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die Bewohner ihr wenig schmeichelhaftes Ansehen
kannten, war der einzelne besonders darauf bedacht,
andere anzugeben, um sich reinzmvaschen. So wer-
den gegen die Katharina Lipps, .,Hausfrau des
Opfermannes — wie der Lehrer in den mir freund
lich zur Einsicht überlassenen Akten des Staats
archives immer genannt wird — Dietrich Lipps"
sechs Anklagepunkte vorgebracht. Eine Frau behaup
tet, daß ihr Vater zwölf Jahre krank gelegen hätte,
weil Katharina Lipps ihn mal auf den Arm ge
schlagen hätte, worüber er bis in den Tod geklagt
habe. Ein anderer Dorfbewohner erzählt, daß er
Angeklagte allgemein für eine Hexe gehalten, „auch
bei ehrlichen Biedermannsleuten", und daß ihr Ruf
im Orte kein guter war.
Das Marburger Gefängnis war nun unser be
kannter Hexenturm. Die innere Einrichtung eines
solchen Turmes mit all seinen Scheußlichkeiten ist
wohl nicht allgemein bekannt, sonst würde man an
den Fenstern Marburger Kunsthandlungen nicht so
oft poetische Darstellungen des Turmes sehen, mit
geigenzupfenden Jünglingen und aus den Fenstern
holdselig herniederlächelnden Mägdlein. Wir moder
nen Menschen wissen, daß das Schlimmste an der
Der Herenturm in Marburg. Zeichnung von W. G. Ritter f. Aus „Hessenkunst" 1919 . Verlag N. G. Eiweri, Marburg.
sein kleines Mädchen auf dem Arm getragen, als
die Lehrersfrau hinzugekommen, dein Kinde über
die Füßchen gestrichen und seine neuen Schuhe ge
lobt habe. Noch am Abend sei der Fuß bis zum
Knöchel angeschwollen und jetzt, nach 18 Jahren,
noch die Narben zu sehen. Eine Bauersfrau gibt wie
alle anderen ,,8tipn1ata manu" an, daß die An
geklagte eines Tages zu ihr gekommen sei, um eine
Nadel von ihr zu leihen; bei der großen Entfernung
der beiderseitigen Häuser und bei dem Werte, den
ein solcher Gegenstand damals gehabt, fühlte sie sich
veranlaßt, die Bitte abzuschlagen, worauf die Au
geklagte stillschweigend gegangen sei. Als sie gleich
darnach in den Stall zum Füttern gegangen, hätten
die beiden Kühe wie tot da gelegen, sich aber später
wieoer erholt. (Sie hatten wahrscheinlich zuviel
Gras gefressen.) Ich möchte die Aussagen,nicht alle
aufzählen, nur bemerken, daß man die 68jährige
Zuchthausstrafe die Einzelhaft ist. Nun stelle man
sich eine solche Einzelhaft vor, hinter dicken Mauern
ohne Wärme und Licht, kein Laut außer den:
Rascheln der Mäuse und sonstigen Ungeziefers, keine
menschliche Stimme außer den Roheiten der Wärter,
keine Hand streicht freundlich über die gequälte
Stirn, nur ab und zu erschreckt die Berührung einer
Fledermaus, die in dem Schlupfloche aufgescheucht
wurde. Auf das Hygienische dieser Türme will ich
nicht weiter eingehen; daß man sie in alten Proto
kollen als „Stankloch" bezeichnete, möge genügen.
Beliebt war es auch, die Angeklagten in den so
genannten „Block" zu setzen, schwere Eichenbohlen
mit kleinen Löchern, in die die Beine und Arme
gezwängt wurden. Kamen die Angeklagten dann
vor den Richter, so waren sie meistens nicht fähig,
zu stehen oder die Hand zum Schwure er
heben.