Full text: Hessenland (38.1926)

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Büdingen. 
sitzenden Familie sich um die Ohren schlug. Bis die 
Bauern sich von dem unerwarteten Hausfriedens 
bruch erholten — die Katze hatte es nicht mehr- 
nötig —, waren wir drei im offenen Felde. 
Nachdem ich mein Schutzgebiet durchforscht hatte, 
wählte ich mir eine in etwa 20 Meter Höhe befind 
liche Steinbruchsgrotte zu meinem Luginsland. Der 
Zugang war halsbrecherisch, wurde aber durch eine 
Schwebebrücke, die ich vom Gipfel einer Kastanie 
hinüberleitete, für schwindelfreie Kletterer leidlich 
gangbar.. Diese luftige, waldumrauschte Höhe, von 
wo das Auge das Seemental nebst Stadt und Schloß 
Büdingen überblickte, wurde die Geburtsstätte des 
Bundes waidmännischer Naturfreunde. An schönen 
Frühlingsabenden tranken wir dort oben unsere Mai 
bowle und sangen begeistert unsere Lieder in die 
Waldnacht hinaus. Meine mator hospitalis hörte 
uns stillfröhlich zu, und wenn wir den Vers sangen 
von dem silbernen Haar und dem Scheiden müssen, 
so dachte sie in stiller Wehmut ihres toten Freun 
des, nnt dem sie in ferner Jugendzeit die brasi 
lianische Steppe durchritten hatte, und spendete den 
Sängern eine Flasche Wein zum Dank. Im all- 
geineinen aber legten wir keinen Wert auf gefühl 
volle Liebeslieder. Wilhelm Müllers wenig gekann 
tes „Jägers Lust": „Es lebe, was aus Erden stolziert 
in grüner Tracht" wurde unser Bundeslied. Im 
Gegensatz zu den Schülerverbindungen mit ihrem 
öden Formalismus hielten wir das Banner des 
Idealismus hoch. Literarische Abende hatten wir 
eingerichtet, zu denen jeder von uns fünf Prome- 
theujen ein Erzeugnis seines schöpferischen Geistes 
mitbringen mußte. Herbe Kritik wurde geübt, denn 
für jedes Gedicht, das nicht die Gnade der Beisitzer 
fand, mußte ein Sümmchen in die Kasse bezahlt 
werden. Beispielsweise wurde ein Gedicht auf Bü 
dingen, das anhub: 
„Es liegt ein Städtchen von Bergen umgeben 
Am rauschenden Bach in grünender Flur, 
Auf sonnigen Hügeln wachsen Reben, 
Im Tale leuchtet der Ceres goldene Spur" 
als sklavische Anlehnung jm Schiller schonungslos 
verdonnert. In einem Heldenepos „Hannibal", in 
dem es von seinen lybischen Kriegern vor der 
Schlacht bei Kannä heißt: 
„Schwarz von 5zaut und Glut in Augen 
Schaun sie über'n Fluß hinüber, 
Wo die Lagerfeuer rauchen 
Von Italiens Legionen" 
fanden die Reime „Augen" und „rauchen" nicht die 
Billigung des gestrengen, in des Meisters Opitz Fuß 
stapfen wandelnden Femgerichts. Hatte sich auf 
diese Weise genügend Mammon angesammelt, so 
zogen wir aufs Dorf hinaus und hielten ein solennes 
Gänseessen ab oder wir wanderten ins Preußische nach 
Gelnhausen und delektierten uns an einem knuspe 
rigen Spanferkel. Während des Festessens wurde das 
Los geworfen, und der Unglücksmann, den es traf, 
mußte der Gans oder dem Spanferkel die Grabrede 
halten. Wurde diese oratorische Leistung von den 
inzwischen mit gewaltiger Schnelligkeit schluckenden 
Leichengräbern nicht für witzig genug befunden 
— und meistens war dies der Fall —, so mußte der 
bedauernswerte Demosthenes obendrein Strafgeld in 
die Kasse zahlen, das den Grundstock zum nächsten 
Gänseessen bildete. 
Eichendorff, der Sänger des deutschen Waldes, 
war unser Heiliger. Wie mancher klassische Philo 
loge seinen Horaz, so hatten wir auf unsern Fahrten 
Eichendorffs Werke als stete Begleiter im Rucksack. 
Jm Vogelsberg, Spessart, Odenwald, im Franken 
land und Neckartal waren wir redlich bestrebt, den 
Taugenichts unseres Meisters in die Praxis zu über 
tragen. In Forst- und Pfarrhäusern, auf Gutshöfen 
wie bei den Bauern, überall waren wir damals als 
fahrende Schüler gern gesehene Gäste. Heute, wo 
selbst das fernste Tal von den mit Kling, Klang 
und Gloria umherziehenden Rotten vergewaltigt 
wird, hat Wald und Wandern für jeden wahren 
Freund der Natur einen guten Teil seiner stillen 
Schönheit eingebüßt.
	        
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