Full text: Hessenland (38.1926)

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Helm IX. den Kurhut gewünscht. „Der Hut", nach 
dem Kellermeister in „Wallenstein" „des Menschen 
Zierat", fand' sich. Aber zu „küren" gab's nichts 
mehr, als der Reichsdeputationshauptschluß dies 
fürstliche Haupt zugleich mit drei anderen schmückte, 
drei Jahre vor des Reiches Zusammenbruch, kurz vor 
Toresschluß. Es wird keine starke Übertreibung 
sein, schon da den Anfang vom Ende zu sehen. Was 
folgt, dürfte eine überwiegend rückwärtige Bewegung 
zeigen. In allen Ehren gewiß jede Betätigung ur 
alter Hessentreue auch im 19. Jahrhundert: die 
beiderseits große, ehrliche Freude der Wiederver 
einigung von Volk 'und Landesvater 1813 —, das 
Heldentum der freiwilligen Jäger und die Mühsal 
ihrer festenbrechenden Kameraden mit und ohne 
den „Eisernen .Helm" 1814 und 15 —, die heißen 
Bemühungen der Besten um Verfassung und Wahl 
recht! Aber was mit dem eigensinnigen, von Lis- 
sauer verspotteten Zurückschrauben der Geschichte, 
dem Streichen der Franzosenjahre durch den ersten 
Kurfürsten begann — und in das ebenso eigen 
sinnige Zurückhalten der hauptstädtischen Entwick 
lung auslief, das war, verschlimmert durch uner 
quickliche Eheverhältnisse im Herrscherhaus und — 
damit im Zusammenhang — durch ebenso uner 
freuliche Beziehungen zwischen Fürst und Vollk 
allzusehr im strengen Sinne „Reaktion", um nicht 
an den Stützen des Thrones zu nagen. 
Nicht freilich, als ob es an Lichtblicken — auch 
in den letztgenannten Beziehungen — gefehlt hätte. 
Nicht, als ob die Zustände so übel gewesen wären, 
daß „Ausländer" zu mitleidigen Gefühlen oder gar 
zu „befreienden" Eingriffen Anlaß gehabt hätten. 
Der Kurhut war zerfressen, und das Haupt darunter 
krankte — oft gekränkt und kränkend zugleich — wohl 
in mancher Beziehung. Aber soweit es bei solchem 
Kopfleiden möglich, war der Staatskörper gesund. 
Tüchtig waren die Beamten, gut und wirksam die 
Gesetze. — „Weißt Du, Fritz," soll Wilhelm I. von 
Preußen nicht lange vor 1866 zu seinem Kasselep 
Vetter gesagt haben, „wir haben keine Polizei 
staaten mehr, sondern Rechtsstaaten." „Darum führe 
ich auch immer Prozesse," sei die Antwort gewesen, 
„habe aber noch keinen gewonnen." In freund 
nachbarlicher Überbrückung der Standesunterschiede 
wohnten die Bürger „einträchtig beieinander" und 
fühlten sich auf den Kasseler Felsenkellern, im 
Theater und im „Lesemuseum", auf den Marburgeo 
„Terrassen", im Hanauer Wilhelmsbad, beim Hers 
felder „Bruder Lolls" und anderwärts nichts weniger 
als bedauernswürdig. Wenn aber der Kurfürst 
nützliche Bauten verbot, mißliebige Leute nicht auf 
kommen ließ, oder auch einen ärztlich verlangten 
vierwöchigen Urlaub ins „ausländische" Pyrmont 
abschlagend, einen achtwöchigen nach Hofgeismar 
bewilligte, so ärgerte man sich. Und wo dann seine 
Isabellen auftauchten, flüchtete mancher in die nächste 
Haustür. 
Mit dem Kurhut mußte dann freilich auch man 
ches Altbewährte weichen. Und nicht nur Gemüt 
liches, sondern auch wahrhaft Gemüt volles mußte 
dem neuen Stand der Dinge zum Opfer fallen. 
Daß Giessens damalige Lage und Stellung allzu 
reichliches Blutvergießen ausschloß, war zweifellos 
erfreulich. Aschaffenburger Verwundete wurden von 
dem oben genannten Pfarrer Ebert, dessen Schwieger 
sohn, der Husarenrittmeister Heyen, über ihren elen 
den Zustand geklagt hatte, besucht und samt ihren 
Familien durch eine Geldsammlung unterstützt. Aber 
bedauerte die Bürgerschaft nicht npr die Opfer des 
Kampfes, sondern die Kämpfenden überhaupt, so 
wird eine auf nun längst Vergangenes und Ver 
schmerztes zurückblickende Geschichtschreibung gerade 
in der Kampflosigkeit jener (nicht im Sinne der 
Mutlosigkeit, aber der Führerlosigkeit) kopflosen Tagp 
etwas ungemein Wehmütiges, tief Tragisches er 
blicken. Eine sechshundertjährige, tatenreiche Ge 
schichte im Sande verlaufen, für ein Volk tausend 
fach bewährter Krieger eine Waffenruhe ohne Waffen 
ruhm, das war das Herbe jener letzten Tage, nicht 
der geringste wahrlich unter den „tausend Schmer 
zen", von denen Karl Altmüller sang, nicht der 
geringste für die mit „der Treue Gold im Herzen".— 
Sie haben freilich über ein halbes Jahrhundert 
später ungleich größere Bitternis durchkosten und 
minder Erträgliches tragen müssen! 
Ein näheres Eingehen auf den Gang der dama 
ligen Dinge können wir heute guten Geschichts 
büchern überlassen, die von Bismarck und dem 
Norddeutschen Bund, aber auch von Abbee und 
seinen Mitministern, vom Grasen Paar und der 
„Fürstin" (von Hanau), von des Kurfürsten Schwan 
ken und seinem endgültigen „Nein" zur Genüge be 
richten. Die laue Sommernacht der Kriegserklärung, 
die Schützengräben am Tannenwäldchen, die Wachen 
der Feuerwehr, die erstell preußischen Husaren am 
Frankfurter Tor, das sind Erinnerungen, die Pro 
fessor Dr. Brunners zur Kasseler Jahrtausend-feier 
erschienenes Buch bei den ganz Alten aufleben, Bil 
der, die es vor den Jüngeren anschaulich erstehen 
lassen wird. Sprichwörtlich ist seit jenen Tagen die 
nach Wiener Blättern „affenartige" Geschwindigkeit, 
mit der die mitteldeutschen Länder von den Preußen 
besetzt wurden. — Eines Oktobertages aber wehen 
— „so reinlich und so zweifelsohne"— schwarz 
weiße Fahnen an Stelle der rot-weißen, steht der 
erste preußische Präsident mit dem Generalgouver 
neur von Werder auf dem Balkon des „Roten 
Palais", die „Allerhöchste Proklamation" in der 
Hand, donnern's die Kanonen, daß sie von nun an 
„ultima ratio r e g i s, eines Königs letztes Aus 
kunftsmittel" seien, eines Königs, der's freilich in 
seiner Herzensgüte „demnächst (nach einem Kasseler 
Brief vom 10. August 1867) „selbst dem Volk 
sagen" wollte: „es würde nicht so schlimm" (und 
das dann auch in herzgewinnender Weise bekundet 
hat), — steigt über dem Schloß der Wappenadlev 
empor. Und von allen Türmen tönen die Glocken 
„Grabgesang" dem „vormaligen Kurfürstentum" 
Hessen. — „Unsere hessischen Offiziere", heißt es 
in einem Brief vom 7. Oktober, „sind zur Tribüne 
der Behörden kommandiert, während das hessische
	        
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