Full text: Hessenland (38.1926)

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Springen wir zweieinhalb Jahrhunderte zurück 
in die Zeit Wilhelms IV. und Moritz' des Ge 
lehrten. Noch ungestört durch fremde Absichten liegt 
hier in den Unternehmungen, Versuchen und Ver 
arbeitungen der allein begründende und zielweisende 
Wille der Landgrafen zu Tage; selbst in dem am 
frühesten von dem Gesamtkörper der Sammlungen 
abgelösten und nach eigenen Gesetzen fortentwickelten 
Teilstück: der Bibliothek. Auch sie war ja in ihrem 
Ursprung, nicht anders wie Sternkataloge und Her 
barien, Warte und Lustgarten, nichts als ein Glied 
in dem geschlossenen Ring eigenster fürstlicher Be 
mühung, einer Bemühung freilich, die nicht auf die 
leidenschaftslose Abstraktheit einer wissenschaftlichen 
Disziplin ging, sondern auf die Verknüpfung aller 
Erfahrbarkeiten mit dem Heil des Körpers und der 
Seele. 
Dos kommt vielleicht nirgends so schlicht zum 
Ausdruck wie in der Dedikation, die Ratzenberger 
seinem Herbarium mitgab, als er es kurz vor Wil 
helms Tode 1592 dem Prinzen Moritz widmete, 
sowie in der landgräslichen Antwort auf sie. Keßler 
hat beide Schriftstücke in seiner 1870 erschienenen 
Schrift über „das älteste und erste Herbarium 
Deutschlands", das heute den Stolz des Kasseler 
Naturalienmuseums bildet, und — mit Berücksich 
tigung des inzwischen in Bd. 4 der N. A. der 
Zeitschr. H.G.V. herausgekommenen Aufsatzes von 
Quehl über das Mauritianische Herbarium, das 
ebendort liegt — im Programm der höheren Bürger 
schule von 1872 abgedruckt. Den jungen Ärzten 
und Arztschülern (Neäici und Neäicinae lirones) 
hatte Ratzenberger sein dreiteiliges Herbarium zur 
Belehrung zugedacht — „Kreuter so tzur leber lungen 
Hertz mutter und wund ertznei dienlich", heißt es im 
Titel zum mittleren Teil —, und einen Arzt, den 
Leibmedicus Mauritius Thaurer bezeichnet Moritz 
als seinen Referenten in dieser botanischen An 
gelegenheit, obwohl schon seit 1591 der mit land 
gräflichen Stipendien in Padua zum Botaniker aus 
gebildete I. A. Hyperius sich zu Kassel in des 
regierenden Landgrafen Diensten befand — (Keßler, 
Ldgrs. Wilh. IV. als Botaniker, Programm der 
Realschule Kassel, 1859, S. 20 ff). 
Und noch das zweite vierbändige Herbarium 
Nauritianurn, das zwischen 1596 und 1629 in 
Kassel zujammengestellt wurde, steht fast ausschließ 
lich unter der Aufsicht und Förderung der Ärzte, 
wenn auch für Keßlers Vermutung (Progr. 1872,15), 
daß seine Anlegung auf Thaurer zurückginge, kein 
Beweis zu erbringen ist. 
Es konnte für eine Weile scheinen, als ob Kassel 
zu einer kulturellen Vormacht werden sollte, nach 
dem es aufgehört hatte, eine politische zu sein; Astro 
nomen und Mechaniker, Botaniker und Alchymisten, 
Künstler, Komödianten und Musiker fanden sich am 
Hofe dieser weisen und gelehrten Fürsten. Und 
wahrlich nicht von ungefähr; denn Krämer und 
Könige wurden bemüht, um das Kostbarste und Sel 
tenste nach Kassel zu ziehen. In diesen Tagen, da 
sich das Museum anschickt, sich leitend und fördernd 
der lang entfremdeten Naturaliensammlung wieder 
anzunehmen, darf wohl mit besonderem Nachdruck 
auf diese alten Strebungen hingewiesen werden. 
Nachdem v. Rommel (V. S. 728—33) die Garten- 
liebhaberei Wilhelms mit einer Fülle von Bemer 
kungen anziehend geschildert hatte, hat Keßler in 
seinem Programm von 1859 die Reste der land 
gräflichen Korrespondenz mit Fürsten,» Gelehrten und 
Händlern vorgelegt. Da erscheinen die Nürnberger 
Torisanis, schon 1562, sechs Jahre vor Gründung 
des Lustgartens als Lieferanten von Pomeranzen, 
Zitronen und Myrtenbäumchen; 1574 bezieht Wil 
helm durch sie Samen aus Florenz, 1585 strecken sie 
auf fürstliches 'Geheiß dem damaligen Studenten 
Hyperius in Padua Geld vor. Es sind dieselben 
Kaufherren, die von Drach im Zusammenhang mit 
dem hessischen Tapetenimport ermittelt hat, und 
mit denen noch Moritz (Rommel, VI, 403) über 
Musikertruppen korrespondierte. Es erscheinen die 
Fürsten, Verwandte und Nichtverwandte, bis hin 
auf zu Kaiser Maximilian II., dem Wilhelm am 
22. Juni 1575 für die Übersendung von Samen 
exotischer Gewächse mit artiger Aufmerksamkeit dankt. 
Er schickt nämlich dem Kaiser, da er von seiner Vor 
liebe für kunstreiche Uhrwerke gehört habe, „einen 
kleinen globum caelestem cum vero motu solis 
et calendario“ — einen belveglichen Himmels 
globus —, den er als Probestück habe anfertigen 
lassen, um danach einen von Silber und kunstreicher 
Goldschmiedearbeit in Auftrag zu geben. Da aber 
der kaiserliche Rat Jlsung Maximilian schon Mit 
teilung von dem bevorstehenden Geschenk gemacht 
und Wilhelm berichtet habe, wie sehr der Kaiser 
nach dem Globus verlange, so wage er es, dies 
Probestück — entweder aus Kupfer oder, wie meh 
rere der Globen des Landgrafen, aus Papier (siehe 
v. Drach: die zu Marburg befindliche Globusuhr, 
1894, S. 5 f.) — mitsamt dem Meister des Werks, 
der es probieren und erklären solle, schon jetzt an 
Kaiserliche Majestät abzusenden, selbst auf die Gefahr 
hin, damit noctuas Athenas, Eulen nach Athen, 
zu tragen. 
Diese wichtige, durch botanische Interessen ein 
geleitete Jnstrumentenüberweisung geht der ersten 
Reise Bürgis an den kaiserlichen Hof nach Prag um 
17 Jahre voraus. Auch dann war es der Kaiser, und 
zwar Rudolf II., der „nachdem wir berichtet worden, 
daß Dein Lieb ein geschickten mechanicum Joß 
Bürg genannt, hab", dem Landgrafen nahelegte, ihn 
mit seinen Wunderwerken zu übersenden (v. Drach, 
Bürgi S. 23); aus obigem Brief von 1575 wird deut 
lich, wie der Kaiser durch seine auswärtigen Räte 
über den Hof zu Kassel informiert wurde. Wer der 
Meister war, den Wilhelm damals an Max schickte, 
läßt sich nur vermuten; es war entweder der seit 
1568 in Kassel bestallte Eberhard Baldewein oder, 
da Wilhelm am 1. Dezember 1573 noch an Al 
brecht von Mecklenburg schrieb, daß nach Tod und 
Wegzug seiner Meister ein Globus „Jtziger Zeit 
dyeser Landen nit verferttigt werden mag" (v. Drach, 
Globusuhr 6, A1), — wahrscheinlicher noch Bürgis
	        
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