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Grenzgang.
Spätherbst liegt über dem Lande. —
Verschleiert sind die Berge, die das weite
Kasseler Talbecken einschließen. Nun muß ein
Fleckchen Erde durchwandert werden, das keine
Fernblicke kennt, das zwingt, in der Nähe zu
verweilen. Das Fuldatal ist da gerade der
rechte Platz.
Den Franzgraben geht's Humus, und nur
wenige Kasselaner denken bei seinem Namen
daran, daß der Weg eigentlich nach der Familie
Branthayn* hieß, die hier Grundstücke besaß.—
Und drüben liegt der Fasanenhof, dessen
mauerumsäumter Park zugleich noch mit der
Hofanlage deren Entstehung in der repräsen
tationsfrohen Rokokozeit ahnen läßt.
Vor uns liegt Wolfsanger, zwei Siede
lungen nebeneinander, eine fränkische und eine
der Sachsen. Die der Franken scheint fast die
jüngere zu sein. In dem Plane des Dorfes
ist noch heute der Unterschied der beiden Siede
lungen deutlich erkennbar, hier das fränkische
Haufendorf, dort die weitläufigere Hofanlage
der Sachsen.
Und drüben strömt die Fulda zu Tal; noch
immer, oder besser, wieder tot nach dem kur
zen Anlaufe von 1895. Wann wird die Kana
lisation endlich durchgeführt, daß auch die
größten Weserkähne von Bremen bis Kassel
durchfahren können? Hub wann können end
lich die Personendampfer der Oberweser ihre
Fahrten in Kassel beginnen? Wann werden
sie an der Schlagd anlegen und Kassels Alt
stadt dem Auge des Fremden zuerst zeigen?
Ja, das wird sein, wenn erst die sieben Stau
stufen fallen und zwei Walzenwehre mit krast-
spendenden Turbinen an deren Stelle getreten
sind! Kassel ist der natürliche Endpunkt der
Weserschiffahrt, Bremen und Kassel ihre Pole.
— Wir warten und hoffen!
Jenseits des Flusses der Sandershäuser
Berg. Dort verteidigte hessischer Landsturm
den letzten Streifen hessischer Erde. Gedenkt
der Kämpfer! —- Dort war auch einst, wo
heute der Steinbruch den Berg angenagt hat
und die alte Heerstraße zerrissen, das Hoch
gericht. Und hinterm Berge, nach Osten hin,
duckt sich der Hof Ellenbach in eine Boden
falte. Aber seine Teufelsscheuer ist nicht mehr.
Vor einigen Jahrzehnten hat sie das Feuer
gefressen.
* Um 1820 hieß es noch „Brondisgroben", aus dem
dann „Franzgraben" verderbt wurde. D. Schriftl.
Von Bruno Jacob, Kassel.
Und nun kommt der Wald. Hier hatten die
kurhessischen Jäger ihre Schießstände, als
Kugelfang diente drüben der Sandershüuser
Berg, ml dessen Fuße sich damals noch keine
Straße hinzog. Wir wandern durch Reste
von Anlagen, die die Jäger hier geschaffen.
Auch eill Stein steht noch dort: ein Jäger
horn, 2. Komp. I. B. 1856 steht darauf zu
lesen. Letzte Erinnerung vergangener Tage.
Drüben auf dem rechten User, dort, wo in
enger Schlucht die hessisch-hannöversche Grenze
voll den: Grenzzeichen nahe dem alten Zoll
hause an der Hannöverschen Straße herunter-
kolnmt (der Grenzstein trug noch in den neun
ziger Jahren eine eingelassene Wappenplatte
mit dem Löwen), sieht man auch itod) die Reste
einer Steinbruchsbahn. Jetzt ist's still dort
geworden, und kein Schiff nimmt dort mehr
den Inhalt ihrer Kippkarren auf. Lange Zeit
hindurch hatte auch iit dem unteren Teile des
Tales der Schweinehirt von Spiekershausen
unter einem Buchenbaume eine aus rohen
Steinen gefügte Hütte. Sie ist längst zer
fallen. Er selbst wohl auch.
Und auf hessischem Ufer kommt nun die
„Graue Katze". Als „Friedrichstal" ist das
Haus auf der amtlichen Karte bezeichnet. Ein
Zollhaus war's, das erbaut ward, als der
Kaffeeschmuggel aus dem mit England ver
bundenen Hannover hier in Blüte stand. Das
Gelände war auch wie zum Schmuggel geschaf
fen. Eine Hauptniederlage befand sich in dem
Dorfe Landwehrhagen. Von dem „Geschäft"
der Pascher erzählt auch unter andern: S.
Mosenthals Geschichte „Tante Guttraud", die
in dem Kassel der zwanziger Jahre des
19. Jahrhunderts spielt. Was aber der „Grauen
Katze" diesen Namen gab, war eine alte Frau,
die den Zollwächtern das Essen kochte und
eine rechte „Katzenmutter" war, die selbst bald
im Volksmunde die graue Katze genannt ward.
Und der Name blieb hängen.
Im Schatten der tief hangenden Buchen,
deren Wurzeln sich in das rote Gestein des
Berges krallen, geht nun der Leinpfad bis
zur Schleuse von Spiekershausen. Und drüben
steht die Spiekershäuser Mühle. Einst, ehe
man daran ging, die Fulda zu kanalisieren,
— am 1. August 1895 ward die Schiffahrt
eröffnet, — schäumte und brauste hier der Fluß
über wild getürmte Massen eines steinernen
Wehres, das auf der linken Flußseite einen
Schiffahrtskanal freiließ für kleine Fahrzeuge.