Full text: Hessenland (38.1926)

bäume stehen besonders zu beiden Seiten des über 
die Höhe führenden Fußpfades (s. Abb. S. 166). 
Eichen und Buchen bleiben da. wo sie auf Geröll 
und auf den Klippen stehen, klein und nehmen 
oft eigenartige, malerische Formen an. Noch mehr 
gilt das von den Sommerlinden, die zuweilen 
geradezu grotesk wirken (s. Abb. S. 166). Ahl- 
kirsche und Vogelbeere fehlen nicht. Weißdorn und 
Stachelbeere bilden vorzugsweise das Unterholz. 
Die Brombeere Uubus eunäionns rankt dazwischen. 
Von den Buchenbegleitern sind fast alle in der 
größten Üppigkeit entwickelt. Im zeitigen Früh 
jahr beherrscht hier der hohle Lerchensporn mit 
seinen purpurrot und weiß gefärbten Blütentrauben 
weithin das Feld. Die überwältigende Pracht des 
Blütenteppichs wirkt wie ein Erlebnis. Einzeln 
stehen dazwischen bis Vs Meter hoch werdend 
die gebräuchliche Schlüsselblume, das Schatten 
blümchen, ferner von Orchideen das männliche 
Knabenkraut und später das großblütige Wald- 
vöglein. Mit zunehmender Beschattung überwiegen 
die unscheinbaren Gräser wie das einblütige Perl 
gras, die rauhe Trespe und der Riesen-Schwingel. 
Hinzu kommen das Bingelkraut, der Aronstab und 
von Stauden die Hain-Klette. 
Fürwahr, üppiges Leben ist es, das zu erhalten 
und nachfolgenden Geschlechtern zu überliefern un 
sere Pflicht ist. Gelingt das nicht, dann erleidet 
das Vertrauen in die Wirksamkeit der Natur 
denkmalpflege schweren Schaden. 
Nachklänge zur Jahresversammlung des Vereins für hessische Geschichte 
und Landeskunde in Gelnhausen vom 30. Juli bis 1. August d. Is. 
Von Oberstleutnant von Carlshausen, k. württ. Kammerherrn. 
Wenn ich heute jenes schöne Fest nochmals an unserem 
geistigen Auge vorüberziehen lasse, tue ich es gewiß nicht 
pro ckomo, d. h. zum Ruhme meiner jetzigen engeren 
Heimat, sondern nur als unparteiischer Zeuge. Ich 
brauche dies eigentlich gar nicht zu betonen, denn ich bin 
Schwabe von Geburt und habe im ehemaligen Kurhessen 
auf dem Stammgut meiner Familie erst vor einigen 
Jahren festen Fuß gefaßt, Grund genug, um mit den 
Dingen hier zu Lande noch nicht so verwachsen sein zü 
können, wie ich es gerne wäre. Jedoch will ich ver 
suchen, nachzuholen, was noch nachzuholen ist. Also 
nochmals: ich spreche nicht pro ckomo,. — 
Die Feier in Gelnhausen verlief ziemlich genau so, 
wie sie entworfen war. Das will schon etwas heißen. 
3 Tage sind lang, können recht viel Arbeit machen und 
Zwischenfälle können auch eintreten. Die erste gesellige 
Vereinigung der Gelnhäuser mit ihren Gästen trug von 
Anfang bis Ende schon den Stempel ehrlicher Freude. 
Der Freude auf das, was die nächsten Tage bieten sollten, 
der Freude über die Gelegenheit, auch einmal von andern 
als den alltäglichen Dingen zu sprechen und zu hören, 
der Freude an dem, was der Abend selbst noch gab: 
eine Reihe ausgezeichneter Reden, musikalische und dekla 
matorische Vorträge, alles geeignet, frohe und herzliche 
Stimmung hervorzurufen und sie zu steigern. Diese 
herrschte denn auch bis zuletzt. Vielleicht wäre sie 
weniger durchgedrungen, wenn, wie es vorgesehen war, 
diese erste Veranstaltung im Freien stattgefunden hätte. 
Zweifelhaftes Wetter verlegte sie aber in den geschlossenen 
Raum und machte sie damit gewissermaßen intimer. Diesen 
Eindruck werde ich wohl nicht allein gehabt haben. So 
war schon der Auftakt zu den Feiertagen gelungen! 
Das ist wichtig, möglicherweise den Ausschlag gebend. 
Man hatte einander zu geben und von einander zu emp 
fangen, die Gelnhäuser und ihre Gäste suchten sich zu 
überbieten in beidem, und beides geschah von Herzen und 
mit dem Herzen. Und der rote Faden, der durch alle 
Veranstaltungen der 3 denkwürdigen Tage sich hindurch 
zog, hieß Heimatstolz und Heimatliebe, er wurde am 
ersten Abend schon zu spinnen angefangen, von Augen 
blick zu Augenblick war er deutlicher wahrzunehmen. — 
Der zweite Tag begann mit einer akademischen Leistung 
ersten Ranges, dem in formvollendeter Rede zum Aus 
druck gebrachten Überblick über die für viele in sagen 
hafter Ferne liegende Entstehung des Kleinods roma 
nischer Baukunst, des stolzesten Besitztums der Stadt, 
der Kaiserpfalz. Gar manchem der Zeugen dieser weihe 
vollen Stunde mag es ein Bedürfnis gewesen sein, von 
so berufener Seite eine Schilderung der Burg auf 
wissenschaftlicher Grundlage zu vernehmen. Und mit 
dieser hat Professor Dr. Rau ch von der Universität 
Gießen nach Form und Inhalt geradezu ein Kabinett 
stück historischer Forschung geliefert. Der Eindruck des 
Vortrags in seiner blumenreichen Sprache tvurde noch 
vertieft durch den Zauber der Stätte, an der er gehalten 
wurde, am herrlichsten Punkte der Burg, dem Eingang 
vom Vorhof zum Pallas. Dazwischen hinein schlug die 
Uhr auf der altehrwürdigen Marienkirche die neunte 
Stunde in den bekannten dreigeteilten Schlägen. Ich 
möchte diese Gedenkfeier, ohne den folgenden Teilen 
des Festes Abbruch tun zu »vollen, als den Höhepunkt der 
Gelnhäuser Festtage bezeichnen; sie wird jedem unver 
geßlich bleiben, der ihr anwohnen durfte. Ihr folgte 
eine Vereinigung der Festteilnehmer in den Räumen des 
ehemaligen Kasinos vor dem Röther Tor, um sich auf 
den zweiten Genuß wissenschaftlicher Forschung auf 
hessischem Heimatgebiete vorzubereiten. Diesen gewähr 
ten die tiefgründigen Ausführungen des Professors- vr. 
Stengel von der Universität Marburg über die 
Stammesgeschichte von Hessen und besonders die „poli 
tischen Wellenbewegungen" im hessisch - niedersächsischen 
Grenzgebiet. Der Vortrag hatte unverkennbar das Ge 
präge mit größtem Fleiß ausgeführter, scharfsinnigster 
Forschung und trug für die Zuhörer zweifellos viel zur 
Erweiterung ihres heimatlichen Wissens bei, eine Zu 
gabe zu der vorhandenen Heimatliebe, die hoch anzu 
schlagen ist. Dem eindrucksvollen Vortrag ging eine 
Reihe vortrefflicher Ansprachen voraus, die von be 
rufenen Seiten im Geiste der Förderung der Bestre 
bungen und Ziele des hessischen Geschichtsvereins gehalten 
wurden. In allen klang es wieder durch: „Heimatliebe, 
besonders wenn sie auf Kenntnis der Heimat und ihrer 
Geschichte beruht, ist die sicherste Grundlage einer wah 
ren, von Phrasen freien Vaterlandsliebe." Diese Worte, 
die mir einst Professor Dr. G. Wolfs ins Stammbuch ge 
schrieben hat, tvaren, tvie schon angedeutet, die Richtschnur 
der Gelnhäuser Festtage überhaupt. — Vom Kasino 
ging's zu gemeinschaftlichem Mittagsmahl im Gasthaus
	        
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