Full text: Hessenland (39.1927)

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redete fast keine erträglich und verstand nur wenige 
vollkommen. Bei Krankheiten spielte er gern den 
Propheten und in der That seine Weissagungen 
gingen in der Regel in Wahrheit über. Unaufhörlich 
war seine Thätigkeit. War etwas schnell zu expe- 
diren, so scheute er, selbst noch als Greis, keine 
Aufopferung nächtlicher Ruhe. Oft sah ich ihn 
schon um vier Uhr des Morgens im Winter, indem 
er sich eine große Laterne vortragen ließ, zu 
Pazienten eilen. Gewöhnlich sang er alsdann mit 
seiner Stentorstimme das bekannte Lied: Allons 
enfans de la patrie etc. Nicht, weil er französisch 
gesinnt war; sondern weil er die erhabenen Worte 
und die herzerhebende Melodie liebte. Von 8—9 
des Morgens verstattete er allen Kranken freien 
Zutritt. In Ansehung des Essens und Trinkens 
band er sich durchaus an keine Zeit. Er aß mehr 
Fleisch als Vegetabilien. Fast nie soupirte er. 
Ein Feind von allen Komplimenten senkte er doch 
den Hut bis aus die Erde, wenn ihn jemand in 
der Straße grüßte. Wenn man zu ihm sagte: 
Was befehlen Sie? — antwortete er öfters weiter 
nichts, als: Pfuy doch, und kehrte den Rücken zu. 
Bei guter Laune nannte er seine Gattin gewöhnlich 
seine gnädige Frau. „Die Professoren, sagte er 
oft lachend, müssen mit den Studenten umgehen, 
dann legen erstere den Bettelstolz und letztere das 
Bramarbasiren ab." — Das Corpus juris nannte 
er scherzweise: porcus juris. Er schrieb so häßlich 
und unleserlich wie mit einem Span. 
Eine andere Merkwürdigkeit, welche Marburg 
eingebüßt, hat, war der bekannte Staarstecher und 
Pietistische Schriftsteller Jung, der in neuerer Zeit, 
besonders in der Allgem. T. Bibliothek, richtiger 
gewürdigt worden ist. Ich hospitirte einst in einer 
seiner staatswirthschaftlichen Vorlesungen; allein ich 
lernte daraus weiter nichts, als daß es wahr seyn 
müsse, daß Hr. Jung vormals Stilling gewesen. 
Als Augenoperateur mag er allerdings Verdienste 
haben; aber als Pfuscher in dem Fache der Theo 
logie sollte man ihm billig das Handwerk legen, 
damit sein Nonsens wenigstens ungedruckt und ge 
sunde Köpfe unverwirrt blieben. Man hat be 
haupten und beweisen wollen, Herr Jung sey ein 
Tartüfse. Ich glaube, Pietisten und Tartüffes 
waren immer Kinder Einer Mutter. 
Es ist Zeit, daß ich Dich verlasse, kleines, 
aber geselliges Marburg, das bei größerer Toleranz 
einen angenehmen Aufenthaltsort darbieten würde! 
— Deutet es nicht übel, Ihr Marburger, daß ich 
frei gesprochen, denn wahrlich die Wahrheit ist auf 
meiner Seite, wiewohl Ihr dies schwerlich zu 
geben werdet, denn der Mensch, ist ein Sklav der 
Gewohnheit und — ä chaque oiseau son nid est 
beau. 
Vor dem Barfüßer Thore gewährte uns Mar 
burg zum zweitenmal einen reizenden Anblick mit 
neuen Parthieen und Farbenspielen ausgestattet. 
Die Stadt zeigte sich von dieser Seite mit ihren 
lieblichen Umgebungen in einer schönern Beleuch 
tung. Auf dem Wege nach Gießen dufteten uns viele 
anmuthig blühende Felder mit Wintersaamen aus 
ihren gelben Blumen den würzigsten Geruch ent 
gegen. Schon hier war die Vegetazion augenschein 
lich besser, als in Unterhessen. Wie mancher Mar- 
burger Studiosus, dachte ich, indem ich lächelnd die 
Chaussee mit meinen Augen maß, mag schon mit 
beklommener Brust aus eiligst gemietheter Rosi- 
nante diese Straße gezogen seyn, um sich in Gießen, 
wo man mit solchen Artikeln nicht theuer ist, für 
Geld und gute Worte ein Doktordiplom zu holen, 
damit er mit dieser ehrfurchtgebietenden Urkunde 
in der Hand daheim für einen hochgelehrten Mann 
gelte und dadurch entweder eine fette Pfründe oder 
eine goldschwere Braut oder wenigstens äußere 
Ehre erangele. Denn in dem titelsüchtigen Teutsch- 
laud ist jeder — 0, der kein Diplom, keinen Titel 
aufzuweisen hat; ausgenommen, wenn er durch 
vollwichtige Louis Bücklinge zu erzwingen weiß, 
dann stehen ihm aber auch hinwiederum alle ge 
heime Kanzleien und alle Charaktere zu Gebote." 
Bredes Schilderung hat der Anonymus der 
„Topographischen Bemerkungen eines Reisenden" 
über Marburg und Umgebung in Rosenmeyers 
Archiv des Königreichs Westfalen (Cassel 1808) zum 
Teil wörtlich abgeschrieben. Vom „Auditorium, wo 
rin die Doctoren kreirt werden", schreibt er: 
„Vor der Erneuerung und Vergrößerung dessel 
ben wurde eine nicht unbeträchtliche Sammlung 
von Bildnissen verschiedener durchl. Erhalter dieser 
hohen Schule, hauptsächlich aber von Lehrern der 
selben darin aufbewahrt. Sie umkränzten in einer 
zusammen geketteten Linie drei Seiten des Audi 
toriums ganz nahe unter der Decke desselben. Links 
zur Seite des Katheders erblickte man die Bildnisse 
des verewigten großmüthigen Stifters der Univer 
sität, seiner beiden ättesteu Söhne, und seines er 
habenen Enkels. Rechts demselben die vortreflichen 
Bildnisse der zwei letzten Rectorum magnificen- 
tissimorum aus dem Hause Hessen-Cassel. Die 
Abbildungen der Professoren hingen nicht nach den 
Fakultäten, sondern nach ihrer Einlieferung, und 
die neueren schlossen sich beinahe schon den herr 
schaftlichen Bildnissen rechts an. Kein Ort stand 
schicklicher zu ihrer Aufstellung zu wählen, als 
dieser, wo die feierlichsten akademischen Handlungen 
stets vorgenommen worden sind, und noch werden, 
und wo jeder Akt sicherlich eine feierlichere Stim- 
mung bekommt, wenn man solche erhabene und 
ehrwürdige Repräsentanten der Vorzeit gleichsam 
dabei vergegenwärtigen siehet. Da diese schätzbare 
Sammlung von Bildnissen unserer einheimischen 
Gelehrten seit ihrer Abnehmung im Jahre 1793 
bisher noch nicht wieder aufgestellt ist, so dürfte wohl 
nicht länger damit verweilt werden, wo man nicht 
geflissentlich ihren Untergang bezweckt, welches doch 
zu wenig Dankbarkeit gegen solche verdienstvolle 
Männer verrathen würde, deren Bemühungen durch 
Unterricht und Schriften zu der Morgenröthe und 
Lichtsverbreitung in den Regionen der Wissenschaften 
so erhebliche Dienste geleistet haben. Ihre Bild-
	        
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