Full text: Hessenland (35.1921)

Hessisches Heimaisblatt 
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst 
Nr. 1 35. Jahrgang Januar-Heft 1621 
Salomo« Hermann Mosenthal. 
3it seinem 100. Geburtstag. 
Als ant 14. Januar 1821 int Cckhause der 
Kasseler Ziegen- und Mittelgasse demselben, in 
dem sich später die Luckhardtsche Buchhandlung be 
fand — dem Chef eines angesehenen Handelshauses, 
.Herz Mosenthal, der jüngste Sohn Salomon geboren 
wurde, haftete dieser Tag noch ails einein anderen 
Grunde in seiner Erinnerung. An eben btefent 
Tage nämlich brach durch die Treulosigkeit eines 
Kompagnons sein Geschäft völlig zusammen, und 
an eben diesem Tage reiste er init den Diamanten 
seiner jungen Frau nach Frankfurt, um mit der 
letzten Habe seinen ehrlichen Namen zu retten. 
Dieser geachtete Name war fast das einzige, was 
die Familie aus den Trümmern einstigen Wohl 
standes bei ihrer Übersiedlung aus deut Stammhaus 
in eine bescheidene Wohnung der Vorstadt mitnahm. 
Der Vater trat als Buchhalter in ein fremdes 
Haus, während . die Mutter unter dem Namen 
„Jndustriecomptoir für 'seine Damenhandarbeiten" 
ein Putzlädchen auftat und so gleichfalls der Not des 
Lebens zu steuern wußte. Mit dem früheren Wohl 
stand hatte sie ihr reiches Herz nicht verloren. 
Zwischen Tages- und Kerzenlicht versammelte sie 
die jüngeren Kinder um sich, sang ihnen Lieder vor 
oder trug ihnen Monologe aus Schillers und Goe 
thes, Grillparzers und Müllners Dramen vor. Der 
Gelehrigste in dieser mütterlichen Elementarschule 
der Poesie war der kleine Salomon, der schon mit 
sieben Jahren die Eltern an ihren Geburtstagen mit 
poetischen Episteln begrüßte und einige Jahre später 
die kurhessische Revolution von 1831 in zahlreichen 
Versen besang, Reimereien, die der gewissenhafte 
Vater in kaufmännischer Schönschrift einem dicken 
Buch einverleibte. Bis zum 13. Jahre genoß dev 
Sohn den Unterricht in der jüdischen Privatschule 
seines Oheims Dr. Büdinger, des Vaters des Histo 
rikers, Ter Eintritt tu das damals von Caesar ge 
leitete Lyceum Fridericianum war jüdischen Kin 
dern nicht gestattet. Die Mutter bestürmte den 
Direktor jedoch so lange mit Gründen und Tränen, 
bis, wie Mosenthal einmal in einer Skizze seines 
Lebens sagt, „Caesar über den Rubicon und ich 
über die Schwelle des Lyceums trat". Eben damals, 
1835, hatte Hassenpflug das Lyceum aufgehoben 
und ein neues Gymnasium mit gesteigerten An 
forderungen errichtet. Zu den neuen Professoren 
Weber, Flügel- und Theobald trat 1836 als Hilfs 
lehrer des Französischen Franz Dingelstedt, zu dessen 
anhänglichsten Schülern der junge Mosenthal zählte. 
„Er saß in Tertia, auf der vierten Bank von oben", 
schrieb Dingelstedt 1877 in seinem Mosenthal ge 
widmeten „Stammbuchblatt". „Mosenthal fiel mir
	        

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