst auf eine slawische Form 
Odra zurückführen, und ihr würde ein germanisches 
Adro („die Schnelle") entsprechen, jenes Wort 
also, das wir als die Vorstufe von Atter feststellten 
und das in Adrana eine Erweiterung erfahren hat. 
Im Slawischen wird das germanische betonte a bei 
Herübernahme von Lehnwörtern, Eigennamen usw. 
regelrecht zu o, vgl. z. B. Nowgorod, Nowogrod, 
deutsch Naugarten. 
Vor den Slawen haben in Ostdeutschland über 
all Germanen gewohnt, speziell in dem Oderland 
Schlesien die Wandalen, und nach dem Abzug der 
Hauptmasse dieses Volkes haben die Slawen von 
den Zurückbleibenden den Flußnamen Adro mit 
lautentsprechender Umformung als Odra über 
nommen. Diese Vermutung, auf die ich ganz vor
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.