Full text: Hessenland (38.1926)

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meist konkreten Inhalts. Nur so konnte „Zirene" zn 
„Zitterrinde" und'„Citrone" werden! 
Ein weiteres Musterbeispiel volksetymologischer 
Umdeutung bietet uns der Jelänger-Jelieber in der 
Herrschaft Schmalkalden, die ja zu Hessen gehört. 
Besagter Jelänger-Jelieber ist bei näherem Hinzu 
sehen wiederum unser schöner Flieder, den wir so 
eben auf Kreuz- und Quersahrten in Hessen und 
Nassau beobachtet haben. 
„Jelänger-Jelieber?" werden die Schmalkalder 
sagen, „das stimmt ja gar nicht. Wir haben einen 
viel poetischeren Ausdruck, wir sagen ,Liebende En 
gels" Wer hat nun Recht? Beide haben Recht, 
ja, sogar ein dritter, der behauptet, es heiße ja 
„Ängelieber"! Diese letzte Form, die auch „Engel 
lieber" geschrieben worden ist, gibt uns den Schlüssel 
zum Verständnis des Zusammenhangs, in dem die 
beiden andprn stehen. Das umständliche und dem 
Volksdenken befremdliche „Jelänger-Jelieber" wurde 
zum „Längerlieber"— eine Zwischenstufe ist „Länger- 
ilieber", aus Brotterode bezeugt — vereinfacht und 
lebt noch in dieser Form (z. B. in Rotterode). In 
manchen Orten ging die Umbildung weiter unter 
Anlehnung an Engel zu „Engellieber" (eingesandt 
aus Mittelstille und Bermbach). Im Ort Schmal 
kalden ist noch beides bekannt und gebräuchlich, 
Längerlieber neben Engellieber. 
„Engel" und „lieb" sind bekannte Begriffe, nur 
die Form „Engellieber" könnte noch störend wirken, 
da die Schriftsprache und die Mundart ■, sonst keine 
entsprechende Wortbildung kennt. Dieser Schritt zur 
Anpassung der Form (vorher war der Inhalt pas 
send gemacht worden) wird nun auch noch getan — 
und in Kleinschmalkalden heißt der Flieder „Lieber 
Engel"! 
So hat uns unsere Wanderung durch das flieder 
duftende Hessen-nassauische Land bis nach Schmal 
kalden geführt. Nicht nur einen Notizblock voll 
Namen haben wir mitgebracht, nein, dem mundart- 
sprechenden Volke haben wir dabei ein wenig die 
Gedankengänge inspiziert und gesehen, wie ver 
ständig und auch wie kraftvoll es sich fremdes und 
unverstandenes Gut zu eigen zu machen versteht. 
Aller Ballast, z. B. Herkommen des Wortes, Poesie 
des Ausdrucks, praktische Logik zur Scheidung von 
Gattungsbegriffen (Syringe wird zu Citrone!) wird 
beiseite geworfen, Anschaulichkeit allein triumphiert. 
Von der Dreihundertjahrfeier der Universität Marburg 
(27. - 31 Juli 1827). 
Vier Tage und vier Nachte auf dem Zten Secularfeste in Marburg. 
(Schluß.) (Schreiben eines alten Burschen an seinen ehemaligen Universitäts-Freund.) 
Den folgenden Sonntag Morgen war in der 
Deutsch-Haus- und Lutherischen Kirche um 7 Uhr 
Gottesdienst. Nach Beendigung desselben fing man, 
um sich zu erstaunen, in den Wein- und Conditor- 
häusern wieder damit an, womit man in der ver 
gangenen Nacht aufgehört hatte, — nach dem be 
kannten, „vom vorigen Rausche zufrieden, schon 
auf den zukünftigen bedacht". Daraus versammelte 
man sich wieder, wie gestern, gegen 9 Uhr i n u. 
vor der Elisabethen-Kirche zum 2 teu feierlichen 
Zuge nach der Universitäts-Kirche, der heute mit 
Glockengeläute begleitet wurde. 
Des zuschauenden Volkes war noch einmal so 
viel, wie gestern. Bei keinem andern feierlichen 
Feste wird je wieder bis zum künftigen Jubiläum 
eine solche Menschenmenge in dem alten, geschichtlich 
merkwürdigen Marburg zusammen kommen! 
Nach beendigter Kirchen-Feier die durch ein kräf 
tiges Singchor mit Instrumental-Musik unter Lei 
tung des musikalisch enthusiastischen Cantor's Beck 
erhöht wurde, gings wieder in's große Auditorium, 
wo, nach gehaltenen Reden, mehrere Promotionen 
vorfielen, und damit die Vormittags-Feierlichkeit 
geschlossen. 
War's gestern ein Menschengetreibe ans den 
Straßen, so war's heute ein beinah' undurchdring 
liches Gedränge, denn die Plebejer, jetzt Kaffern 
genannt, aus der ganzen Umgegend hatten sich, 
weils Sonntag war, zur Stadt gezogen, und an 
Fremden waren die ganze Nacht hindurch und den 
ganzen Vormittag noch sehr viele angekommen, so 
daß in den 4 ersten Gasthäusern alle tublss ck'dots 
dicht besetzt, und alle übrige Wein- Bier- und 
Schnapshäuser gepfropft voll waren. 
Ohnerachtet der Tageshitze brach dennoch gleich 
nach der Mittagstafel im blauen Löwen ein Com- 
mers los, — so hatte die Freude des Festes Alt 
und Jung exaltirt! 
Nachmittags gings theilweise wieder nach Pfeif 
fers Garten. Tie Ruinen von der vorigen Nacht 
waren ziemlich weggeschafft, — in den Anlagen 
des Gartens sahe man aber die Folgen von dem 
2 Tage und 2 Nächte hindurch statt gehabten Ge 
dränge. 
Der Eigenthümer des Gartens wußte sich psr 
inckiroetum zu entschädigen. 
Gegen 8—9 Uhr Abends zogs nun wieder nach 
der Stadt zurück. Wer an dem auf dem Rathhause 
pon der Stadt den Burschen veranstalteten großen 
Ball, — mit Wein und kalter Küchen-Bewirthung, 
Theil nehmen wollte, schickte sich dazu an. 
Ja, man ist wohl auf manchem großen Balle, 
und auf mancher großen Maskerade in Residenzen 
und an Bädern, bei Fürstlichen und anderen großen 
Feierlichkeiten gewesen, — aber von diesem Univer- 
sitäts-Jubiläums-Balle eine solche vollständige Be 
schreibung zu machen, um sich die Wirklichkeit dar 
aus vorzustellen, ist unmöglich. Der Grund liegt
	        
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