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Writt «gegenüber den bisherigen Zuständen bedeutete
And Eit ihm die Grundlage weiterer gedeihlicher
ErMvicklung lvohl gegeben war. Ss wurden jetzt die
Mtzelnen Teile des Staates -als „unteilbares, un
veräußerliches Ganze" erklärt, nachdem bisher die
einzelnen Gebiete eigentlich nur durch die Person
des Monarchen zusamwengehalten wurden. Und es
entsprach durchaus den Forderungen der Zeit, wenn
m ?dem Landtag des nunmehr als einheitlich fest-
«gestellten Landes die bisherige ständische Gliede
rung, die „besondere Repräsentation der Prälaten,
der Ritterschaft, der Städte und des Bauernstandes"
iarFgehoben und die Abgeordneten „ohne Unter
schied ihres Standes" zu Vertretern der Untertanen
erklärt wurden; dementsprechend sollten sie in ihren
Meinungsäußerungen an keinerlei „Vorschrift eines
etwa erhaltenen Auftrags", sondern ausschließlich
an ihre eigene Überzeugung gebunden sein. Die bis
herige ständische Gliederung, die in den Landtagen
verschwinden sollte, war aber für die Wahl bei
behalten, und das bedeutete nicht mehr und nicht
'weniger als eine vollkommene Verschiebung des
Schwergewichts in der Kammer: hatte es bisher
heim Adel gelegen, so mußte es mit der Verwerfung
der Gliederung nach Kurien und der Einführung
der Abstimmung nach Köpfen auf die an Zahl dop
pelt überlegenen Vertreter der Städte und Bauern
übergehen.
Die Rechte der Stände waren in dem Entwurf
schärfer umschrieben als bisher. Waren die Stände
verpflichtet, für die Aufbringung aller ordentlichen
And außerordentlichen Staatsbedürfnisse durch die
Bewilligung von Steuern und Abgaben zu sorgen,
so waren ihnen auch Rechte zugestanden, die — vor
allem an den bisherigen Zuständen gemessen — als
höchst wertvoll bezeichnet werden müssen. So durfte
'kein Gesetz, das in das Steuerwesen des Landes ein
schlug, ohne Genehmigung der Stände erlassen wer-
¡bctt, ihre Einwilligung war nötig zur Festsetzung
aller direkten wie indirekten Steuern, und Steuers-
Verordnungen ohne Erwähnung der landständischen
Bewilligung hatten keine Gültigkeit. Die Entschei
dung über die Höhe der notwendigen Steuern war
durch die Gewährung des Budgetrechts in die Hände
der Stände gelegt, ebenso die Entscheidung über die
Frage, ob direkte oder indirekte Steuern erhoben
werden sollten, und schließlich auch das Aufsichtsrecht
über deren rechtmäßige Verwendung.
Weniger bestimmt und umfassend waren die Ar
tikel des Entwurfs, die den Anteil der Stände an
der allgemeinen Gesetzgebung behandelten. Hier war
der Landesherr nicht gehalten, jedes einzelne Gesetz
nur nach Anhörung und mit Genehmigung seiner
Stände zu erlassen. Rur wenn Eigentumsrechte,
persönliche Freiheit und Gewerbefähigkeit in Frage
kamen, war ihre Zustimmung erforderlich. Es war
ihnen auch — und das war sehr bedeutsam — das
Recht zur Initiative für neue oder zur Abände
rung von alten Gesetzen zugedacht, wobei alle „das
gemeine Wohl betreffenden Gegenstände" auf dem
Landtag behandelt sv^rdep durften.
Und schließlich war den Abgeordneten auch die
Freiheit der Bewegung gesichert, deren sie zur Aus
übung ihrer Rechte bedurften; sie konnten weder
während der Sitzungsperiode verhaftet noch auch
später wegen einer Meinungsäußerung im Beruf zur
Rechenschaft gezogen werden.
Andere Bestimmungen des Entwurfs konnten
weniger befriedigen. So war die Dauer einer Wahl
periode auf 6 Jahre festgesetzt, während andrer
seits die Landtage in der Regel nicht länger als
2 Monate dauern durften. Es konnte somit vor
kommen, daß zwischen zwei Landtagen eine Pause
von mehr als 5 3/ 4 Jahren lag, was den Einfluß der
Stände auf die Gesetzgebung so gut wie aufhob.
Auch die Berufung des Landtags war ohne Ein
schränkung in die Hand des Landesherrn gelegt —
nicht einmal über die Dauer einer Vertagung waren
Bestimmungen getroffen. Für den Fall einer Auf
lösung war der Landesherr verpflichtet, zugleich mit
ihr die Wahl neuer Abgeordneter auszuschreiben,
die er daun noch in demselben Jahr zusammenrufen
„konnte", ohne dazu verpflichtet oder überhaupt an
einen Zeitpunkt zur Einberufung des neuen Land
tages gebunden zu sein. Was hatten dann aber
Neuwahlen für einen Zweck?
Der Geist, der den ganzen Entwurf durchzog, war
klar in dem ersten Artikel gegeben, dessen erster Satz
lauter: „Die Regierungsform ist monarchisch." Mit
keinem Wort ist davon die Rede, daß mit ihr die
ständische Vertretung gleichberechtigt verbunden sein
sollte, von der in den späteren Artikeln nur in dem
selben Sinn wie von den übrigen Staatseinrich
tungen die Rede ist.
Hier setzte denn auch die Kritik des Landtages ein,
die auf eine Verschiebung des Schwergeivichts von
dem Monarchen fort zu gunsten der Stände abzielte.
In drastischer Form brachten vor allem die Bauern
zum Ausdruck: wenn alles, ivie hier, in das Belieben
des Monarchen gestellt werde, wenn von der Gelobung
der Treue die Beibehaltung der Konstitution ab
hängen soll, dann geht's wie mit den Kapitulationen
bei den Kaiserwahlen. In eingehenden Verhand
lungen wurden wohl zu allen Artikeln Bemer
kungen gemacht, die — ivenn sie einer Revision
des Entwurfs als Grundlage gedient hätten — eine
ungeheure Machterweiterung des ständischen Ele
ments bedeutet hätten und zugleich der Ausgangs
punkt für eine Aktion geworden wären, die die Rechte
des einzelnen gleichmäßiger und freier zu gestalten
vermochte, als es der Entwurf tat. Sie genügten
leider aber auch dazu, dem Regenten — wie die
Stände in ihren Abänderungsvorschlägen den Landes-
herrn dauernd nannten — die Annahme seines so
veränderten Entwurfs von vornherein unmöglich zu
machen. Und das war höchst bedauerlich, weil der
Entwurf Normen aufstellte, deren Verwirklichung
gegenüber den Zuständen des alten Hessen einen
Fortschritt und eine Weitersührung der guten Er
fahrungen aus der westfälischen Zeit bedeutete.
(Schluß folgt.)