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militärischen Anlagen des Hinterlandes unter
dem Titel „Straßenforschung" führte nun
aber in zunehmendem Maße auch zur Auf
deckung vorrömischer Anlagen, die anfangs den
auf „Römisches" eingestellten Streckenkommis
saren und Dirigenten einiges Kopfzerbrechen
verursachten. Da war es nun sehr günstig,
daß gleichzeitig und teilweise bereits vorher
in Südwestdeutschland einzelne Forscher, wie
Köhl in Worms, Schliz in Heilbronn, Forrer
in Straßburg, Reinecke in München, in rasch
zunehmender Menge im Lößgebiete Wohn-
gruben und Gräber aus der frühesten Periode
unserer Vorgeschichte, der jüngeren Steinzeit,
aufdeckten und in ihnen die Beweise dafür
fanden, daß die Bewohner bereits vor 4000
Jahren von Ackerbau und Viehzucht gelebt
hatten. Es folgten dann im letzten Jahrzehnt
vor dem Ausbruch des Weltkrieges gleichartige
Feststellungen für die ganze Wetterau und das
untere Maingebiet sowie, teilweise dadurch an
geregt, in Kurhessen und Südhannover wie
in Thüringen und Sachsen. In allen diesen
Landschaften waren sie begleitet von zahlrei
chen Feststellungen über das Vorhandensein
von Spuren der Anwesenheit verschiedener Be
völkerungsgruppen, wie denn diese Jahre und
wiederum das Jahrzehnt nach dem Ende des
Weltkrieges so reich gewesen sind an Aufklä
rungen über den Wechsel vorgeschichtlicher Kul
turen in unserem Vaterlande wie kaum Jahr
hunderte vorher. Die Ursachen dieser Erschei
nung sind mannigfaltig: Der mit der Vermeh
rung und Verbilligung der Verkehrsmittel
wachsende Austausch von Beobachtungen zwi
schen Ländern und Provinzen wie zwischen
Land und Stadt derselben Gegend, die in der
Umgebung der Städte durch die zahlreichen
Neubauten und die Lehmgruben der dafür
nötigen Ziegeleien, auf dem Lande durch tie
feres Pflügen, vielfach vermittelst des Dampf
pflugs, erleichterte Erforschung von früher
überdeckten Bodenschichten, wie die in allen
Ständen erwachte Wanderlust und Liebe zur
Heimatforschung, sichern der letzteren vielfach
werktätige Förderung durch Kreise, die ihr
früher verständnislos, ja vielfach bewußt ab
lehnend gegenüberstanden. Diese Forschung
selbst aber betrachtet die in öffentlichen und
Privatsammlungen niedergelegten Bodenfunde
nicht mehr als ihre wichtigsten Objekte, sondern
als Hilfsmittel zur Erkenntnis der vaterländi
schen Kulturgeschichte auf ihren frühesten
Stufen. Hat doch jüngst auch der norwegische
Kulturhistoriker Brögger in bewußtem und
formuliertem Gegensatz zu seinen nordischen
Kollegen Sophus Müller und Montelius, den
Gründern auch unserer prähistorischen Ehro-
nologie und Typologie, Wesen und Ziele der
norwegischen Vorgeschichte bezeichnet. Auch er
ist zu diesem Standpunkt nicht vom typologi-
schen Studium der in den Museen unterge
brachten Antikaglien, was übrigens selbstver
ständliche Voraussetzung ist, sondern von der
Arbeit im Gelände aus gekommen. Daß es
sich dabei in erster Linie nicht um die Ergeb
nisse von Grabungen unter der Ackerkrume
handelte, sondern um die seit Jahrhunderten
auf den Felsplatten der westlichen Gebiras-
ränder Norwegens lagernden Reste der Instru
mente und Ergebnisse des Seefischfangs, er
klärt sich aus der Verschiedenheit der Länder.
(Vgl. A. W. Brögger, Kulturgesch. des nor
wegischen Altertums, übersetzt von V. H.
Günther, Oslo 1926). Heute haben hervor
ragende Vertreter der alten und mittelalter
lichen Kulturgeschichte wie der heimatlichen
Altertumsforschung erkannt, daß nicht in der
Geringschätzung der Nachbardisziplinen das
Heil der eigenen Wissenschaft beruhe, sondern
in der Kenntnisnahme und Verwertung ihrer
sicheren Ergebnisse; und selbst klassische Phi
lologen und Archäologen wie Germanisten
haben auf dem Wege über die Interpretation
von Tacitus Germania und die Ergebnisse der
Reichs-Limesforschung den lange verschmähten
Anschluß gefunden. Bezeichnender Weise sind
es gerade hervorragende Vertreter die
ser Disziplinen, die zum Teil unter ausdrück
licher Anerkennung ihrer Bekehrung durch die
nicht mehr zu verkennenden wissenschaftlichen
Ergebnisse der vaterländischen Altertumsfor
schung auf diesem Wege vorangegangen sind.
Besonderen Dank aber schuldet andererseits
die heimatliche Bodenforschung den Vertretern
der Geographie und Geologie, die uns gelehrt
haben, daß die Lößflächen unserer Heimat ihre
gegenwärtige Beschaffenheit nicht einer aus
gedehnten Abholzung in irgendeiner geschicht
lichen Periode verdanken, sondern daß der Löß
in allen vorgeschichtlichen Perioden seit der
jüngeren Steinzeit waldfrei und nur höchstens
von Steppenheide bedeckt gewesen sei. Damit
war die Möglichkeit für die Entwicklung pri
mitiven Ackerbaus gegeben, dessen Spuren wir
in allen den zahlreichen Wohngruben finden,
die, vereinzelt und in dörflichen Gruppen ver
einigt, in der Wetterau und in gleichartigen
Landschaften nördlich und südwestlich von ihr
seit drei Jahrzehnten in früher nicht geahnter
Dichte gefunden werden. Das Wohnen bei den
von ihnen bebauten Aeckern setzte die stein