Full text: Hessenland (38.1926)

in der Einfachheit des Handwerklichen blüht auf in seinen 
zahlreichen Naturausschnitten, die das Alltägliche und 
oft Geschaute in einen festlichen und sonntäglichen Schein 
hüllen, ob es nun die Baunsberge, Dörnberg, Dachsberg, 
Hirzstein, Fuldatal, Niedenstein oder Willingshausen ist. 
Wenn man die Bilder vor dem Kriege mit denen nach 
dem Kriege und wieder mit den letzten des Künstlers ver 
gleicht, so ist das organische Reifen der Eigenart unver 
kennbar: wie zunächst die ganze Haltung der Landschaft 
noch dunkel, stumpfer, starrer, enger, kräftiger, mehr ein 
Raum- und Farbproblem ist, bei dem der Himmel sich 
typisch und flächig ausbreitet, und wie dann allmählich 
ein Lichtproblem daraus wird und nun die um die Dinge 
schwingende Atmosphäre immer intensiver das ganze 
Bild durchdringt, wie diese aus Kornfeldern, Schaf 
herden, Wäldern, Bergen, verträumten Dörfchen, Kirchen, 
Bäumen, Blumen, Heckenrosen, Ginster und all dem son 
stigen Herrgöttsschmuck reizvoll aufgebauten Ansichten 
immer heller, klarer, luftiger, 'sonniger, morgendlich 
strahlender, frischer, keuscher, reiner und abgeklärter, in 
den Linien und Konturen immer feiner, in dem farb 
lichen Gegensatz des sich schließlich herauskristallisierenden 
Violett der zart geäderten blattlosen Baumzweige und 
des saftigen, teilweise verschütteten Hellgrün der Wiesen 
und Feldflächen immer vollendeter und ausgeglichener 
und wie sie in ihrem Gesamtausdruck immer sprechender 
und plastischer von der hochkultivierten Künstlerhaud 
herausgearbeitet werden. Das zeigt die Ausstellung an 
nahezu 50 Landschastcn, unter denen sich auch das letzte 
Werk Fennels, eine Studie an den Kaskaden der Wil 
helmshöhe, befindet und deren Einzelbetrachtung das 
Gesagte in vielen Einzelzügen noch greifbarer veran 
schaulichen könnte, ja selbst die Gemälde aus Nordfrank 
reich fügen sich zwanglos, auch wenn sie den anders 
artigen Volks- und Landescharakter deutlich erkennen 
lassen, in diesen Rahmen. Besonders eindringlich tritt 
uns Fennels farbig tief empfundene Malweise auch in 
seinen zierlichen und zart ausgetuschten Aquarellen und 
seinen zeichnerisch schwungvollen Bunt- und Bleistift 
skizzen entgegen. In allem aber spiegelt sich die gemüt 
volle, schlichte, einfache, reich und groß fühlende Seele 
eines echten Künstlers der hessischen Heimat, der Friedrich 
Fennel in seinen Glückstagen und seiner Lebensnot all 
zeit war und bleiben wird. Or. G u st a v S t r u ck. 
Wilhelm Raubes Beziehungen zu Kassel. Von i>.p. Schleiche. 
Aus alten Blättern zusammengestellt. 
Daß Wilhelm Raabe, der Altmeister des gemüts 
tiefen Humors, zu allen deutschen Orten vertrauliche 
Beziehtrngen gehabt hat, erscheint heutzutage jedem 
selbstverständlich. Und doch ist das nicht immer so 
gewesen. Der/Dichter hat um Anerkennung ringen 
und kämpfen müssen; lange hat es gedauert, bis er 
in Achtung und Ansehen stand auf Grund der Wür 
digung seiner künstlerischen Werte. Wir wundern 
uns darüber, daß der Meister der „Sperlingsgasse" 
und des „Hungerpastors" nicht gleich von seinen 
Mitlebenden mit Jubel begrüßt wurde; doch ihm 
ging es wie Hebbel, der da sagte: „Bald fehlt einem 
der Wein, bald einem der Becher." 
Auch mit der Stadt Kassel verbanden Wilhelm 
Raabe Beziehungen, die in vieler Hinsicht inniger 
waren als mit mancher anderen Stadt seines Vater 
landes, für das er „mit der Feder" im Gange war, 
„dank der innigen Teilnahme der Nation", wie er 
einmal ironisch gesagt hatte. Theodor Rehtwisch 
schreibt in seiner kleinen Raabebiographie, wie jene 
„anspruchslosen Blätter" kurz bezeichnet sein mögen, 
zu des Dichters 75. Geburtstag am 8 . September 
1906: „Als ich am 20. Juli dieses Jahres (1906) 
ihm (Wilhelm Raabe) gegenüber saß, erzählte er 
von seiner bewegten Übersiedelung von Stuttgart 
nach Braunschweig. ,Heute sind es gerade 36 Jahre 
her, daß ivir auf allerlei Umwegen in Kassel 
eintrafen. Die Kriegserklärung (zum deutsch-fran 
zösischen Krieg am 19. Juli 1870) war uns über den 
Hals gekommen, und alle Straßen und Bahnlinien 
waren mit Truppen versperrt. Das war eine schöne 
Geschichte für mich, der ich mit einer Frau und 
zwei unmündigen Würmern quer durch Deutsch 
land mußte. In Kassel bekamen wir außerdem noch 
feuchte Betten und schlechte Milch, so daß uns eins 
der Kinder krank wurde. Aber es war doch eine 
große und gewaltige Zeit/" So hat Wilhelm Raabe 
in Kassel die unvergeßlichen Tage des Kriegsaus 
bruchs von 1870 erlebt, außerdem aber auch gleich 
zeitig die Übel und Mißstände, über die er erzählte. 
Die ehemalige Residenzstadt Kurhessens wird dem 
Dichter deshalb in doppeltem, nicht auslöschbarem 
Gedenken gestanden haben. 
Dies ist das einzige Mal, daß Wilhelm Raabe 
meines Wissens in Kassel geweilt hat; gesprochen 
wird er von der Stadt am Fuldastrand noch öfters 
haben. Denn zu seinem 70. Wiegenfest ( 8 . Sep 
tember 1901) wurde hier eine Wilhelm Raabe- 
Gesellschaft gegründet. Schon etwa zwei Monate 
vor jenem Tage hatte eine Anzahl gleichgesinnter 
Herren den Plan gefaßt, den Geburtstag ihres Lieb 
lingsdichters festlich zu begehen. Der Dichter wurde 
dann an jenem Abend in einer längeren Rede 
wegen seiner hohen Verdienste um das deutsche 
Volkstum gewürdigt, und diese Feier gab die Ver 
anlassung zur Gründung der eben genannten Gesell 
schaft. Sie trat für die Verbreitung der Schriften 
Wilhelm Raabes mit Wort und Tat ein, und große 
Freude herrschte, da bald nach Gründung der Gesell 
schaft als Antwort auf deren Glückwunsch ein 
Schreiben des Dichters eintraf: „Erntedankfest ist 
gewesen; aber an seinem Dank für die überreiche 
Ernte an Liebeszeichen, die ihm zu seinem 70. Ge 
burtstage zu Teil geworden sind, hat der alte Raabe 
noch immer abzutragen. Wenn er sie doch alle in 
Wirklichkeit drücken könnte, die Hände, die ihm aus 
der Stadt Kassel hergereicht worden sind! Wenn er 
doch alle seine Freunde dort einzeln beiseite nehmen 
könnte, um ihnen zu sagen, wie lieblich vom Habichts 
walde her die wilden Wasser ihm über den abwärts 
führenden Lebenspfad rauschten und ihm nimmer 
verklingen können. Allen Denen am ,Wilden 
Wasser' Gruß, Dank und treueste Gastfreundschaft. 
Braunschweig, im Weinmonat 1901. Wilhelm Raabe."
	        
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