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Illustrierte Monatsblatter für Heimatforschung, Kunst und Literatur
Schriftleiter Paul Heidelbach, Kassel. Unter Mitwirkung von Bezirkskonservator Baurat Dr. H o l tmey er, Kassel,-
Direktor der Landesbibliothek vr. Hopf, Kassel,-Lyzeallehrer Ke ller, Kassel,- Staatsarchivrat vr. Knetsch, Marburg,-
Oberbibliothekar Professor vr. Losch, Steglitz,- Schriftsteller Heinrich Ruppel, Homberg,- Professor vr. Schaefer,
Kommissar für Naturdenkmalpflege im Reg.-Bez. Kassel,- Geheimrat Universitätsprofessor vr. Schröder, Göttingen,-
Universitätsprofeffor vr. Schwa nt ke, Marburg,- vr. Werner S unkel, Marburg,- Professor vr. Bonderau, Fulda,-
Unkversitätsprofeffor vr. W e d e k i n d, Marburg.
— 3m Einverständnis mit den Vereinen: —————————
Verein für hessische Geschichte und Landeskunde,- Hessischer Gebirgsverein,- Knüllgebirgsverein,- Allgemeiner Deutscher
Sprachverein, Kassel,- Verein für Naturkunde, Kassel,- GeologischerVerein, Marburg,- Biologische Vereinigung, Marburg,-
Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck,- Hessischer Volksschullehrerverein.
Bezugspreis vierteljährlich 2.— Mark ■> »»—
39. Jahrgang Heft 2 Kassel, Februar 1927
Eduard Douwes Dekker (Multatuli) in Kassel.
Von Prof. Dr. M. 3. van der Meer, Direktor des Holland-Instituts an der Universität Frankfurt a. M.
(Frau Mathilde Mardorf-Dellevie und Fräulein Else Katzenstein hochachtungsvoll zugeeignet.)
Ein französischer Aphorismus lautet: „Ter
Mann ist von Natur polygam, es ist die Aufgabe
der Frau, ihn zum Monogamismus zu bekehren."
Wenn diese Behauptung zu Recht besteht, dann
sind weder Multatulis erste Frau, noch seine spätere
zweite, die schon lange, bevor er sie heiratete, sein
Leben geteilt hat, ihrer Ausgabe gewachsen gewesen.
Schon während seiner Verlobungszeit (1845/47),
als er aus dem idyllischen, kleinen indischen Städt
chen Purivakarta, wo sich die .Häuser der Europäer
so malerisch um den kleinen See lagern, an seine
Braut Everdine Huberte Baronesse van Wijnbergen,
die Tine seiner Werke, die auf der Teeplantage
Parkan Salak in dem Preanger (Westjava) bei Ver
wandten wohnt, die Briefe schreibt, die solch ein
unschätzbares Material für Dekkers Charakter und
Seelenleben liefern, kann er es nicht unterlassen,
ihr alle Einzelheiten aus seinem Umgang mit Cateau
Teunisz, einem armen aber hübschen Mädchen,
oas er in seinen Schutz genominen hat, zu berichten.
Obgleich es zwischen diesen beiden wohl nicht zu
einer Liebschaft gekommen sein wird, so macht es
doch einen sonderbaren Eindruck, daß in dem Brief
wechsel zweier Verlobten ein anderes Mädchen eine
so wichtige Rolle spielt?
In den Jahren zwischen seiner Verheiratung
und seiner Beurlaubung nach Europa (1852) hört
1 Multatuli, Brieven, geraugschikt en toegelicht door
M. Toutves Dekker-Hamminck Schepel. 2 de Uitgaaf.
Amsterdam 1912. Bd. 1 S. 84 ff.
Multatuli, Briese, herausgegeben von Wilh. Spohr.
Frankfurt a. M. 1906. Bd. 1 S. 21 ff.
man nichts von Liebschaften; in dieser Zeit mag
das regelmäßige Familienleben und die regelmäßige
Arbeit einen beruhigenden Einfluß auf ihn aus
geübt haben. Während seiner Urlaubszeit erzählt
er wieder ausführlich seine Abenteuer mit jungen
Mädchen aus einer Reise in Westdeutschland? Und
nachdem er endlich Indien für immer verlassen hat,
nehmerr in dem Briefwechsel mit seiner Frau Liebes
abenteuer einen sehr bedeutenden Platz ein. Tine
wagt hie und da nur einen schüchternen Versuch,
zu zeigen, wie ihr dies alles zuwider ist und wie
sie darunter leidet, dann aber weist er sie darauf
hin, daß sie über solche Vorurteile erhaben sein
müsse, weil ihre Ehe keine gewöhnliche sei und er
stets mit großer Hochachtung vott seiner Frau
spreche, wie aus Briefen der verschiedenen Damen
hervorgehe, und wenn sie sich damit noch nicht
zufrieden gibt, datin wirft er ihr vor, daß sie
moralisch zurückgehe. Wie Tine darunter gelitten
hat, enthüllt sie zum Teil in ihren Briefen an
ihre Freundin Stefanie Etzerodt, spätere Frau Om-
boni 2 3 * * , immer noch schonend, um Dekker nicht zu
sehr bloßzustellen. „Dies ist gerade das Tragische,
daß Tine wohl versucht ihn zu warnen, aber schließ
lich niemals kräftig ihre Auffassung stark genug
betont hat; sie wollte den reizbaren Mann schonen;
sie will als die Gattin eines Genies alles opfern;
2 Brieven Bd. 2 S. 140.
3 Tine, Brieven van Mevr. E. H. Douwes Dekker-
Van Wijnbergen aan Mej. Steph. Etzerodt, later mevr.
Omboni, met een schrijven van de laatste en enkele
aanteekeningen van I. Poe. 's-Grav. 1895.