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eine verheiratete Droste-Hülshoff aus INünster
mit zwei Mädchen, wovon die älteste Jenny was
recht angenehmes und liebes hatte und dem Rickchen
Reichardt sTochter des Kapellmeisters Reichardt
aus Kastell außerordentlich ähnlich war, dann zwei
Jungen sBrüder von Jenny von Drostei, der
älteste von etwa 14 Jahren hatte fast ganz dem
Riebeling sFreund der Brüder Grimms sein
Gesicht; dann die Metternich sDorothea Wil
helmine geb. von Haxthausens Frau des hiesigen
Präfekten mit 3 Kindern und noch drei Fräulein
von Haxthausen, wovon ich eine Caroline noch nicht
gekannt hatte. Ich habe die Zeit angenehm zuge
bracht, Märchen, Lieder und Sagen, Sprüche
u. s. w. wißen sie die Menge; ich habe eine ganz
gute Partie aufgeschrieben, wie andere der August,
die er ins reine noch schreiben will; selbst die kleine
Elwine Metternich haben mir erzählt, auch wieder
die Localsage vom Kaiser Rotbarth. Sodann ist
ein Schneider und ein Dienstmädchen abgehört
worden. Ich müßte etwa 4 —6 Wochen daseyn,
um alles ruhig und genau aufschreiben zu können,
eins stört das andere mit Beßerwißen, Gespräch
dazwischen u. s. w. Die Fräulein aus dem Müu-
sterland wußten am meisten, besonders die jüngste
sAnnette von Droste-Hülshoffj, es ist schade, daß
sie etwas vordringliches und unangenehmes in ihrem
Wesen hat, es war nicht gut mit ihr fertig werden;
sie ist mit 7 Monat aus die 2 Lelt gekommen und
hat so durchaus etwas frühreifes bei vielen An
lagen. Sie wollte durchaus brilliren und kam von
einem ins andere; doch hat sie mir fest versprochen,
alles aufzuschreiben was sie noch wiße und nachzu
schicken. Die andere (Jenny von Droste-Hülshoffs
ist ganz das Gegenteil, sanft und still; die hat mir
versprochen zu sorgen, daß sie Wort hält. Morgen
und Nachmittag ward so oft es anging geschrieben,
Abends gingen wir in den kleinen Park und einen
anliegenden schönen Wald, nach Tisch aber Abends
ward gesungen bis in die Nacht, die Brüder bliesen
Waldhörner und August die Flöte und die 9 Näd-
chen sangen; einige Volkslieder haben außerordent
lich schöne Melodien."
Zum Dank für ihre freundliche Unterstützung
widmete er Jenny von Droste-Hülshoff bei seinem
Abschied von Bökendorf am 23. Juli 1813 ein
von ihm selbst verfaßtes Märchen. Von den Da
men des Bökendorfer Märchenkreises hat Jenny
von Droste Wilhelm Grimm am nächsten gestan
den. Es war mehr als nur das gemeinsame Inter
esse an den Märchensammlungen, was die beiden
verband. „Wir haben uns nicht viel gesehen",
schreibt er einmal an sie, „und doch fühle ich, daß
wir uns näher bekannt find, als andere, die stch
täglich sehen." Von ihrem innigen FreundschaftS-
verhältniö zeugen seine an Jenny gerichteten geist
und gemütvollen Briefe aus den Jahren 1814 bis
1833, insgesamt 25, die sich im Grimmschrank der
Preußischen Staatsbibliothek befinden und zu dem
Schönsten und Erhebendsten gehören, was die
Grimmliteratur aufzuweisen hat. Ebendort be
finden sich unter den Briefen der Familie Haxt
hausen drei Briefe Jenny's an Wilhelm Grimm
aus den Jahren 1814, 1843 und 1846. Infolge
der Unvollständigkeit der Gegenbriefe war es bis
her nicht möglich, einen tieferen Einblick in das
freundschaftliche Verhältnis der beiden zu gewin
nen, denn manche Andeutungen in den Briefen
Wilhelmö's blieben ungeklärt.
Inzwischen ist eö Dr. K. Schulte-Kem-
minghausen in Münster, der sich bereits
durch einen Beitrag „Aus dem Westfälischen
Freundeskreis der Brüder Grimm" *) als Grimm
forscher vorteilhaft bekannt gemacht hat, gelungen,
die Gegenbriefe Jenny's in dem Archiv der Droste-
Hülshoff'schen Familienstiftung in Stapel aufzu
finden (wo sich auch die Tagebuchaufzeichnungen
Jenny's und mehrere Bilder von Ludwig Emil
Grimm befinden) und mit den oben bezeichneten
Briefen Wilhelm Grimm's zusammen herauszu
geben^). Abgesehen von ihrem wistenschaftlichen
Wert, interessiert die sorgfältig vorbereitete Aus
gabe durch die rein menschlichen Vorzüge und Cha
raktereigenschaften, welche die Briefschreiber offen
baren. Besonders Wilhelm zeigt sich hier von einer
seltenen Tiefe des Gemütes, die wir nur gelegentlich
in andern Briefen finden. Aber auch Jenny's Cha
rakter erscheint hier von einer so angenehmen Seite,
daß wir den Briefwechsel zu dem Besten, was die
Briefliteratur auszuweisen hat, rechnen dürfen.
Durch die Tagebuchaufzeichnungen Jenny's und
ihre bisher unbekannt gebliebenen Briefe wird an
mehr als an einer Stelle offenbar, daß Jenny von
Droste Wilhelm Grimm leidenschaftlich geliebt
hat, daß aber auch nach der Verheiratung Wil-
helm'ö mit Dortchen Wild die Beziehungen zu
Jenny sehr innig geblieben sind. Auch Wilhelm
Grimm muß Jenny sehr hoch geschätzt haben. TLenn
die Neigung nicht ernstlich von ihm erwidert wurde,
so liegt es wohl daran, daß Jenny von Droste streng
katholisch und Wilhelm Grimm streng reformiert
erzogen war, und daß die religiösen Gegensätze hier
hemmend wirkten. Daß Wilhelm Grimm
sich lebhaft für Jenny interessiert hat, deuten ver-
1) Westfälische Studien. Beiträge zur Geschichte der
Wissenschaft, Kunst und Literatur in Westfalen (Lpz. 1928)
S. 99—118.
2) Briefwechsel zwischen Jenny von Droste-Hülshoff und
Wilhelm Grimm (Münster 1929). Geh. 6.50 RM., geb.
7.75 RM. YI und 168 S.