Full text: Hessenland (38.1926)

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schäften von Leibniz setzt ihn in Konflikt mit Lessings 
Gegner Klotz in Halle; seine Beschreibung der 
Antikensammlung des Generals Wallmoden aber 
findet die Zustimmung des Offenbarers des Alter 
tums: Winckelmanns. 
'1767 wird er von Landgraf Friedrich II. nach 
Kassel berufen als „?roke88or Antiquitatum": 
sämtliche „Kunstkammern" werden ihm unterstellt, 
und eine ungeheuer vielseitige Tätigkeit hat er vor 
sich. Er bestimmt und inventarisiert u. a. die große, 
15 000 Nummern zählende, wertvolle Medaillen 
sammlung des Landgrafen, nebenbei wird er am 
aufblühenden Collegium Carolinum Dozent für 
fremde Sprachen; und mit einer unglaublichen Ge 
wissenhaftigkeit, einem Bienenfleiß gibt er sich seiner 
Arbeit hin. Doch damit nicht genug, wiederum be 
tätigt er sich geologisch: er schreibt als erster Deut 
scher über den vulkanischen Charakter des Basalt, 
den er auf 'dem Habichtswald fand, was damals eine 
ganz große Sache war und z. B. von Goethe in 
dessen Geschichte der Geologie gebührend hervor 
gehoben wird. In einer Zeitschrift: „Der casselische 
Zuschauer", die er herausgibt, schreibt er gute ar 
chäologische Aufsätze, tritt voll ehr für das Alter 
tum, wendet sich jedoch gegen falsche Begeisterung; 
auch eine Sammlung von antiken Abgüssen legt 
er an. 
Geradezu überraschend aber ist es, wenn wir von 
den Plänen hören, die seinen klaren, vorausblickenden. 
Geist bewegten und die erst viel später zur Aus 
führung kommen sollten: 40 Jahre vor dem Frei 
herrn vom Stein macht er den Vorschlag, die 
deutschen Geschichtsquellen als „Monumenta Ger 
maniae“ zu sammeln, und korrespondiert darüber 
mit Herder und Nicolai, wird jedoch von diesem 
nicht darin unterstützt wegen „mangelnden Interesses 
beim Publikum"! 
Als direkt kühn aber muß es vollends angesehen 
werden, daß er 1768, in der höchsten Blütezeit des 
Rokoko also, den umfassend ausgearbeiteten Plan 
eines „Gotischen oder altdeutschen Antiquitäten 
kabinetts", das die Kunst „von den Zeiten Karls 
des Großen bis Albrecht Dürer" umfassen sollte, 
dem Landgrafen vorlegt! Es will etwas bedeuten, 
wenn in der Zeit, wo das Mittelalter nichts, An 
tike und Renaissance alles galten, ein Mann, ohne 
romantische Überschätzung übrigens, den historischen 
und künstlerischen Wert der Kulturperiöde des Rö 
misch-deutschen Kaiserreichs im Mittelalter erkennt; 
wenn er einen Maler wie Dürer lobend hervorhebt, 
der noch 1750 von Landgraf Wilhelm, dem Gründer 
der Kasseler Galerie, nur als „Albrecht Schmierer" 
bezeichnet wird! — Raspes Idee draüg nicht durch; 
erst 50 Jahre später fallen die Ansätze zur Schaf 
fung eines „Germanischen Museums" in Nürnberg. 
Bei seiner positiven Einschätzung der Gotik spielt, 
wie Gr. Hallo aufwies, die Auffassung der englischen 
Freimaurerei mit, mit der Raspe sich verbunden 
fühlte und die das Geheimnis der Baumeister 
kunst — im Gegensatz zur Kunsttheorie der Re 
naissance —• als niemals, auch im Mittelalter 
nicht, verlorengegangen ansieht. Die „unroman 
tische" Einstellung Raspes dem Altertum und Mittel-* 
alter gegenüber erhellt auch daraus, daß er die 
Homerischen Epen wegen der darin vorkommenden 
verschiedenen Kulturzustände als Werk eines 
Mannes ablehnt, was uns heute selbstverständlich 
erscheint, damals unerhört war. 
1775 werden schwere Unterschlagungen entdeckt, 
die er gemacht hat, er flieht nach England, wo er 
u. a. „Nathan den Weisen" ins Englische übersetzt, 
und stirbt als „wohlangesehener Ausländer" in 
Edinburg 1794. 
Raspe, zu Unrecht verschollen, gehört zu den 
typischen, hervorragenden Köpfen der Geniezeit, 
wissenschaftlich ideenreich und vielseitig, auch noch 
als Dichter und Pädagoge zu erwähnen, ein Mann 
klaren, souveränen Geistes, in Beziehung stehend zu 
ziemlich sämtlichen bedeutenden Menschen seiner Zeit; 
Lessing, Reimarus, Merck sowie Friedrich der Große 
seien noch genannt. Man wird den angekündigten 
schriftlichen Ausführungen Dr. Hallos, von denen 
Vorarbeiten bereits im letzten Band der Zeitschrift 
des Geschichtsvereins erschienen sind, mit Interesse 
entgegensehen. Dr. W. Scheffler. 
Ein Beitrag zum Aberglauben in alter Zeit. 
Mitgeteilt von 
Im hiesigen ältesten Kirchenbuche findet sich fol 
gender Eintrag, der kulturgeschichtlich sehr inter 
essant ist: 
Actum Borken, den 22. Dezember 1682. 
Nachdem Elisabetha Curtt Hucken sel. von Näßen- 
erfurth hinterlassene Wittibe ihres Alters 90 Jahr, 
so itzo im.Hospital, berüchtiget worden, daß sie ver- 
wichenen Advent als sie das heiüge Abendmahl ge 
brauchet, das gesegnete Brod des Herrn wieder aus 
dem Mund nach einem Schnupftuch gezogen und bey 
sich gestecket, alß wurde sie deswegen gehöret, ob 
sie auch zwar anfangs nicht geständig, usf vielfältiges 
Amtsgerichtsrat Rabe in Borken, Bez. Kassel. 
Zureden aber soweitt sich bloßgab, daß ihr solches 
vergehen, wurde desto ernstlicher zugeredet, daß 
viele Zeugen solches gesehen und mit einem leib 
lichen Eidt solches bezeugen könten, sie solle Gott 
die Ehre geben und die Wahrheit bekennen, ob sie 
das Brodt des Herrn zurückbehalten und zu weß 
Ende solches geschehen, Woruff sie endtlich bekant, 
daß das Gesegnete in ihrem Sontagsrocke zu finden 
und wehre dasselbige guth vor böse Blattern in den 
Augen, zu dem ende sie solches behalten, und als 
sie weiter gefragt, ob sie solches jemals practiciret 
und guth befunden, sagt sie Ja, sie hätte es vohrmalß,
	        

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