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Militär als solches nicht kommandiert ist, nur preu
ßische Truppen." Ein späterer dagegen berichtet
über die vollzogene Handlung: „Sonderbarer Weise
wurden unsere Offiziere von der Tribüne in das
Schloß kommandiert und umgaben mit den preu
ßischen Offizieren auf dem Balkon die Herren von
Möller und von Werder.... Vom Publikum wurde
aber das Siegeslied nicht mitgesungen, aber in das
Hoch wurde ziemlich allgemein eingestimmt." —
So standen Schonendes und „Sonderbares", Ab
gelehntes und Aufgenommenes einander gegenüber.
„Ob es eine schöne Feier gewesen?" fragte von
Möller, der (ebenso wie seine Begleiter auf dem
Schloßbalkon) sich rasch die Zuneigung der Bevöl
kerung gewann. Eine unterhalb der Oberfläche von
Schaulust und Neugier schöpfende Antwort dürfte in
dem ruhigen Urteil einer treuen Kasselanerin liegen:
„Was uns den Übergang leider erleichterte, war die
Unbeliebtheit der oder des letzten Fürsten und die
Gewißheit, daß der Thronfolger noch weniger als
dieser die Liebe des Volkes würde erwerben können.
Was es uns aber sehr erschwerte, war, daß
vieles so rasch zu unsern Ungunsten verändert wurde,
was durch ein langsames mehr nach und nach Vor
gehen uns den Übergang in andere Verhältnisse hätte
erleichtern können." In der Tat wird jenes äußerlich
Letzte seine Beleuchtung auch von der nächsten oder
weiteren Folgezeit her gewinnen müssen. Die be
sagte Beschleunigung soll übrigens „ganz gegen den
Willen des Königs" gewesen sein. Dasselbe werden
wir von der eigenartigen Beleuchtung annehmen
dürfen, die die kurhessische Vergangenheit zuweilen
in Altpreußen erfahren zu haben scheint. Zwanzig
Jahre nach jenen „letzten Tagen" wußte meine junge
Base aus der Mark nichts weiter davon, als daß der
auf dem Friedrichsplatz verewigte Landgraf seine
Landeskinder nach Amerika verkauft und sich selbst
ein Denkmal errichtet habe. Hätte sie gar nichts
davon gelernt, wäre das nicht weiter aufgefallen.
So aber meinte man „die Absicht" zu merken und
war verstimmt. — Ein vor wenigen Wochen ge
druckter Roman von C. R. Vietor „Groß Macht
und viel List" weiß von demselben Friedrich II.
desto mehr, aber durchweg Ungünstiges zu erzählen,
nimmt ihn aber wenigstens im Betreff des viel er
örterten „Soldatenhandels" einigermaßen in Schutz.
Den aufregenden Tagen vor dem diesjährigen Volks
entscheid war es vorbehalten, alte, manchem un
angenehme Erinnerungen aufzuwärmen.
Rhöngruß.
Ein Duft von Heidekraut! — Welch' ein Geflimmer!
Ein kleiner Strauß, der auf dem Schreibtisch steht,
Und über den die Zugluft leise weht,
Er brachte mir die ganze Rhön ins Zimmer.
Als ob ein Vorhang plötzlich aufgegangen,
So schaue ich in fernes Land hinein,
Auf wette Matten zwischen Felsgestein,
Die in der Sonne letzten Gluten prangen.
Indessen kann und soll hier — unter Ausschluß
der Frage nach dem Recht geschichtlicher Taten —
nur von Eindrücken die Rede sein, die für das Ur
teil des Laien in Betracht kommen, nicht aber das
jenige des Forschers bestimmen.
Das „teuer werte Land", das Altmüller, und ein
„deutscher Strom", den Dingelstedt besungen, be
rühren sich vielleicht in einer Art Aschenbrödelrolle,
die ihnen von verschiedenen Seiten — sehr unver
dienter Weise — zugewiesen wurde. Wo sich beide
bei der „Hafen"- und Hugenottenstadt des Land
grafen Karl äußerlich und örtlich berühren, wo die
Weser, von der Schillers Epigramm „gar nichts zu
sagen" wußte, und die ich auf zwei Berliner Bild
hauerwerken unter Deutschlands Strömen übergan
gen fand — Hessenflur und Hessenwald bespült, da
ragen über die Diemelmündung ein paar schroffe
Felsen aus Buchen und Fichten empor, die hessischen
Klippen geheißen. Mahnen sie an Klippenhaftes
auch in der deutschen Geschichte, das längst über
wunden ward, wie in Urzeiten das Felsgestein durch
unaufhaltsame Fluten, oder an anderes, das der
Überwindung wartet? — Eine Inschrift, die am
Fuße eines dieser Felsen auf bescheidener Tafel die
Wanderer grüßt, deutet anders:
„Hessische Klippen" siehe sich trotzig hinter dir türmen,
Aber zu weiteren Gau'n gleiten den deutschesten Strom!
Landsmann, halte sie hoch, des Reiches geeinete Größe!
Doch in geweiteter Brust halte die hessische Treu!
Bei meinem letzten Besuch fand ich die Holztasel
-gespalten. Sie wird sich leichter zusammenfügen oder
erneuern lassen als die geeinte „Größe" des Reichs.
Verhängnisvoller Zwiespalt zerklüftet das „Reich",
das die Kaiserkrone drangab wie Hessen den Kurhut,
und dessen Größe schwerste Einbußen erlitten hat.
Die sie in Hoffnung hochhalten, erhitzen sich nicht
an uralten Kriegsschuldfragen, ziehen auch keine
falschen Schlüsse aus dem Aufgehen eines deutschen
Landes in einem großen Reich auf ein Verschwinden
Deutschlands in der Völkerwelt. Sie wissen, daß die
besten Kurhessen allewege gute Deutsche sein wollten,
und schmollen nicht über längst Vergangenes und
Überwundenes. Aber sie empfinden als „Volk der
Denker" mit ihrem Wilhelm von Humboldt: „Ich
habe eine große Liebe für die Vergangenheit. Nur
was sie gewährt, ist ewig und unveränderlich —
wie der Tod, und.zugleich — wie das Leben, warm
und beglückend."
Rhönsommer! Wie befreit von aller Schwere
Auf weichem Teppich schwebte unser Fuß,
Wie sangen wir der schönen Welt zum Gruß
Und jauchzend ihrem Schöpfer Dank und Ehre!
Und Heide blühte auf den weilen Flächen!
Heut' hat sie mir den Gruß der Rhön gebracht,
Und eine Sehnsucht ist in mir erwacht
Nach bunten Matten und Forellenbächen.
Franzi Fliedner-Braun.