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schäften von Leibniz setzt ihn in Konflikt mit Lessings
Gegner Klotz in Halle; seine Beschreibung der
Antikensammlung des Generals Wallmoden aber
findet die Zustimmung des Offenbarers des Alter
tums: Winckelmanns.
'1767 wird er von Landgraf Friedrich II. nach
Kassel berufen als „?roke88or Antiquitatum":
sämtliche „Kunstkammern" werden ihm unterstellt,
und eine ungeheuer vielseitige Tätigkeit hat er vor
sich. Er bestimmt und inventarisiert u. a. die große,
15 000 Nummern zählende, wertvolle Medaillen
sammlung des Landgrafen, nebenbei wird er am
aufblühenden Collegium Carolinum Dozent für
fremde Sprachen; und mit einer unglaublichen Ge
wissenhaftigkeit, einem Bienenfleiß gibt er sich seiner
Arbeit hin. Doch damit nicht genug, wiederum be
tätigt er sich geologisch: er schreibt als erster Deut
scher über den vulkanischen Charakter des Basalt,
den er auf 'dem Habichtswald fand, was damals eine
ganz große Sache war und z. B. von Goethe in
dessen Geschichte der Geologie gebührend hervor
gehoben wird. In einer Zeitschrift: „Der casselische
Zuschauer", die er herausgibt, schreibt er gute ar
chäologische Aufsätze, tritt voll ehr für das Alter
tum, wendet sich jedoch gegen falsche Begeisterung;
auch eine Sammlung von antiken Abgüssen legt
er an.
Geradezu überraschend aber ist es, wenn wir von
den Plänen hören, die seinen klaren, vorausblickenden.
Geist bewegten und die erst viel später zur Aus
führung kommen sollten: 40 Jahre vor dem Frei
herrn vom Stein macht er den Vorschlag, die
deutschen Geschichtsquellen als „Monumenta Ger
maniae“ zu sammeln, und korrespondiert darüber
mit Herder und Nicolai, wird jedoch von diesem
nicht darin unterstützt wegen „mangelnden Interesses
beim Publikum"!
Als direkt kühn aber muß es vollends angesehen
werden, daß er 1768, in der höchsten Blütezeit des
Rokoko also, den umfassend ausgearbeiteten Plan
eines „Gotischen oder altdeutschen Antiquitäten
kabinetts", das die Kunst „von den Zeiten Karls
des Großen bis Albrecht Dürer" umfassen sollte,
dem Landgrafen vorlegt! Es will etwas bedeuten,
wenn in der Zeit, wo das Mittelalter nichts, An
tike und Renaissance alles galten, ein Mann, ohne
romantische Überschätzung übrigens, den historischen
und künstlerischen Wert der Kulturperiöde des Rö
misch-deutschen Kaiserreichs im Mittelalter erkennt;
wenn er einen Maler wie Dürer lobend hervorhebt,
der noch 1750 von Landgraf Wilhelm, dem Gründer
der Kasseler Galerie, nur als „Albrecht Schmierer"
bezeichnet wird! — Raspes Idee draüg nicht durch;
erst 50 Jahre später fallen die Ansätze zur Schaf
fung eines „Germanischen Museums" in Nürnberg.
Bei seiner positiven Einschätzung der Gotik spielt,
wie Gr. Hallo aufwies, die Auffassung der englischen
Freimaurerei mit, mit der Raspe sich verbunden
fühlte und die das Geheimnis der Baumeister
kunst — im Gegensatz zur Kunsttheorie der Re
naissance —• als niemals, auch im Mittelalter
nicht, verlorengegangen ansieht. Die „unroman
tische" Einstellung Raspes dem Altertum und Mittel-*
alter gegenüber erhellt auch daraus, daß er die
Homerischen Epen wegen der darin vorkommenden
verschiedenen Kulturzustände als Werk eines
Mannes ablehnt, was uns heute selbstverständlich
erscheint, damals unerhört war.
1775 werden schwere Unterschlagungen entdeckt,
die er gemacht hat, er flieht nach England, wo er
u. a. „Nathan den Weisen" ins Englische übersetzt,
und stirbt als „wohlangesehener Ausländer" in
Edinburg 1794.
Raspe, zu Unrecht verschollen, gehört zu den
typischen, hervorragenden Köpfen der Geniezeit,
wissenschaftlich ideenreich und vielseitig, auch noch
als Dichter und Pädagoge zu erwähnen, ein Mann
klaren, souveränen Geistes, in Beziehung stehend zu
ziemlich sämtlichen bedeutenden Menschen seiner Zeit;
Lessing, Reimarus, Merck sowie Friedrich der Große
seien noch genannt. Man wird den angekündigten
schriftlichen Ausführungen Dr. Hallos, von denen
Vorarbeiten bereits im letzten Band der Zeitschrift
des Geschichtsvereins erschienen sind, mit Interesse
entgegensehen. Dr. W. Scheffler.
Ein Beitrag zum Aberglauben in alter Zeit.
Mitgeteilt von
Im hiesigen ältesten Kirchenbuche findet sich fol
gender Eintrag, der kulturgeschichtlich sehr inter
essant ist:
Actum Borken, den 22. Dezember 1682.
Nachdem Elisabetha Curtt Hucken sel. von Näßen-
erfurth hinterlassene Wittibe ihres Alters 90 Jahr,
so itzo im.Hospital, berüchtiget worden, daß sie ver-
wichenen Advent als sie das heiüge Abendmahl ge
brauchet, das gesegnete Brod des Herrn wieder aus
dem Mund nach einem Schnupftuch gezogen und bey
sich gestecket, alß wurde sie deswegen gehöret, ob
sie auch zwar anfangs nicht geständig, usf vielfältiges
Amtsgerichtsrat Rabe in Borken, Bez. Kassel.
Zureden aber soweitt sich bloßgab, daß ihr solches
vergehen, wurde desto ernstlicher zugeredet, daß
viele Zeugen solches gesehen und mit einem leib
lichen Eidt solches bezeugen könten, sie solle Gott
die Ehre geben und die Wahrheit bekennen, ob sie
das Brodt des Herrn zurückbehalten und zu weß
Ende solches geschehen, Woruff sie endtlich bekant,
daß das Gesegnete in ihrem Sontagsrocke zu finden
und wehre dasselbige guth vor böse Blattern in den
Augen, zu dem ende sie solches behalten, und als
sie weiter gefragt, ob sie solches jemals practiciret
und guth befunden, sagt sie Ja, sie hätte es vohrmalß,