Geschmacksbildung und die Qualität der Pro
duktion.
Daneben erfüllen diese Aufgabe, wie schon be
merkt, die ständig wiederkehrenden Kunstausstellun
gen auf der Mathildenhöhe und im Kunstverein.
Charakteristisch für die Darmstädter Kunstaus
stellungen ist die Tatsache, daß sie — von den
Jahren 1915 und 1916 abgesehen — durch Krieg
und Revolution keine Unterbrechung erlitten haben;
auch 1918 und 1919 war der Olbrichbau auf der
Mathildenhöhe geöffnet und weiterhin jedes Jahr
Das Tor der Unsterblichkeit.
Er war anders, als seine Mitmenschen, der große,
dunkeläugige Mann, er war ein Grübler, ein Ein
samer. Die Augen der Welt beneideten ihn, sie
sahen in ihm den glücklichen Erben, der ein geseg
netes Dasein führte. Er war reich, gesund, begabt,
er hatte eine gütige Frau, einen schönen vierzehn
jährigen Knaben, er besaß Haus und Garten, einen
Wald zum Jagen, einen See zum Rudern und
Fischen, er war geliebt und geschätzt — aber
dennoch, in seinen Augen brannte ein Rätsel, eine
drängende, heilige Frage, die keine Antwort fand.
Niemand verstand diese Augen, auch seine Aller
nächsten nicht. Es gab Tage und Nächte, da um
klammerte den einsamen Mann sein eignes Wesen
wie eine Fessel. Wer vermochte sie zu sprengen? Er
dachte über sein Leben nach, über seine Entwick
lung, seine Jugend. Er war ein frühreifer Knabe
gewesen, der am liebsten für sich allein war, der
zeichnete oder modellierte. Bildhauer wollte er
werden. Sein Vater ließ ihn ausbilden, nur damit
der heiße Wunsch der Kinderseele gestillt würde, dann
hatte er die künstlerische Neigung dem Beruf opfern
müssen. Denn er war der einzige Erbe eines großen
Tiefbauunternehmens, das Weltruf besaß. Und seiner
Familie zulieb warf er sich in die Arbeit des Be
rufes hinein, hatte Erfolg, und das Künstlerische
schwang in ihm mit, als ein leiser Unterton seines
Wesens und befruchtete seine Arbeit, sein Leben.
Er sann über seine Erziehung nach, er erinnerte
sich dankbar großer Männer, die ihm das Wesen der
Kunst, der Wissenschaft, der Religion offenbart
hatten, er gedachte in Verehrung seiner Eltern,
aber sie alle hatten doch nicht die brennende Sehn
sucht seines Herzens still gemacht. Denn dies Drän
gen seiner Seele wollte schon früh die Schranken
dieser Erde durchbrechen, er konnte als Knabe sich
hineinträumen in eine Welt, die hinter dem Sicht
baren unsichtbar webte. Er trug die Gewißheit des
Kindlich-Ahnenden in sich, daß sein unstetes Herz erst
nach diesem Erdenleben stille werden könne, daß
seine Seele aller Schwachheit und Schuld ledig
werden müsse zu einer himmlischen Berufung und
zu rückhaltlosem Wirken. Er wußte, daß dies kein
Vater, kein Lehrer, kein Geistlicher ihm gesagt hatte,
ein heimlicher Heiliger hatte es ihm eingegeben,
niemand außer ihm sah ihn: das war der Tod!
bis heute. Doppelt erfreulich in einer Zeit, die
unter dem Drucke der allgemeinen wirtschaftlichen
Not die Kunst als Luxus bezeichnen und sie be
steuern möchte.
Der junge frei-künstlerische Nachwuchs ist reich
und vielversprechend. Er hungert und kämpft mit
den Bitternissen des Lebens. Aber diese Banali
täten gewinnen über ihn nicht die Macht. Die Kraft
der Farbe und der kühne Linienschwung seiner Bil
der läßt keinen Zweifel über die ganze heiße Glut
der echten Künstlerseele.
Eine Osterlegende von KarolaStrauch-Bock.
Seltsam, er war noch ein Knabe, der kaum dem
Leben die Hand hingestreckt hatte, als sich der Tod
zu ihm gesellte, als sein Weggenosse, sein Mahner.
Zwar war ihm noch niemand gestorben, der seinem
Herzen nahe stand, seine Eltern, Frau und Kind,
seine Freunde waren gesund. Es gab Tage, wo er,
hingegeben an die Schönheit der Welt, den Atem des
Lebens einsog, wo im Frühlingswind der Duft aller
Blüten ihn umkoste, wo schattenloses Licht um seine
Stirn spielte. Aber dann kamen die Nebel des
Abends, die Nacht, und sein Heiliger, der Tod, pochte
wieder an seine Kammer und hielt ihm die Uhr des
kurzen Lebens ans Ohr. Sie tickte: gestern, heute,
morgen, bald! Da faltete der einsame Mann seine
Hände, als nahte Gott selbst, da stand er am Quell
seines wahrhaftigen Lebens. Von hier aus wußte
er Menschen und Dinge, Leiden und Freuden §n
überschauen, von hier aus schied er zeitliche und
ewige Arbeit, von dorther sah er das Stückwerk ir
discher Liebe, die nie genug Barmherzigkeit birgt,
von dorther erkannte er das beste menschliche Tun
als Gleichnis verborgener göttlicher Tat. Hier warf
er sich Gott zu Füßen. Wenn er auch selbst noch
nicht vor dem Tor des Tvdes gestanden hatte, so war
ihm doch eine solche Einfühlungsgabe eigen, so schick
salhaft war er der Gestalt des Todes verbündet, daß
er seine Qual und seine Tränen zu kennen glaubte,
auch seine Verheißung. Wer mochte wohl das arm
selige irdische Leben ewig tragen? Das alles blieb
Geheimnis seines Innern, niemand konnte er's
sagen, auch nicht der geliebten Frau. Was wollte
der Tod von ihm? Warum stand er ihm stets zur
Seite? Wollte er ihn bereiten, damit er ihn freu
dig aufnähme, wenn er einst an sein Lager träte?
Kam er wohl bald?
Und die Zeit wandelte sich. Menschen kamen
in Not, Krieg und Niederlage und Hunger machten
das Volk mürbe. Tausendfache Gestalten des Todes
bedrängten die arme Welt. Auch das Unternehmen
dieses Mannes stand still. Er, der sonst die Auf
träge nicht bergen konnte, wußte nicht, ime er seinen
Arbeitern Arbeit und Brot schaffen sollte. Da kam
eines Nachts wieder der heilige Tod zu ihm, als er
am geöffneten Fenster stand und den unaussprech
lichen Frieden des gestirnten Himmels trank. Der
Tod flüsterte ihn: zu: „baue mir einen sichtbaren