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mit einem Male, wie wenig er sie kannte, und wie
kühn seine Werbung war. Stammelnd brachte er
seine Bitte vor. Da lachte sie erst unbändig, dann
zog sie ein beleidigtes Mündchen: „Nein, Nach
bar, macht Euch keine Hoffnung! Meine Kinder
kommen nicht in Euren Wagen!" Und als er von
der schönen, neuen Wohnung sprach, sagte sie noch:
„In Eure Schneiderhölle * setze ich keinen Fuß, und
wenn sie mit Gold ausgeschlagen wäre!" Sie war
tete nicht seine Antwort ab, sondern ging hinaus.
Ihr Vater klopfte Christoph beruhigend auf die
Schulter und den Rücken: „Siehst du, so sind sie!
So hat sie Gott geschaffen!"
Der Schlosser erzählte beim Branntwein von dev
mißglückten Werbung des Schneiders und schadete
damit seiner Tochter. Für einige Zeit hing sich
ihr allerlei müßiges Gerede an. Sie erfuhr es nicht
oder machte sich nichts daraus: sie wartete auf den,
der ihr das Glück bringen sollte. Einmal mußte er
doch kommen, den sie so liebte, daß sie seine Fehler
nicht sehen wollte.... Es mangelte ihr auch nicht
an Bewerbern, aber sie konnte jeden mit nüchternen
Augen betrachten, und an jedem 'fand sie etwas
auszusetzen. Der Mann aber, der sie blind machte
vor Liebe, erschien nicht. Sie wartete auf ihn, bis
sie dreißig Jahre alt war und scharfe Fältchen sich
ihr um Augen und Mundwinkel zogen. Da nahm
sie ihren Vetter. Er war nicht der Schlechteste, aber
auch nicht der Beste von denen, dre sich im Laufe der
Jahre ihr genähert hatten. Er war jähzornig und
rauh, aber er hatte den Namen und den Beruf
ihres Vaters. „Ich brauche wenigstens nicht das
Haus und den Namen zu wechseln", sagte sie
Die Schramme Karline war seit Jahren Groß
mutter; ihr Enkel zählte sieben Jahre, ihre Enkelin,
das Linchen, fünf. Ihr Mann war schon lange tot.
In den ersten Jahren nach seinem Mißerfolg hatte
Christoph die Nachbarin nicht angesehen, dann hatte
er ihr wieder ein Guten Morgen! oder Guten
Abend! zugenickt, und schließlich rief er ihr sogar
wieder über die Gasse zu: „Schön Wetter heut!"
oder: „Es fährt mit Regen!" Je älter die beiden
wurden, um so zufriedener fühlte sich Christoph. Sie
hatte es nicht allzugut bei ihrem Schwiegersohn.
Auch ihre Gesundheit ließ zu wünschen übrig: seit
Jahren schon mußte sie am Stocke gehen. Christoph
aber war noch stark. Er konnte es sich nicht ver
sagen, vor ihren Augen mit seiner Kraft zu prahlen,
indem er Säcke und Körbe wie ein Junger schwang.
„Willst du Ditterritter?" rief er manchmal, wenn
er mit einem Korb voll Birnen aus dem Garten kam,
„sie sind noch schön krachig!" Er wußte nur zu gut,
daß sie rohes Obst nur noch mit dem Messer ge
schabt essen konnte. Seinen Spott ertrug sie leicht:
nach süßen Birnen hatte sie kein Verlangen mehr,
und um seine Zähne beneidete sie ihn nicht. Aber
* Hölle nach Grimm eigentlich „ein Raum unter dem
Tisch der Schneider, in den der darauf Sitzende dre
Beine steckt; nach der Volksmeinung sollen hierin die
Schneider von den ihnen anvertrauten Stoffen das Mög
liche verschwinden lassen".
daß er den ganzen Tag im Garten werken konnte,
daß er immer der erste mit dem Graben, dem Säen
und dem Ernten war, daß er seinen Garten viel
besser instand hielt als ihr Schwiegersohn, der wenig
Zeit dafür erübrigte, das wurmte sie. Da sie selber
nichts mehr zur Förderung der Arbeit in ihrem
Garten tun konnte, so suchte sie wenigstens Christoph
nach Möglichkeit zurückzuhalten, damit er nicht einen
gar zu großen Vorsprung vor ihr' gewann. Aber
ihre Warnungen vor den Eisheiligen, vor den
Siebenschläfern, vor den Schnecken, den Erdflöhen
und den Kohlweißlingen schlug er in den Wind.
Seine Bohnen und Gurken gingen immer auf,
er hatte zuerst grüne Erbsen, und wenn andere noch
nicht daran dachten, brachte er schon neue Kartoffeln
heim. Sie hätte darüber bersten können vor Wut.
Das wußte er, und das machte erst seine Freude
vollständig. Ihre Überwachung des Nachbarn und
seine Schadenfreude über ihren ohnmächtigen Zorn
waren ihnen Herzensbedürfnis, und je älter sie
wurden, um so inniger wurde ihre grimmige Freund
schaft
„Die Kartoffeln müssen erst die Michelskraft
haben", hatte die Karline gesagt, und Christoph
hatte sie ausgelacht. O, er wußte, was sie wollte:
verfaulen sollten ihm die Kartoffeln im Regen
wetter, das wollte sie!
Als er am Abend mit einem schweren Sack Kar
toffeln auf dem Schubkarren über das holprige
Pflaster in die Gasse einbog, lockte das Rasseln Kar-
line ans Fenster. Er freute sich über ihr bitter
böses Gesicht und nickte ihr triumphierend zu. „Siehst
du, hättest du mich genommen!" dachte er, „was
bin ich noch für ein Kerl!" Und obwohl das Holz-
gesüge des alten Fahrzeugs bedenklich hin- und her
schaukelte und knirschte unter der schweren Last, gab
er dem Karren einen tüchtigen Schwung, um seine
Kraft und Jugendlichkeit zu zeigen. Aber das Rad
stieß wider einen scharfen Stein, der Karren geriet
in ein starkes Wanken, Christoph hielt krampfhaft die
Handhaben fest ... da brach mit einem Krach der
Karren entzwei, und der Sack rollte auf die Erde.
Karline, die sich schon hatte zurückziehen wollen aus
Ärger über Christophs Erntesegen und Schaden
freude, legte sich breit ins Fenster und rief: „Alte
Knochen und alte Schubkarren taugen nicht viel,
Nachbar!" Er erwiderte nichts. Beschämt schleppte
er den Sack und die Trümmer nach Hause.
Am meisten wurmte es Christoph, daß an ein
Ausbessern des alten Fahrzeugs nicht zu denken war.
Er führte nur noch selten die Nadel, und bares
Geld war wenig in seinem Hause zu finden. Sollte
er der Karline den Triumph gönnen, daß er Geld
von der Sparkasse holen mußte?
Am nächsten Tag hatten die Leute in der Drei
mannsgasse wieder etwas zu lachen: ein alter Kinder
wagen stand vor Christophs Haus! Christoph schien
von den Bemerkungen der Nachbarn und der Vor
übergehenden nichts zu hören. Er schraubte vorsichtig
das Oberteil des Wagens ab, bis nur noch die
Achsen mit den Rädern übrigblieben. Dann schleppte