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Geschick einen alten Kasselaner, den das tolle Jahr
1848 hatte flüchtig werden lassen, den Glasmaler
Ely ans Nantes, mit seinen beiden Söhnen etwa
1883 in seine Vaterstadt zurückgeführt hätte. In
Frankreich nämlich hatten sich die Verhältnisse nach
1870 derartig zugespitzt, daß Ely, der sein Deutsch
tum nicht verleugnen und sich nicht naturalisieren
lassen wollte, Nantes verließ. Er kaufte dem Fennel-
scheu Hause gegenüber das Grundstück au der Ecke
der Wilhelmshöher Allee und der jetzigen Pfeiffer
straße an und begann, sich hier eine Werkstatt für
seine Glasmalerei aufzubauen. Es konnte nicht
fehlen, daß auch der junge Fritz Fennel mit dabei
sein mußte, gab es doch hier allerhand zu sehen, was
einen lernbegierigen Wehlheider Jungen unbedingt
fesseln mußte. Auch das fertige Atelier bot noch des
Interessanten genug. Jedenfalls war der Fritz dort
nicht mehr fortzukriegen, und als ihm eines schönen
Tages der alte Ely ein Blatt Papier hinlegte mit den
Worten: „Nu zeichne mal was", ließ er sich das
nicht zweimal sagen. Der Meister besah sich das
Blatt und sagte dann nur: „Wenn du Zeit hast,
Junge, kommst du rüber und zeichnest." Damit war
seine Zukunft entschieden. Das war ein Jahr vor
der Konfirmation. Nach der Konfirmation kam
Fennel, der den Vater schon mit neun Jahren ver
loren hatte, zu Ely in die Lehre und wurde hier in
die keineswegs leichte Technik der Glasmalerei ein
geführt. Noch als Lehrling konnte er durch Elys
Vermittlung als Hospitant nachmittags die Kasseler
Kunstakademie besuchen. Im übrigen galt es fleißig
zu schaffen, und Fennel hat mir oft erzählt, eine wie
gediegene Grundlage ihm diese Tätigkeit für sein
späteres Leben geschaffen habe. Die Elysche Glas
malerei erfreute sich eines guten Rufes weit über
Deutschland hinaus. Von ihrem hohen Können zeugen
nicht nur die neuen Kirchenfenster zu St. Martin
nnd in der Lutherkirche zu Kassel, sondern auch
zahlreiche andere Fenster an Kirchen- und Profan
bauten in Deutschland und Frankreich, hier vor
nehmlich in der Bretagne. Nachdem Fennel aus
gelernt hatte, lag er noch drei Jahre lang als Ge
hilfe mit Meister Ely und dessen beiden Söhnen der
edlen Kunst der Glasmalerei ob, und von ihm ge
malte Fenster befinden sich noch jetzt in hessischen
Adelssitzen. Nebenbei setzte er den Besuch der Aka
demie fort und ging dann, mit dem Harnierschen
Stipendium versehen, ganz zur Akademie über. Zu
nächst absolvierte er die Malklasse bei Direktor
Louis Kolitz, der einst in der Düsseldorfer Schule
Oswald Achenbachs seine realistisch-romantische Rich
tung empfangen hatte^ lernte bei Koch Zeichnen und
wurde dann Meisterschüler bei Professor Wünnen
berg. Der Einfluß Wünnenbergs kommt noch in
einzelnen seiner ersten Schöpfungen zum Ausdruck;
so in jenem stimmungsvollen Motiv aus dem Burg
hof der Löwenburg „Bekränzung des Heiligen",
wo die Bonifatiusstatue vor der Löwenburgkapelle
von jungen Mädchen mit Blumenguirlanden ge<-
schmückt wird. Übrigens berichten einstige Akademiker,
daß Fennel schon damals der beste Aktzeichner der
Akademie war. Ein längerer Aufenthalt bei Berliner
Verwandten machte ihn mit der Kunst und den jungen
Künstlern der Reichshauptstadt bekannt, und dann
beginnen seine Wanderfahrten.
Zunächst nach Thüringen. Noch war es ein
Tasten, ein Suchen. Ein Kasseler Freund und
Gönner, Dr. Warlich, erwarb für ihn die Erlaubnis
des Großherzogs, in Darmstadt, dessen Mathilden
höhe damals der Sonnenglanz der neuen Kunst um
spielte, die Holbeiusche Madonna zu kopieren. Dieser
Holbeiw-Kopie hat seinerzeit der Kasseler Galerie
direktor Eisenmann Worte höchster Anerkennung
gezollt. Bezeichnend ist die Art, wie Fennel dem
Großherzog vorgestellt wurde. In den ersten Tagen
— eine offizielle Vorstellung war noch nicht er
folgt — kam er in einen Raum der Gemäldesamm
lung, in dem auf einem hohen Gerüst jemand mäch
tig mit den Beinen baumelte. Fennel, der einen
Kunstschüler vor oder richtiger über sich zu haben
glaubte, rief in seiner lustigen Art hinauf: „Na,
wer baumelt denn da mit seinen Pedalen rum?"
Entsetzt stürzte ein Galeriediener auf ihn zu, um
ihm etwas von einer königlichen Hoheit zuzuflüstern.
Diese hatte inzwischen die wenig hoffähige Feunelsche
Begrüßung lachend zu Notiz genommen und lud ihn
freundlichst ein, sich heraufzubemühen. So konnte
binnen kurzem auf schwankender Leiter die Vor
stellung stattfinden, bei der Fennels Verbeugungs
versuche dank der unsicheren Position eine ziemlich
groteske Auswirkung bekamen.
Schon früh lernte er das Leid kennen. Die Mutter,
eine seelengute Frau, begann zu kränkeln, und alte
WehlheiderNachbarn erzählen, daß derSohn mit einer
sonst bei jungen Lenten nicht immer üblichen Liebe
und Sorgfalt die kranke Mutter betreute und pflegte
und den kleinen Haushalt in Ordnung hielt. Solche
kleinen Züge sind notwendig, um den prächtigen
Menschen zu zeigen, der auch gegen seine Freunde,
selbst in der Not, eine nicht alltägliche Anhänglich
keit und Treue zeigte und mit linder Hand schmer
zende Wunden zum Heilen brachte. Auch für die
Interessen seiner Berufsgenossen ist er jederzeit ein
getreten, wie er denn auch dem Kunstverein, dessen
Vorstand er zwei Jahrzehnte hindurch angehörte,
seine ganze Kraft widmete.
Es folgen die fröhlichen Jahre in Gottsbüren und
Willingshausen, die Zeit, in der er sich zum hes
sischen Landschaftsmaler entwickelte. Geruhsame Tage
brachte ihm das Schulhaus zu Philippinenhof, in
das er nach seinen Wanderfahrten immer wieder
zurückkehrte und das ihm, seit die Mutter 1001 ver
storben, in seiner, für einen sein Ziel im Auge
behaltenden Künstler so ersprießlichen Bohsmezeit oft
wochenlang das Heim ersetzte. Hier hat er im
Schulgarten manche schöne Sommernacht, in eine
Decke gewickelt, verträumt; und manch lustiger
Streich wurde hier oben mit den Malerfreunden
Giebel und Metz ausgesonnen. Wenn er selbst er
zählt, daß die Bowlen hier in der sonst als Bücher
schrank benutzten Badewanne angerichtet wurden, so
mag das übertrieben sein; daß er selbst aber einmal