Full text: Hessenland (38.1926)

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: y /.Wlhelm hatte sich am 2. Dezember 1813 dem 
' Bund angeschlossen, den die Großmächte zur Wieder- 
herstellüng und Gewährleistung des alten Besitz- 
"-Mudes geschlossen hatten, und hatte sich dabei zur 
Wiedereinführung der landständischen Verfassung 
mit dem Vorbehalt verpflichtet, daß die allgemeinen 
Staatslasten von allen Staatsangehörigen ohne 
Ausnahme getragen werden müßten. Schon nach 
Jahresfrist, am 27. Dezember 1814, berief er den 
Landtag und löste damit sein Versprechen wenig 
stens zum ersten Teil ein. Wenn er dabei nicht nur 
die alten landtagsberechtigten Stünde, Prälaten, 
Ritter und Städte, berücksichtigte, sondern auch die 
Bauernschaft einbezog und somit deren Freierklärung 
auch seinerseits anerkannte, so schien er den ver 
änderten Verhältnissen gebührend Rechnung zu 
tragen. Und wenn er bei Eröffnung des Landtags 
davor: sprach, daß er „das Glück und das Wohl seiner 
treuerwUntertanen nicht bloß für jetzt, sondern für 
immer durch feste und unumstößliche Bestimmungen 
dauerhaft zu gründen und zu sichern" gewillt sei, 
so erweckte er damit Hoffnungen aus Einführung 
einer Verfassung, aus die man im Volke mit Be 
stimmtheit rechnete. Als zur schmerzlichen Über 
raschung der Abgeordneten die einzige Vorlage, die 
dem Landtag vorgelegt wurde, die Bewilligung 
von 4 Millionen Talern zur Tilgung der Landes 
schulden forderte, als demnach auch dieser Landtag 
sich wieder wie all seine Vorgänger in endlosen Er 
örterungen über die Höhe der dem Land zuge 
muteten Zahlungen erschöpfen zu sollen schien, da 
antworteten die Stände einmütig mit einer Er 
klärung, die den Volkswillen deutlich spiegelte und 
in maßvollster Form „eine der Vernunft und den 
Erfahrungen der Zeit entsprechende Landeskonsti 
tution" verlangte. Daß aber an eine solche in 
jenen Worten des Kurfürsten nicht gedacht worden 
sei, gab dessen Berater Hassenpflug, der Mitglied 
der Landtagskommission war, den betroffenen Ab 
geordneten in dürren Worten bekannt. Damit war 
der Konflikt zwischen Regierung und Landtag, die 
von grundsätzlich verschiedenen Voraussetzungen aus 
gingen, gegeben; er wurde auch nicht gemildert durch 
die Erklärung der Regierung, eine „liberale Kon 
stitution" solle gewährt werden, wenn die des Deut 
schen Bundes festgelegt sei — am 18. Juni 1815 
war auch dieses angebliche Hindernis beseitigt, 
worauf die Regierung keinen anderen Ausweg wußte, 
als den Landtag am 1. Juli unvermutet zu ver^- 
tagen. Es hätte freilich auch wenig Zweck gehabt, 
seine Arbeit noch länger fortzusetzen, deren Ergeb 
nislosigkeit schon seit einiger Zeit zweifellos fest 
stand. In einer vielleicht überraschend ruhigen 
Sachlichkeit war nämlich der Landtag an die Be 
ratung der Geldforderungen herangetreten, hatte hier 
aber in der Erkenntnis, daß ohne vorherige Lösung 
dieser Frage alle Verfassungsbestrebungen erfolglos 
bleiben müßten, Abrechnung über die Finanzlage 
des Landes und Trennung des fürstlichen und des 
Landes - Vermögens verlangt. Die Verhandlungen 
wurden immer unerquicklicher; wenn auch Wilhelm 
au sich der Scheidung von Haus- und Staats 
vermögen nicht abgeneigt war, so wollte er doch in 
seinem absolutistischen Sinn nur aus Gnaden ge 
währen, was die Stände als Recht forderten; daß 
man sich bei so grundverschiedener Auffassung über 
die Verpflichtung zur Abrechnung und deren Um 
fang nicht einigen konnte, war nach all den unerquick 
lichen Auseinandersetzungen beinahe selbstverständlich. 
Mußte somit der schroffe Abbruch der festgefah 
renen Verhandlungen fast als Erlösung empfunden 
werden, so war damit die Verfassungsfrage keines 
wegs erledigt. Der Gang, der Landtagsverhand 
lungen, das Auftreten von Männern wie des Hom- 
berger Rechtsanwalts S. P. Martin und des Erb 
kämmerers von Berlepsch hatten in dem auch diesen 
Dingen zunächst mit Ruhe und Zurückhaltung gegen 
überstehenden Volk mehr und mehr-die Einsicht er 
wachsen lassen, daß ohne eine schriftlich festgelegte 
Verfassung als „Grundlage der ganzen Staats 
verwaltung" jeder Versuch geordnete Zustände zu 
schaffen, den unseligen Gegensatz zwischen Re 
gierenden und Regierten zu beseitigen, scheitern 
müsse. Feststellung des Staatsvermögens und Schaf 
fung einer Landeskonstitution — der Dringlichkeit 
dieser Forderungen konnte sich auch die unbedingt 
absolutistische Staatsauffaffung Wilhelms nicht länger 
verschließen. 
Wer freilich von der schon am 15. Februar 1816 
erfolgten Wiederaufnahme der Landtagsverhand 
lungen einen Fortschritt erhoffte, sollte sich bald aber 
mals enttäuscht sehen. Wohl hatte der Kurfürst in 
der Zwischenzeit durch vier von ihm besonders be 
auftragte Beamte, den Staatsminister von Schmer- 
feld, den Geh. Rat v. d. Malsburg, den Ober 
appellationsgerichts - Präsidenten v. Schenck zu 
Schweinsberg und den Geh. Regierungsrat von 
Porbeck einen Verfassungsentwurf ausarbeiten lassen, 
der freilich aus die in den vorausgegangenen Land 
tagsverhandlungen zu Tage getretenen Wünsche 
keinerlei Rücksicht nahm. Und es entsprach weiter 
hin durchaus der Auffassung Wilhelms, wenn er 
von einer Beratung dieses ,-Entwurfs" durch die 
Stände nichts wissen wollte und verlangte, daß die 
Vorlage ohne jede Aussprache angenommen werden 
solle und es ihm überlassen bleibe, wann er diesen 
Entwurf als Gesetz verkünden und in Kraft treten 
lassen wolle. Es war klar, daß die Stände daraus 
nicht eingehen konnten, und es entsprach nur ihrer 
Würde, wenn sie eine wenigstens begutachtende 
Beratung des vertraulich mitgeteilten Entwurfs 
durchsetzten. Es waren damit aber die Grund 
lagen der Unstimmigkeiten gleich im ersten Augen 
blick wieder offenbar geworden, und als die alten 
Zwistigkeiten über Steuerbewilligung und Haus 
und Staatsvermögen in unverminderter Schärfe 
wieder auftauchten, war das Schicksal auch dieser 
Tagung besiegelt: am 10. Mai 1816 wurde der 
Landtag geschlossen, ohne daß die Versassungsfrage 
auch nur im geringsten gefördert worden war. 
Das war um so bedauerlicher, als der kurfürst 
liche Entwurf in der Tat einen erheblichen Fort-
	        
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