Full text: Hessenland (39.1927)

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Ich seltne das Dörfchen, ich sah es von der 
Straßenhöhe beim Morgennebel zwischen den wal 
digen Rücken, gleichwie mit blassem Kreidestift zart 
hingezeichnet, in einen Winkel des Wiesentales 
geschmiegt. 
Und als ich im Hohlweg durch die Feldflnr 
hinanstieg, traf ich zwei alte Leute beim Roden, 
gebückt, wie Wurzeln und rissige Weidenstümpfe 
mit roter, steiniger Ackerkrume verwachsen: 
Das waren deine Eltern! 
Kleinbauern; ihr Gütchen liegt am Dorfbach, 
allwo der Giebel des Schuppens mit ansgebro 
chenen Fächern fast ans die Gasse zu stürzen droht. 
Armselig, eng die Hütte. . . 
Der Rater, nach kurzem Jugendmut, verknorrt 
in bissiger Plackerei; die Mutter rasch gealtert 
in gleicher Fron, zu häufig gesegneten Leibes, 
zerhetzt, nur noch ein sehniges Lasttier . . . 
Das war das Heim, worin du mit einem Häuf 
lein Geschwister aufgewachsen bist, nach dem, was 
in euch gelegt war, und wie es Gott gefiel; denn 
Menschen taten wenig dazu. — 
Und dennoch: ein Kind bleibt nie ohne Selig 
keit, wenn die Steingruft der Städte es nicht 
umkerkert. 
Tu lagst in Mutters geblümten, faltigen Trag 
mantel eingewickelt am Feldrain und gucktest mit 
weiten Lidern in schwirrende Espenblätter über 
dir. Ein Heuschreck sprang fürwitzig auf deines 
Händchens Polster und kitzelte dich; da krähtest du 
dein erstes helles Gelächter in den Wind. 
Tie große Schwester rollte dich im Wägelchen 
den Fußpfad hinab durch blühenden Klee. 
Du spieltest mit flachen Kieseln und schliefst, 
auf dein Ärmchen gelehnt, in greller Sonne ein. 
Bald patschtest du selbst mit der Gerte den 
Gänsen nach und fühltest dich wichtig im Hirtenamt. 
Dann wardst du zur Schule geschickt und lern 
test ein wenig, so viel, als der Anstand erfordert;, 
doch lag dir dies Wissen so fern! 
Nein, Lehrer wie Pfarrer rührten nie an deines 
Wesens Kern und wußten ihn nicht zu eröffnen. 
Betreten zwar stockten sie manchmal unwill 
kürlich vor deinem jähen tiefen Blicke, in dem ein 
königlich Geheimnis zu harren schien, auf daß es 
gelüftet werde. 
Sie aber verstanden sich nicht darauf. 
Obwohl genugsam gelehrt und unterrichtet, hiel 
ten sie doch für gleich alles Menschenantlitz und 
glaubten an Macht ihrer Kunst, zu erziehen. 
Sie ahnten nichts vom Rannen des Blutes, 
von eingeborenem Erbe, vom zaubrischen Wechsel 
spiel zwischen Innen und Außen, und wie dies 
alles zu deuten. 
Trum bliebst du Aschenbrödel für sie und dich 
selbst, verkannt und umdämmert. 
Nur dann erfaßte dich rührender Schauer, wenn 
dir die Sage der Heimat erscholl von dem ver 
wunschenen Fräulein unter der alten Burg, und 
wenn du im Lenz mit der Jugend des Dorfes 
auszogst hin nach Frau Holles Stein, wo ihr 
hinabstiegt in die grabeskältende Höhle, um Blu 
men als Opfer ins schwarze, reglose Wasser zu 
werfen. . . 
So träumtest du durch deine Welt, empfandest 
vieles stumm, du dachtest wenig und sprachest man 
ches nach, befangen im kärgsten Kreise alltäglicher 
Notdürftigkeit. 
Tu wardst zur Wärterin deiner jüngeren Ge 
schwister bestellt, von denen vorzüglich dir eines 
zugetan: 
Die Schwester, die ich öfter bei dir gesehen, 
dein kindliches Ebenbild mit fast noch reinerer 
Haut und von noch blauerem Blicke. 
Schon früh zum Schaffen gedungen, warst du 
bald dem Ringe der seltnen Gespielen entwunden. 
Die Einsegnung kam, und barscher heischte die 
Arbeit ihr Recht. 
Sie stählte deine jungen Flechsen und riß dir 
die Hände harsch. 
Steinschwer umfing dich der Schlaf, und nie 
entschwang sich dein Sinnen aus seinem Gefäng 
nis. — 
Zu viele Mäuler, am Tisch, griesgramte der 
Vater. 
Ta tat sich Mutter um und fand dir den Dienst 
im Städtchen, den du noch heute versiehst. 
Hier war sonst öfterer Wechsel im Schwang: 
die Frau galt als böse Sieben. 
Doch deine kräft'ge, geschickte Hand und deine 
treue, schweigend große Geduld befestigten dich als 
begehrt; sie nutzen dich aus. 
Was aber wird, ferner geschehen? 
Tu bleibst wohl jahrelang hier; vielleicht auch, 
wenn sie dich zu schnöde plagen, gehst du vom H>of 
und wechselst Stelle nach Stelle, um's selten besser 
zu finden. 
Du wirst allmählich klüger auf eine ärmliche 
Weise: du duldest den Umgang torhaft einfältigen 
Volkes. 
Sie schleppen dich auf den Tanzboden mit . . . 
Bis einst ein gleichgültig roher Bursche vorüber 
streicht, dem deine stolze Feinheit in die Augen 
sticht. 
Er reißt dich frech an sich, und in dem unge 
wohnten Taumel, daß dir jemand nahe kommt, 
— du hast ja weder Kunde noch Erfahrung —, 
vergißt du dich, gehst dir verloren, und dein Bestes 
ist dahin, wie man den Silberreif von einer Traube 
wischt. 
Nun schwillt das gebrannte Herzeleid. . . 
Sie schicken dich vom Dienst. Daheim ist Pol 
tern und Fluchen. 
Geht alles, wie die Nachbarn es verstehen, noch 
gut, so taucht der Deine aus und feilscht mit deinen 
Eltern lärmend um das Hochzeitsgut . . . 
Tann spannt ihr euch zusammen. 
Vielleicht erhaschst du ein paar Sommerblicke 
wie von Glück und Liebe, im Rausche sinnlicher 
Lust . . ., wenn du dein Erstgeborenes an den 
Brüsten wiegst . . .
	        
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