Full text: Hessenland (37.1925)

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die vom Vogelsberg kommenden Wassermassen 
der Ohm sein Volumen verdreifacht hatte und 
in übermütiger Kraft schäumend und strudelnd 
dahinftrömte. Aber hinter Felsblöcken und im 
Wasser vorspringenden Landzungen gab es stille 
Stellen mit brodelndem Rückwasser — dort 
lauerten die Raub- und Strauchritter der 
Binnengewässer mit ihrem schlanken, silber 
geschuppten Leib, ihrem unheimlich großen 
Rachen voll dolchscharfer Zähne. 
Behutsam pürschten wir uns heran, jede Er 
schütterung des Erdbodens vermeidend. Mit 
dem langen Hechtprügel schlängelte ich mich in 
den kühnsten Kurven zwischen Bäumen und 
Gestein hindurch, der Pharmazeut rollte mit 
Fischkessel und Schnapsflasche, dem unentbehr 
lichen Requisitum jedes Hechtbruders, schnau 
fend hinterher. Nachdem ich in der ersten 
Stunde außer einem lausigen halbstündigen 
Barsch nichts gefangen hatte, kletterte Wickborn 
den Berg hinan, um auf dein in halber Höhe 
führenden Weg durch einen kleinen Dauerlauf 
sein erstarrtes Geblüt wieder etwas in Wal 
lung zu bringen. Kaum war er meinen Blicken 
entschwunden, da ging der erste große Kork 
stopfen der Angel sachte in die Tiefe und blieb 
drei Hand breit unter Wasser regungslos 
stehen. „Aha," dachte ich, „ein vorsichtiger 
alter Bursche, der schon einmal Pulver ge 
rochen hat, jetzt heißt's aufgepaßt." Langsam 
zogen die übrigen Stopfen an und verschwan 
den in der Richtung nach einem Wurzelgestrüpp. 
Bevor aber der Räuber mit seiner Beute den 
Schlupfwinkel erreichen konnte, haue ich an 
und reiße ihm den dreiteiligen Haken in den 
Rachen. Ein aufregender Kampf entspann sich, 
nach minutenlangem Anziehen und Nachgeben 
gelang es mir, den ermatteten Kämpen an 
einer flachen Stelle zu landen. Es war ein 
Haupthecht, mindestens vierzehn Pfund schwer. 
Als ich aber vor Freude einen Jndianertanz 
um den toten Recken aufführte, da fiel es mir 
plötzlich zentnerschwer auf die Seele, „Mensch, 
den hast du ja Wickborn versprochen". Ich 
spähte umher, von Wickborn war nichts zu 
sehen. Offenbar war er nach Kölbe hinüber 
gewechselt und saß beim Vater Kranz in der 
Schenke. Zu meiner Schande muß ich gestehen, 
daß in dem nun anhebenden Kampf mit dem 
Versucher dieser auf der ganzen Linie siegte. 
In meiner schwarzen Seele beschloß ich, den 
Freund um seinen Vierzehnpfünder zu prellen. 
Sorgsam buddelte ich ihn in den Schnee und 
angelte mit schlechtem Gewissen flußaufwärts 
weiter. Aber St. Petrus grollte mir offenbar, 
nur einen eineinhalbpfündigen Springinsfeld 
warf ich noch in hohem Bogen ans Land. 
Schon dämmerte es, da erschien endlich in 
vorzüglicher Stimmung Wickborn. Nachdem er 
den kleinen Hecht verächtlich in seinen Rucksack 
versenkt hatte, betraten wir den Rückwechsel. 
Als wir an der Stelle vorüberkamen, wo mein 
Vierzehnpfünder im Schnee ruhte, sagte ich 
mit scheinheiliger Miene zu meinem Begleiter: 
„Ich möchte wetten, daß in diesem Loch ein 
schwerer Hecht steht, ich halte die Angel noch 
einmal hinein." „Unsinn," entgegnet Wickborn, 
„es ist ja schon dunkel im Wasser, übrigens 
auf die Wette gehe ich du." „Gut," sage ich, 
„es geht um das Abendessen." Ich mache 
meinen größten Köderfisch, einen silberglän 
zenden Schipperling, an den Haken und spreche 
erfolggewiß von innerer Stimme, von Vor 
ahnungen und dergleichen. Fünf Minuten ver 
gehen, zehn Minuten; Wickborn sieht mich 
triumphierend an und erklärt, er verspüre einen 
Mordshunger, in Gedanken sehe er sich schon 
mit aufgekrempelten Hemdsärmeln vor einem 
sechsschläfrigen Eierkuchen mit Schinken sitzen. 
Ich bitte ihn mit dem Gesicht eines betrübten 
Lohgerbers, meinen Rucksack zu holen, den ich 
wohlweislich hundert Meter vorher verstohlen 
hatte fallen lassen, mittlerweile wolle ich die 
Angel zusammenlegen. Munter den Dessauer 
marsch pfeifend, holt der Ahnungslose den 
Rucksack. Schnell hake ich meinen Vierzehn 
pfünder an die Angel und ziehe ihn, als Wick 
born noch zwanzig Schritt von mir entfernt ist, 
zum zweiten Mal aus der Lahn. Zu meiner 
Beschämung muß ich gestehen, daß der voll 
mir urn Hecht nnb Abendessen geprellte Freund 
in ein uneigennütziges, derart dröhnendes 
Freudengeheul ausbrach, daß sogar die Dorf 
köter in dem eine gute Viertelstunde entfernten 
Kölbe im Chorus mit einstimmten. 
Inzwischen war es völlig dunkel geworden, 
und wir wanderten über die Wiesen nach 
Wehrda, woselbst meine Fischerstammkneipe 
lag. Im Wirtszimmer saßen aus langer Bank 
eine Anzahl Bauersleute, darunter die dörf 
lichen Honoratioren, vor dem üblichen Känn 
chen Schnaps. Mitten zwischen ihnen thronte 
der „Elefantenjäger", eine im Marburger 
Kreis wohlbekannte Erscheinung. Dieser hes 
sische Tartarin hatte in tropischen und sub 
tropischen Urwäldern Zentralafrikas manchen 
erfolgreichen Kampf gegen wehrhaftes Groß 
wild in Ehren bestanden und jagte mit seinen 
abenteuerlichen Erlebnissen Schillings, Kuh 
nert und Berger, unsere drei gewaltigsten afri
	        
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