Full text: Hessenland (38.1926)

57 
Illustrierte MnatsMter für Heimatsorschung, Kunst und Literatur 
Schriftletter Paul Heidelbach, Kassel. Unter Mitwirkung von Bezirkskonservator Baurat vr.H oltmeyer, Kassel,- 
Direktor der Landesbibliothek 0r. Hopf, Kassel,- Lyzeallehrer Ke ller, Kassel,- Staatsarchivrat vr. K n ei sch, Marburg ,- 
OberbibliothekarProfessor vr.Losch, Steglitz,- Schriftsteller Heinrich Ruppel, Homberg,- Professor vr. Schaefer, 
Kommissar für Naturdenkmalpflege im Reg.-Bez. Kassel,- Geheimrat Universitätsprofessor vr. Schröder, Göttingen,- 
Universitätsprofessor vr. S ch w a n t k e, Marburg,- vr. Werner S u n k e l, Marburg,- Professor vr. B o n d e r a u, Fulda,- 
Universitätsprofessor vr. W e d e k i n d, Marburg. 
» - - 3m Einverständnis mit den Vereinen: 
Verein für hessische Geschichte und Landeskunde,- Hessischer Gebirgsverein,- Knüllgebirgsverein,- Allgemeiner Deutscher 
Sprachverein, Kassel,- Verein für Naturkunde, Kassel,- Geologischer Verein, Marburg,- Biologische Vereinigung, Marburg,- 
Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck,- Hessischer Volksschullehrerveretn. 
> Bezugspreis vierteljährlich 2.— Mark ——————— 
38. Jahrgang Heft 4 Kassel, April 1926 
Das moderne geistige Leßen in Darmsladt. VonD.Diestelmann. 
Ich weiß nicht, ob das, was man geistiges Leben 
nennt, klimatisch oder landschaftlich bedingt ist. An 
der Bergstraße, die sich von Darmstadt nach Heidel 
berg zieht, blüht der Mandelbaum, der Ebene aber, 
die sich westlich von Darmstadt rheinwärts zieht, gibt 
genügsamer Kiefernwald ein seltsam nachdenkliches 
Gepräge. In der Achse solcher Vegetationen, hin 
geschmiegt an die grünen Berge des Odenwaldes und 
allem Zwiespalt des Gegensatzes preisgegeben, liegt 
Darmstadt, in dem schon immer und immer wieder 
sandiger Boden mit unerschütterlicher Energie junge 
Sprossen hervorbringt, die ihm Profil und charak 
teristischen Ausdruck verleihen. 
Einer Stadt einen Maßstab ihres geistigen Lebens 
anlegen, hieße ja wo,hl zunächst untersuchen, wie 
sehr sie Empfangsstation für die geistigen Antriebe 
wird, denen sie ausgesetzt ist, die sie zu bewegen 
versuchen jenseits des oberflächlichen Stromes mer 
kantiler oder lokaler Alltagsinteressen; ob und wie 
weit sie Resonanzboden geistiger Bestrebungen und 
Teilnehmer an ihnen wird. Denn solange die eigent 
liche Stadt an ihren geistigen Vorgängen vorbei 
lebt, solk^rge nicht aus ihr selbst der Atem strömt, 
der sie in lebenspendenden Führerpersönlichkeiten 
repräsentiert und befruchtend mit ihnen verbindet, 
solange der etwa zuwandernde schöpferische Mensch 
einsam bleibt und unverbunden mit ihr, solange 
kann man diesen nicht im Grunde als Teil des 
geistigen Lebens der Stadt und sein Erlebnis nicht 
als das der Stadt bezeichnen. 
Es ist ja andererseits selbstverständlich, daß dieses 
geistige Leben zunächst in der Keimwelt einer ver 
hältnismäßig kleinen und dünnen Schicht von 
Menschen sich abspielt; entscheidend ist dann die 
Übertragung, der Abglanz, den die daraus resul 
tierende innere Belvegung schließlich sogar auf Wider 
willige erzeugt. 
Das also, was Bedingnis ist eines Fortschreitens 
über bürgergewollte Grenzen hinaus, wäre die in 
einer Stadt trotz aller Widerstände lebende Energie, 
die Trägheit der Herzen zu stören und immer 
wieder sich mit ihr in Widerspruch zu setzen. Geistiges 
Leben in diesem Sinne würde bedeuten, daß trotz 
allen Widerstrebens doch, bewußt oder unbewußt, 
ein ihr allein eigener Zeugungsvorgang sich ab 
spielt und dieser ein Bestandteil des eigenen Seins 
der Stadt wird. 
* 
Die Vaterstadt Georg Büchners und Johann 
Heinrich Mercks ist auch die Heimat Kasimir Ed- 
schnnds. Der Durchschnittsdarmstädter ist darauf 
nicht sonderlich stolz, und Edschmid, der Dichter, 
betont nach außen nicht gern, daß er in Darmstadt 
gezeugt und gesäugt wurde. Und doch kommen beide 
nicht umeinander herum. Denn Edschmid ist unter 
der jungen Darmstädter Welt zwar eine Spitzen-, 
aber keine Einzelerscheinung, und das, was an 
seinem Wesen als typisch kraftvoll nach außen 
drängt, erkennt man dort verkleinert vielfach wieder. 
Es kann sich dabei innerhalb dieses Rahmens nicht 
um ein Werturteil handeln, nur die Tatsache als 
solche ist anzumerken, daß, wie dicht neben den 
melancholischen Kiefern des Riedwaldes die Mandel 
bäume der Bergstraße blühen, in einem kaum sonst 
in ähnlichem Maße irgendwo zu beobachtenden Um 
fange der temperamentvolle Auftrieb eines geistig 
unternehmungslustigen jungen Geschlechts inmitten 
der Bevölkerung einer durchaus durchschnittlichen 
ehemaligen Residenz voll Apathie oder Widerstand 
sich bemerkbar macht. Das mögen — einzeln be-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.