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recht versehene Ansiedelung befand, da 1243 eine Kapelle
und 1261 ein Pleban (Pfarrer) erwähnt wird."
Die Ziegenhainer Salatkirmes bot auch
in diesem Jahre wieder ein buntbewegtes Bild, verliert
aber, mit der Zeit an Anziehungskraft, was im Interesse
dieser alten, weitberühmten Volkssitte recht zu bedauern
ist. Über die Entstehung des Namens berichtet die „Hers
felder Zeitung": Altem Herkommen gemäß waren die
Bewohner der Umgegend im Jahre 1728 zur Kirmes
nach Ziegenhain gewandert, die damals schon wie heute
noch 14 Tage nach Pfingsten stattfand. Der Tag ge
hörte den Schwälmern, abends sollte immer das Brau
haus für die Ziegenhainer Jugend geöffnet sein. — Dies
mal war noch etwas Besonderes mit der Kirmes ver
bunden. Der Landgraf Karl hatte nämlich seit langer
Zeit in Liebenau Anbauversuche mit der Kartoffel machen
und seit einiger Zeit die hiesigen Festungsgelände damit
bepflanzen lassen. Die Schwälmer wollten von dieser
Neuerung nichts wissen, zumal es im fruchtbaren
Schwalmtal an sandigem Boden zu dem Anbau fehlte.
Sie waren nun eingeladen, Kartoffeln zu kosten, die auf
allen möglichen Böden gewachsen waren, und deshalb
>var der Kirmesbesuch ein außerordentlicher. Die 'Gäste
saßen an langen Tischen. Zuerst kam Wurst mit Pell
kartoffeln und Meerrettich. Da stellten sich die Leute
unbeholfen beim Schälen an, denn die Kartoffeln waren
heiß. Dann gab es Salzkartofseln mit Lattichsalat uno
saurer Milch. Da griffen die Gäste fest zu und konnten
sich nicht genug wundern. Schließlich waren alle für
Aus Fritzlars Zubeltagen.
Die allgemeine Befürchtung, daß das 13. Bundes
schießen in Kassel die Teilnahme an der Zwölshundcrt-
jahrfeier Fritzlars beeinträchtigen würde, erwies sich als
unbegründet. Schon in der Frühe des Sonntags gab es
keine Festabzeichen mehr. Jeder Bahnzug brachte neue
Scharen, die über die von einem Heer von hessischen
und blauweißen Stadtfarben umflatterte Edderbrücke in
das wie eine jugendfrische Braut geschmückte hochgebaute
Städtchen fluteten. Schon wenn Fritzlar weiter nichts
geboten hätte als seine lieben alten und doch wieder
so schmuck aufgefrischten, durch Waldesgrüu und wogende
Fahnen fast verdeckten Häuser in den malerischen krummen
Gassen und Gäßchen, das alles überstrahlt von goldenem
Sonnenschein, hätte sich das Kommen reichlich gelohnt.
Den Beginn des Festes brachte die Begrüßungsfeier
am Sonnabend auf dem Marktplatz, Wecken und Fest
gottesdienst den Auftakt des Sonntags. Um 10 Uhr
begann der Festakt in der Exerzierhalle, in dessen Mittel
punkt die Festrede des Domdechanten Prälaten Msgre.
Je städt stand. In einer prächtigen, so ganz und gar
nicht programmäßigen Rede gab er in großen geschicht
lichen Zügen ein Bild der Entwickelung Fritzlars, an
dessen Schwelle Bonifatius, Karl der Große und Hein
rich I. stehen, dieselben, die auch an der Schwelle des
Deutschen Reiches standen, des Reiches, dessen Sinnbilo
die Edderstadt allezeit gewesen ist, denn ihre Leidens
geschichte war auch diejenige Deutschlands; aber beide
sehen heute zuversichtlich und ungebrochenen Mutes in
die Zukunft. Noch stand die zahlreiche Versammlung im
Banne dieser schlichten und doch so packenden, gedanken
reichen Worte, da betrat der Rektor der Landesuniversität
Marburg Prof. Oe. Bornhäuser im Ornat das
Podium, um dem sichtlich überraschten Redner als dem
„Sammler und Erhalter der Kunstschätze von Stadt und
Kreis Fritzlar, dem Hüter des Domes und Freund der
Wissenschaften" das Diplom der Ernennung zum Ehren
den Kartoffelbau gewonnen, aber nicht allein der Kar
toffel halber, sondern noch mehr wegen der schmackhaften
Verwendung des Lattichs, der bisher nur als Heilmittel
für das Vieh gebraucht wurde und hin und wieder in den
Gärten der Apotheken zu finden war. Deshalb heißt die
Ziegenhainer Kirmes bis auf den heutigen Tag Lattich-
oder Salatkirmes.
Das Schicksal einer Geige Spohrs. Mit
dem Nachlaß des ehemaligen Hofkonzertmeisters Kömpcl
vom Hoftheater zu Weimar, des Schülers von L. Spohr,
kam dessen berühmte Stradivarigeige durch letztwillige
Verfügung in den Besitz der Thüringer Blmdenwerk-
stätten in Weimar und damit in das Eigentum des
Landes Thüringen. Von den Erben Spohrs war jedoch
Klage auf Herausgabe des kostbaren Instrumentes er
hoben worden, weil in dem Testament die Klausel ent
halten war, daß die Geige den Spohrschen Erben zum
Rückkauf anzubieten sei, wenn sie veräußert werden
würde. Jahrelang liefen die Prozesse, bis in diesem
Frühjahr das Oberlandesgericht zu Jena, nachdem die
Erben Spohrs einen vom Lande Thüringen angebotenen
Vergleich ausgeschlagen hatten, zugunsten des Staates
entschied. Daraufhin legten die Kläger Berufung beim
Reichsgericht ein, die jedoch vor kurzem wieder zurück
gezogen wurde. Damit ist die Spohrgeige endgültig in
den Besitz des Landes Thüringen übergegangen. Sie ist
in pietätvoller Erinnerung an Kömpel wieder dem ersten
Konzertmeister am Deutschen Nationaltheater in Weimar,
Professor Reitz, zu treuen Händen übergeben worden.
doktor zu überreichen. Das freudige Staunen der Ver
sammlung über die Ehrung des hochgeschätzten Forschers
löste sich in spontanen Jubel auf. Dem durch musikalische
Darbietungen umrahmten Festakt wohnten zahlreiche Ver
treter der Behörden bei, denen noch besonders gedankt sei,
daß sie dessen eindrucksvolle Wirkung nicht durch endlose
Reden abschwächten. Nicht ganz leicht war es, hierauf in
den Gasthäusern Unterkunft zu finden. Schon wogte eine
kaum zu zählende Menge in Erwartung des Festzuges
durch die Straßen. Und dieser kulturhistorische Festzug.
für dessen mühevolle künstlerische Leitung Professor Saut-
ter und Kunstmaler Lewerenz-Kassel zeichneten, war, mit
es gleich vorweg zu sagen, über alles Lob erhaben. Über
zeugend echt der Jagdzug der Chatten, nicht minder
Bonifatius mit seinen Mönchen (bis auf einige, die
unbedingt ihre langen Hosen unter den Kutten zeigen zu
müssen glaubten). Wie Heinrich der Finkler 910 hoch
zu Roß in Fritzlar einzog und dann mit seiner vor
nehmen Gefolgschar Kaiser Otto I., das muß damals
genau ebenso inmitten dieser prächtigen alten Fachwerk
häuser ausgesehen haben, so das; man jegliche Illusionen
zu Hause lassen konnte. Auf stolzen Pferden reitet der
deutsche Ritterorden vorüber. Ihm folgt die schmucke
Schützengilde, und dann schreiten in farbenfrohen Bil
dern die friedlichen Zünfte — es waren wundervolle
Charakterköpfe darunter — einher. Krieg und Kriegs
geschrei kündeten die Gruppe Tilly und Piccolomini, und
dann folgte das liebliche Idyll eines Rokoko-Hochzeits-
zuges, an dem man sich nicht satt sehen konnte. Historische
Uniformgruppen bildeten den Beschluß, hessische Husaren
von 1813, Bürgergarde von 1848 und zuletzt Fritzlarer
Artillerie aus der Bor- und Nachkriegszeit. Die enge
Begrenztheit des Städtchens gab die Möglichkeit, vor
immer wieder neuen Staffagen diese Bilder aus der
deutschen Vergangenheit an sich vorüberwandeln zu sehen.
Recht geschickt hatte man die Einzelgruppen durch weiß