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Wihenhausen. Wedektnd Meinhard-Haus.
Aufnahme von Heinrich Huhn-Witzenhausen.
in einer Küche auf einem Kanapee schläft! Wenn
einer wie du zufrieden ist mit sich unb feiner Dumm
heit, so bleibt er fein Leben lang Auf- und Ab
lader."
„So ein Wesen um so ein Bild!"
Dann ging er in die Kammer, steckte die Hände
in die Hosentaschen und sah sich das Bild an, das
seine Mutter mit hochgehobener Küchenlampe be
leuchten mußte.
„Na ja, es ist schon wert, daß man eine Wand
für das Bild schasst. Wenn man aber dann die
Stube hat, so fürcht' ich, will man-noch mehr haben.
Ich kann mir auch denken, >vas. Ne — ich wollte,
der junge Sperr hätte das Bild behalten."
Frau Kathrin Zibulska fragte jeden Abend, wenn
August heimkam, ob er ihren Landsmann nicht ge
sehen habe, und Babette kam immer etwas atemlos
zur Türe herein, und ihre Angen hatten einen er
wartungsvollen Ausdruck. Aber von Wilhelm Bräuer
war nichts zu hören und nichts zu sehen.
Das war für Frau Zibulska eine große Ent
täuschung. Sie hatte gedacht, einer ans ihrem Land
würde zn ihr halten, wiederkommen, damit sie beide
von zu Hause reden konnten. Sie hatte ihn nach
tausend Dingen fragen wollen: ob die Wiesen an
der Lahn im Herbst immer noch ganz lila aussehen,
weil sie übersät waren von Herbstzeitlosen ... ob
die Glocken von St. Elisabeth noch diesen schönen
Klang hätten — ganz anders wie alle anderen
Glocken .. .
Nach und nach, als der erste Ärger über Bräuers
Ausbleiben verraucht war, dachte sie freundlicher
an ihn. So wie an den Geber einer guten Gabe,
aus die sie porher nie gerechnet hatte, die ihrem ein
tönigen Leben einen neuen Schmuck verlieh.
Nach sechs Wochen sah die Familie Zibulski
das Bild als ihr Eigentum an. Ein jeder von ihnen
nannte es im geheimen „mein" Bild.
August kam, als er dies Anrecht stark iverden
fühlte, zu 'der Überzeugung, daß er eigentlich auch
seine Stelle ansgeben müsse, um schneller voran zu
kommen. „Ich kann mir, wenn's daraus ankommt,
auch eine Wand für ein Bild schassen", sagte er
eines Abends zu Babette.
„Für welches Bild? Für dies Bild? Für Sperrn
Bräuers Bild? Nein, für mein Bild? Wenn Sperr
Bräuer verschollen bleibt, so gehört das Bild mir.
Dadurch, daß es über meinem Bett hing, habe ich
Eigentumsrecht erworben."
„Sooo? Das kannst du ja denken, wenn's dir
Vergnügen macht!"
„Das Bild?" Frau Zibulska kam gerade in
die Stube. „Das Bild, was meine Kirch.' darstellt?
Was mein Landsmann unter meine Obhut gestellt
hat? Das Bild gehört weder der Babett' noch dem
August."
„Nun, nein denn", meinte Babette. „Aber man
hat auch noch so viel übrig, daß man sich so ein
Bild kaufen kann, wenn's einem genommen wird."
* * *
Wilhelm Bräuer hatte, als er seine Arbeit aus
dem Packhos ausgab, nur den einen Gedanken gehabt,
so schnell wie möglich eine möglichst gute Stelle zu
finden. Als er aber am dritten Tag, ohne einen
Ersatz gesunden zu haben, sich aus das Kanapee in
seiner Schlafstelle ausstreckte, war ihm sehr bäng
lich zumute.
Heimweh mar das wohl nicht allein...
Und er träumte nicht nur von Stoppelfeldern,
Ährenlesen, Hamstersang und dem lieblichen Geruch
der Kartoffelfeuer, deren Rauchschwaden so-lang
gedehnt und bläulich am Hag entlang zogen — er
sah zwischen all' diesen Dingen ein seines Mädchen,
braunäugig, mit welligem Haar und schmalen ge
schickten Händen. Sie ging langsam über das Feld —
nein, sie schwebte...
Und das Bild, das ihm der freundliche junge
Herr geschenkt hatte, war auch verändert.
Die Frauen in ihren Hauben lächelten — und
die Männer traten zur Seite. Sie bildeten zwei
Reihen, und er, Wilhelm Bräuer, ging, Fräulein
Babette an der Hand, hindurch aus den Altar zu.
Als er aber am anderen Morgen erwachte, schalt
ihn seine Wirtin einen Faulpelz und Tagedieb und
lat, als ob ihr Kanapee viel zu gut für ihn sei.
Er packte deshalb seine Sachen und verließ für
immer den Ort, an dem nicht so viel Wand sein
Eigentum war, daß er ein Bild hätte anshängen
können.
Nun stand er aus der Straße, umbraust von dem
sinnverwirrenden Lärm der großen Stadt. Er trug
seine kleine mit Rosen bemalte Lade unter dem Arm,
ließ sich von den Gassenjungen getrost auslachen und
überlegte langsam und gründlich im Weitergehen,