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im Sachlichen umso zuverlässiger ist. Ob wir nun
dem Geismarauer oder schon dem INarburger, oder
beiden das Interesse an dem nachfolgenden Vor
gang verdanken, ist gleichgiltig. Kurz, im Herbst
des Wahres 1360 unternahm der Ordensmarschall
Henning Schindekop einen Feldzug gegen die
Litauer (eine „Reise"), deren Ziel in erster Linie
die Feste Wielun war. Es begleitete ihn eine große
Heerschar, „ganz besonders aber der edle Landgraf
Otto von Hessen, der mit seinen zahlreichen Rit
tern in den Streit eingriss und unter dem volks
tümlichen Ruf „H eff enland!" unerschrocken
kämpfte", wobei sie schließlich dem Kriegsplan ge
mäß bis zu dem Bache Rodan vordrangen (der
später die Grenze des Ordensgebietes bildete). Es
handelt sich um den einzigen Sohn Landgraf Hein
richs II., den Erbprinzen Otto, dem spätere Sage
den Beinamen des „Schüßen" gegeben hat; er ist
bekanntlich 1366 als Mitregent seines Vaters ge
storben, der ihn noch um mehr als zehn Jahre über
lebt hat.
Hier ist also „H e s s e n l a n d!", das der Be
arbeiter absichtlich (als vulZariter) in seinem La
tein bestehen läßt, der Kamps- oder Schlacht
ruf der Hessen, und als solcher mag er
reichlich ein Jahrhundert älter sein: er stammt
wahrscheinlich aus der Zeit des thüringisch-hessischen
Erbfolgekrieges (1247—1264), den die Herzogin-
Witwe Sophie von Brabant, die Tochter der hei
ligen Elisabeth, als „Hessenlandes Herrin", clo-
mina terrae Hassiae (wie sie sich beständig nennt)
für ihren Sohn Heinrich durchführte. In ver drei
fachen Geltung: als Kampfruf hessischer Krieger,
als Aufgebot des hesstschen Landgrafen, als Not-
ruf bedrängter Untertanen, hat er sich etwa drei
Jahrhunderte hindurch gehalten. Das 16. Jahr
hundert scheint er kaum überdauert zu haben.
Eine Behandlung der Landschreie des Mittel-
alters wäre gewiß eine schöne Aufgabe, für die
aber bisher alle Vorarbeiten fehlen: die einzige, ge
wiß unvollständige, Zusammenstellung, die ich
kenne, findet sich in Alwin Schulß' Höfischem Le
ben, 2. Ausl., Bd. II 283 f. (s. auch die An-
merknngen).
Uber das Klaggeschrei im allgemeinen
und über dessen verschiedene deutsche, zum Teil auch
landschaftlich begrenzte Formen hat Jac. Grimm
in den „Deutschen Rechtsaltertümern" S. 876 jf.
(4. Aufl., Bd. II 517 ff.) eingehend gehandelt;
über „Mordro!" „Waffen!" (franz. aux armes,
ital. all arme, woher unser „Alarm", „Lärm")
„Zeter!", „Jodute!", in Hessen besonders
„Heilal!" (Vilmar, Idiotikon S. 158).
Dazu kommen dann die speziellen Land-
schreie und Kampfrufe der Reiche und
Länder. Am bekanntesten ist seit dem altfranzö-
fischen Rolandölied (um 1100) der früh schon nicht
mehr verstandene Kampfruf „Munjoie!" (Mons
Jovis), dem gelegentlich „St. Denis" zugesellt
wird. Ihm steht der Schlachtruf des Deut
schen Kaisers „Rom!" (Rome) gegenüber, der in
deutschen und französischen Ouellen vielfach bezeugt
ist; so zuletzt wohl für die Schlacht auf dem
Marchfelde (1276), wo ihm der böhmische Kampf
schrei „Budweis! Prag!" entgegen scholl. Eine
Reichsstadt wie das an Kurpfalz verpfändete Op
penheim hatte den Notschrei „Rom und Reich!"
— Im übrigen wechseln Städte- und Länder
namen: in Wolframs v. Eschenbach „Parzival"
heißt es für die Artusritter „Nantes!", in des
selben Dichtung „VNllihalm" für die Fläminge
„Apern!" und „Arras!" In deutschen Geschichts
quellen find bezeugt: „Braunschweig!", „Halber
stadt", „Mecklenburg!" — anderseits: „Bayer
land! ", „Sachsenland!", „Meißenland!" Und
in diese letzte Gruppe gehört als einer der ältesten,
wenn nicht gar der älteste, unser eigener alter
Kampfruf und Landschrei:
H e s s e n l a n d!
Denn ich vermute, daß ganz ähnlich wie unsere
Zeitschrift „Hefsenland" vor einem Menschenalter
Pate gestanden hat zu den verwandten Heimats
blättern „Bayerland", „Sachsenland", „Hanno
verland", sechs bis sieben Jahrhunderte früher auch
der Kampfruf der „doinina terrae Hassiae"
vorbildlich auf die anderen Territorien gewirkt
haben mag.
Aus dem Leben und Leiden eines hessischen Landpsarrers.
.Rach einer Familienurkunde mitgeteilt van Otto Paulus, Kassel.
In dem handschriftlichen Nachlaß meines Groß- schick ihm aufgebürdet hatte. In der Tat, ein
Vaters, des Pfarrers Karl Paulus, befindet sich ein wahrer Hiob tritt dem Leser hier entgegen, dem er
n6 Seiten umfassendes Schriftstück, in dem der fein Mitleid nicht versagen wird. Da aber diese
damals Zojährige Verfasser bald in Prosa bald Leidensgeschichte eines gewissen kulturgeschichtlichen
in kindlichen Versen mit beweglichen Worten von Interesses nicht entbehrt, wird vielleicht ein kurzer
den unendlichen Leiden berichtet, die ein hartes Ge- Auszug in diesem Blatt eine Stätte finden dürfen.