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berg neu erbaute Villa überzusiedeln. 1887 er
warb Henschel noch den im Westen benachbarten
Peilertschen Felsenkeller hinzu. Nach zahlreichen
Um- und Neubauten war die Fabrikanlage erheb
lich erweitert, so 187,3 durch die Hammerschmiede
in Rothenditmold. Henschel wurde 1868 zum
Kommerzienrat, 1873 zum Geheimen Kommerzien
rat ernannt. Den preußischen Erbadel, den Wil
helm II. ihm zu verleihen beabsichtigte, lehnte er
wiederholt ab. Während der Kaisermanöver 1878
war Feldmarschall Graf Moltke Gast im Hause
Henschel, das noch verschiedene Briefe von ihm
aufbewahrt. Heuschels Berufung in das preußische
Herrenhaus erreichte den Lebenden nicht mehr,
1894 erlag er einer Lungenentzündung. Seine
Witwe Sophie Henschel wurde Allein-
inhaberin der Firma Henschel und Sohn, die sie
mit Unterstützung des Baurats Schaffer mit gro
ßer Energie weiterführte und ungeschmälert ihrem
einzigen Sohn Karl übergab. Groß ist die Zahl
der von ihr geschaffenen TFohlfahrtSeinrichtungen
für ihre Arbeiter und der Mällionenstiftungen; es
sei erinnert an die von ihr ins Leben gerufene
WohnungS-, Kranken- und Kinderfürsorge, die
Gründung der Lungenheilstätte Oberkaufungen
(1900), des Krankenhauses vom Roten Kreuz
( 1908), der Stiftung des Everdingschen Brun
nens vor dem Rathaus und des Hallenschwimm
bades. Auch sie hat den ihr dreimal angebotenen
preußischen erblichen Adel abgelehnt. Sie beschloß
ihr segensreiches Leben 1915. Von ihren Töchtern
vermählte sich Erna mit dem späteren, 1913 zu
Hoof verstorbenen Oberstleutnant Ernst v. Kiecke
busch, Luise mit dem jetzigen Präsidenten der Land-
wirtschaftökammer Kammerherrn Alexander von
Keudell auf Schloß Wolfsbrunn bei Efchwege
und Elisabeth (*j‘ 1916) mit dem 1914 in Berlin
verstorbenen Oberstleutnant Paul v. Schelling,
Sohn des preußischen Iustizministers und Enkel
des bekannten Philosophen.
Ihr einziger Sohn Karl Henschel, 1873
geboren, besuchte die Technischen Hochschulen zu
Karlsruhe und Darmstadt, trat dann in die unter
Leitung seiner Nkutter stehende Fabrik ein, deren
Teilhaber er 1900 wurde. Zwei Jahre zuvor
hatte er sich mit Wilhelmine Martin, Tochter
eines Londoner Bankiers, verheiratet. In den
Jahren 1901 —1904 wurde durch Ankauf von
Nachbargrundstücken fast die gesamte Anlage des
2 Vcrkes neu umgestellt. So konnte die Firma an
dem ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung
jener Jahre teilnehmen. 1901 hatte Karl Henschel
das Grundstück des Eistengarthenschen Felsenkellers
neben der Villa der Mutter erworben und hier
1903 jenes Haus Henschel erbaut, dessen Abbruch
als Zeichen der Zeit sich in eben diesen Tagen voll
zieht. Um von den Rohlieferanten unabhängig zu
werden, wurde 1904 die Heinrichshütte bei Hat
tingen erworben. 1909 schloß Karl Henschel eine
zweite Ehe mit Hildegard v. Scheffer, der in Kas
sel geborenen Tochter des einer althessischen Fa
milie angehörenden Kommandierenden Generals des
ii. Armeekorps Freiherrn v. Scheffer-Boyadel.
1905 erhielt er den Charakter als preußischer Kom
merzienrat, 1910 bei der Hundertjahrfeier der
Firma und gleichzeitigen Vollendung der 10 000.
Lokomotive wurde er zum Geheimen Kommerzienrat
ernannt, während ihm die Technische Hochschule zu
Darmstadt die Würde des Ehrendoktors verlieh.
1912 wurde er nach dem Ausscheiden der Mutter
Alleininhaber. Mät gewaltigen Schritten ging es
vorwärts, in der günstigsten Zeit wurden in Kassel
jährlich 1200, also täglich 4 Lokomotiven, fertig
gestellt. Die größten Anforderungen stellte der
Weltkrieg an die Firma. In den ersten Kriegs
jahren wurden Munitionöwagen und Geschosse
hergestellt, darunter auch solche für die „dicke
Berta", das Stück zu 1400—1500 Goldmark.
Seit 1917 erfolgte die Anfertigung von Geschützen
und der Umbau von Beutegeschützen; hierfür
wurde im Mittelfeld ein neues Werk mit Schieß
platz errichtet. Erinnerlich ist noch der Besuch des
letzten Kaisers in der „Henschelei" am 31. August
1918. Der unglückliche Ausgang des Krieges
machte ausgedehnte Umstellungen des Werkes not
wendig, das 1921 die Rechtsform einer G. m. b. H.
erhielt. Im selben Jahr erfolgte der Abschluß
einer Interessengemeinschaft mit der Essener Stein-
kohlenbergwerks-A.G. und der Ankauf einiger
Erzgruben im Siegerland und in Thüringen. Be
sonderes Interesse brachte Karl Henschel dem Bau
von Werkwohnungen entgegen, sodaß heute allein
in Kassel etwa 1200 Beamten- und Arbeiterwoh
nungen vorhanden sind. 1911 wurde die Hen-
schelsche Konsumanstalt gegründet, 1912 der
Turnverein und die Musikvereinigung der Hen-
schelwerke. Nach schwerem Leiden raffte der Tod
1924 den tatkräftigen Mann hinweg. Mät ihm
sank der einzige männliche Vertreter der 13. Gene
ration dahin. Aus seiner ersten Ehe gingen zwei
Söhne hervor, Oskar (1899) und Robert (1900),
aus zweiter Ehe zwei Söhne, Reinhard (1910)
und Karl-Anton (1912) sowie zwei Töchter, So
phie und Maria.
Der älteste Sohn Oskar Henschel nahm
als Fähnrich am Weltkrieg teil, arbeitete dann in
den ^Werkstätten der väterlichen Fabrik, studierte
in Darmstadt, Mmnchen und Frankfurt, war Vo
lontär an der Bleichröderfchen Bank in Berlin
und trat 1924 in die Henfchelwerke ein, wo er