Full text: Hessenland (38.1926)

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Worten: „Ei MatthÜ'sche, sie is ja e ganz gewöhn 
lich Person", .worauf diese entgegnete: „Ei Herr 
Hoppch, Sie sin ja ein ganz gewöhnlicher Kerl", 
worauf Hoppch mit erhobenem Finger sie zurecht 
wies und sagte: „Matthä'sche, eich huns zuerscht 
gesagt." Wenn M. die Kneipe besuchte, so tauschte 
alles bis spät in die Nacht — so lange es ging — 
seinen Erzählungen. 
Ein in Marburger Kreisen noch lange eifrig 
besprochenes Ereignis war ein Sülzeessen (auch 
Schlachtfest genannt), das im Winter 65/66 der alte 
Corpsbruder Müller Lotz, der sich früh vom Stu 
dium zurückgezogen und die vom Vater ererbte 
Mühle übernommen hatte, seinen Freunden und 
älteren Corpsbrüdern gab. Es fand in dem da 
mals Schmidt'schen Saal vor dem Barfüßertov 
(nur durch eine schmale Gasse von.dem alten Fried 
hof getrennt) statt. So zahlreiche Einladungen 
waren an Professoren, Beamte, Bürger, ältere Stu 
denten, besonders Teutonen ergangen, daß von den 
geschlachteten Schweinen sicher nicht viel für die 
Räucherkammer übrig geblieben ist. War das Fest 
durch die üppige Fülle von leiblichen Genüssen be 
deutsam, so wurden diese noch überboten durch die 
zahlreichen scherzhaften Veranstaltungen und Auf 
führungen, für die schon lange Wochen vorher die 
Vorbereitungen in aller Stille eifrig und sorgfältig 
getroffen worden waren. Da fehlte nicht die so 
genannte Kartosfelkomödie, eine aus Studenten 
kreisen stammende Parodie der Grillparzerschen 
Ahnfrau, ein Puppenspiel, zu dem die Köpfe der 
Figuren aus recht bizarr gewachsenen großen Kar 
toffeln ausgeschnitzt waren; das Stück brachte zur 
Darstellung, wie der Räuberhauptmann Jaromir, 
der sich für den Grafen Kasimir ausgegeben hat und 
dem als solchem die Hand der Tochter des edlen 
Fürsten Schamutzki versprochen worden ist, durch 
einen Brief verraten wird, dann um Rache für die 
Auslösung der Verlobung zu nehmen, seinen 
Schwiegervater in einer regelrechten studentischen 
Mensur mit allem Zubehör erschlägt, darauf auch 
seine Braut ermordet und zuletzt, da die Gendarmen 
ihn ergreifen wollen, sich selbst tötet. Viele harm 
lose Anspielungen auf einzelne Marburger Verhält 
nisse und Persönlichkeiten dienten zur Erhöhung 
der Lachlust. Die Instrumentalmusik hatten einige 
ältere musikalisch gebildete Herren übernommen, die 
auf etwas vollkommeneren Kinderblasinstrumenten 
ganz vorzügliche Genüsse boten. Es fehlte nicht die 
Drehorgel mit einem ernsten Trichinenlied (kurz 
vorher hatte die Trichinose in Hedersleben furcht 
bare Opfer gefordert), das den wohlgesättigten Fest 
genossen die Martern, die ihrer nunmehr harrten, 
klar vor Augen stellte. Endlich wurde unter per 
sönlicher Beteiligung des Gastgebers eine Reitschule 
vorgestellt. Universitätsstallmeister war damals ein 
hochangesehener Herr v. B., der auch ein Haus 
machte und in dessen Räumen die jungen Stul- 
denten, besonders die Reitschüler, angezogen durch 
eine junge liebenswerte Tochter, viel und gern 
verkehrten. Er selbst, spindeldürr, saß, obwohl er 
ein vorzüglicher Reiter war, oft nachlässig zu Roß, 
machte eiuen krummen Buckel und forderte durch sein 
schwächliches Aussehen zur Nachahmung heraus. 
Es kam dazu die Haltung der Reitpeitsche, das 
Dreheu des kleinen Bärtchens und dergl. Das alles 
hatte der alte Lotz ihm genau abgesehen und er 
hatte sich von dem Stallmeister, der selbst zugegen 
war, Militärmütze und Reitgerte geliehen und er 
schien nun plötzlich auf den Schultern getragen 
von einem stämmigen jungen Corpsburschen und 
ahmte den Stallmeister'so täuschend nach, daß ein 
nicht endenwollendes Halloh erscholl. Der Nach^- 
geahmte war so verständig, die Überraschung nicht 
weiter übel zu nehmen, sondern selbst herzhaft mit 
zulachen. Zum Schluß tanzte dann noch der alte 
Lotz einen Schwälmertanz, bei dem er seine Dame, 
die hochbetagte Bedienerin seines Wellenbades „Die 
Wellengertrud" so hoch im Tanze schwang, daß sie 
einmal über das andere Mal ausrief: „Ach Herr 
jesses Herr Lutz, net so huch, net so huch!" — Bon 
dem Sülzeessen wurde -noch lange in Marburg er 
zählt. 
Rascher als man gedacht hatte, sollte das 
„Krachen", das die Fuldaer Musikanten geahnt 
hatten, losgehen. Die sichtbaren Vorzeichen waren 
Truppenbewegungen, die man auf dem Marburger 
Bahnhof deutlich wahrnehmen konnte. In dem 
Streit über die Zukunft der Elbherzogtümer, der 
zwischen Preußen und Österreich ausgebrochen war, 
hatte die österreichische Regierung die Entscheidung 
des deutschen Bundestages angerufen. Das bezeich 
nete Preußen als eine Verletzung des Gasteiner 
Vertrages, nach dem Österreich die Verwaltung 
von Holstein, Preußen die von Schleswig hatte 
übernehmen sollen, während Lauenburg gegen Geld 
entschädigung an Preußen übergegangen war. Gleich 
zeitig mit dieser Erklärung hatte Preußen von 
Schleswig aus seine Truppen in Holstein einrücken 
lassen. Daraufhin räumten die Österreicher unter 
Gablenz Holstein und zogen ihre Truppen in die 
Heimat zurück. Sie nahmen auf der Eisenbahn den 
Weg über Marburg. Das größte Interesse an diesen 
Truppendurchzügen hatte Freund Karl Schwarzkopf, 
der überhaupt, obwohl er Mediziner war, in mili 
tärischen Dingen, besonders in Uniformfragen ein 
Sachverständiger erster Ordnung war. Er fehlte bei 
solchen Gelegenheiten niemals auf dem Bahnhöfe. 
Kurze Zeit daraus kamen aus. nördlicher Richtung 
lange Züge mit nicht uniformierten preußischen 
Reservisten. In ihrer Zivilkleidung, ihrer werk- 
tägigen Beschäftigungstracht — nur die Offiziere 
trugen Uniform — hatten sie wenig Anziehendes. 
Wie ganz anders sahen die Leute aus, als sie kurz 
nachher militärisch geordnet in nagelneuen Uni 
formen von Wetzlar aus in Kurhessen einrückten! 
Wenn viele gehofft hatten, die politische Aufregung 
werde sich bald wieder legen und es werde wie in 
den Tagen von Olmütz zu keinem ernsteren Zn- 
sammenstoß kommen, so hatten sie sich gründlich ge 
täuscht. In raschen Schlägen folgten.sich die Er 
eignisse. Österreich beantragte die Mobilmachung
	        
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