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gräflichen Hauses und seiner Nebenlinien, sowie
der thüringischen Landgrafen, zur Geschichte einer
Anzahl hessischer Landgrafen. Ferner sammelten
die Schminckes Nachrichten zur hessischen Gelehr
ten-, Kirchengerichte, Statistik und älteren Geo
graphie einschließlich der Wüstungen. Von ganz
besonderem Werte stnd auch die Kollektaneen zur
Geschichte hesstscher Adelsfamilien und namentlich
das Diplomatarium Hassiae, eine streng chrono
logisch geordnete Sammlung von Urkundenabschrif
ten aus der Zeit von 774 bis 178z; ste umfaßt 12
starke Foliobände.
Neben dem jüngeren Schmincke wirkte an der
Bibliothek der schon genannte Friedrich Wilhelm
Strieder. Dieser Mann war aus ganz an
derem Holze geschnitzt. Schon in frühester Jugend
hatten die Bücher zu seiner täglichen Umgebung
gehört, denn er war 1739 als Sohn eines Univer-
sttätsbuchhändlerö in Rinteln geboren. Da der
Vater aber dem Trünke ergeben war, ging sein
Geschäft zurück, und Strieder war es nicht mög
lich, seine wissenschaftliche Vorbildung zu einem
richtigen Abschlüsse zu bringen. Er trat daher
1758 als Fähnrich in die hessische Armee bei dem
Gräffendorfschen Regiment ein. Ende 1765 erhielt
er die frei gewordene Stelle des Registrators bei
der Kasseler Landesbibliothek. Dieser hat er fast
ein halbes Jahrhundert seine unschätzbaren Dienste
gewidmet, von Stufe zu Stufe steigend. 1786
wird er Erster Bibliothekar, erhält nach zwei Jah
ren den Titel Hofrat und Hofbibliothekar, und
nach abermals zwei Jahren, 1790, wird er auch
Geheimer Kabinettsarchivar. Als solcher ordnete
er die Hofbibliothek und das Geheime Kabinetts
archiv auf Schloß Wilhelmshöhe. Der Mißwir
schaft der Luchet und Nerciat stemmte er sich ebenso
mutig wie vergeblich entgegen; bei seiner trotz allet
Tüchtigkeit untergeordneten Stellung hörte man
nicht auf ihn, und daß unter solchen Umständen für
ihn an einen Aufstieg nicht zu denken war, ist selbst
verständlich. Seine rein dienstliche Tätigkeit, so
unschätzbar ste an sich auch sein mag, gehört nicht
hierher*). Aber in jener Zeit hat der wackere, treu
deutsche lMann so recht das Franzosentum hassen
gelernt. Und als sein geliebter Landesherr Kur
fürst Wilhelm I. 1806 durch Napoleon entthront
nnd Kastel die Hauptstadt des neugeschaffenen Kö
nigreichs Westfalen unter Napoleons jüngstem
Bruder Jerome wurde, erhielt Strieder seine Ent
lastung. Er hat während der ganzen siebenjährigen
l") Darüber vgl. Wilhelm Hapf: Die Landesbibliothek
Kassel in ibrer geschichtlichen Entwicklung 1580—1930,
Marburg 1930, S. 40 u. 45 ff- (Teil 1 der Festschrift z»m
330 jäbr. Jubiläum der Landesbibliothek: Die Landesbiblio-
thek Kassel 1380—1930.)
Fremdherrschaft seine in der oberen Karlöstraße ge
legene Wohnung nicht mehr verlassen. Wie mag
der alte Mann aufgejubelt haben, als der ange
stammte Landesherr wieder die Zügel der Regie
rung ergreifen konnte.' Der Kurfürst ernannte den
Hochbetagten Anfang 1614 wieder zum Direktor
der Landesbibliothek in Kastel und der Hofbiblio
thek und des Geheimen KabinettSarchivS auf T8il-
helmshöhe, und als solcher ist er am 13. Oktober
1815 im 77. Lebensjahre auch gestorben. — Daß
eine Persönlichkeit von so hohem sittlichen Ernste,
von solch unermüdlicher Arbeitskraft und so star
kem wissenschaftlichen Streben wie Strieder, der
alles, was er geworden war, lediglich sich selbst zu
verdanken hatte, daß ein solcher Mann auch pein
lich genaue und wissenschaftliche Arbeit leistete, ist
so selbstverständlich, daß man kein Wort darüber
zu verlieren braucht. Außer kleineren Arbeiten zur
hessischen MAitärgeschichte und einem Genealogi
schen Handbuche von dem fürstlichen Hause Hessen,
das zuerst 1780 und nochmals umgearbeitet 1804
erschien, veröffentlichte Strieder seine berühmte
„Grundlage zu einer hessischen Gelehrten- und
Schriftstellergeschichte", mit der er sich ein unver
gängliches Denkmal gesetzt hat. Das Werk be
handelt in Form von alphabetisch angeordneten
Biographien alle Hessen von der Reformation bis
1806, die sich durch wissenschaftliche Arbeiten
einen Namen gemacht haben. In den Jahren
1781 bis 1806 gab Strieder selbst 13 Bände her
aus. Wachler, Justi und Gerland schlossen noch
einige weitere Bände an, die das Monumental-
werk nach Strieders Tode über 1806 hinaus bis
in die neuere Zeit fortsetzten. — Überdies aber hat
der treffliche Strieder auch noch sehr bedeutsame
handschriftliche Sammlungen zur Geschichte hes
sischer Adels- und bürgerlicher Familien hinter
lassen, die leider nicht ganz vollständig in den Besitz
der Landesbibliothek gelangt stnd, aber auch so für
jeden, der sich mit hesstscher Familiengeschichte be
faßt, unumgänglich stnd. Von seinen übrigen M'a-
nuskripten muß an dieser Stelle wenigstens sein
kurzer Abriß der Geschichte der Landesbibliothek er
wähnt werden, der bis zum Jahre 1783 reicht.
Aus der neuesten Zeit stnd schließlich noch die
Kollektaneen des 1922 verstorbenen langjährigen
Bibliothekars und Direktors der Landesbibliothek
Hugo Brunner zu erwähnen. Sie stellen eine
riesige Sammlung von heimatkundlichem M'ate-
rial dar, allerdings nirgends abgeschlossen, aber
doch als Anfänge zu eingehenderer Forschung sehr
wohl zu brauchen. Brunner notierte so ungefähr
alles, was ihm irgendwie bemerkenswert schien,
mochte es nun die allgemeine Landes- oder die Orts
geschichte, die Familien- oder die Kulturgeschichte,