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und das Schützenkorps der Residenz Kassel Spalier bil
deten. Jeder Behörde schritt ein aus ihrer Mitte
gewählter Trauermarschall voraus. Der ganze Zug, der
nach dem offiziellen Programm 77 Nummern enthielt,
umfaßte mit Einschluß des Militärs üoer 2000 Per
sonen. Er bewegte sich von der Schloßkirche ans an
Fontänenteich, Sibpllengrotte nnd Pyramide des Ccstius
vorbei; die für diese Gelegenheit besonders instand
gesetzte Straße zur Löwenburg heißt danach noch heute
der „Leichenweg". An der Burg, von dessen Turm
die schwarze Flagge wehte, war die Zugbrücke auf
gezogen und das Fallgatter herabgelassen. Der „schwarze
Ritter" ritt an den Burggraben heran und schlug mit
den Worten „der Fürst zu Hessen will seinen Einzug
halten" an das Fallgatter, worauf dieses in die Höhe
gezogen und die Brücke gesenkt wurde. Nunmehr zog die
Spitze des Zuges ein, schritt über den Burghof durch
das gegenüberliegende Tor und nahm jenseits der Burg
Aufstellung. Der Sarg wurde in die Kapelle getragen,
in die außer der kurfürstlichen Familie nur die bei der
Leiche fungierenden Personen sowie das Ministerium und
drei Präsidenten eintraten. Kurfürst Wilhelm I. hatte es
verschmäht, in der Gruft seiner Väter beigesetzt zu
werden. Landgraf Friedrich I. war seit Philipp dem
Großmütigen der erste gewesen, der nicht in der St.
Martinskirche beigesetzt wurde; er ruht in Stockholm,
Wilhelm VIII. dann wieder im Martinsdom, Friedrich II.
in der katholischen Elisabethkirche. Auch die Nachfolger
Wilhelms I. sind bekanntlich nicht in der Martinskirche
beigesetzt, Wilhelm II. ruht in Hanau, Friedrich Wil
helm I. neben Mutter und Schtvester auf dem alten
Kasseler Totenhof an der Lutherkirche. Wilhelm I. aber
wollte inmitten seiner herrlichen Schöpfung beigesetzt
sein und hatte sich in der von ihm erbauten Löwenburg
eine Grabkapelle herrichten lassen. In der Gruft unter
dieser Kapelle befindet sich ein jetzt nicht mehr zu sehendes
Relief von der Hand des Bildhauers Ruhl, über dem
Gewölbe das Grabmal eines Ritters, gleichfalls von
Ruhl. Die schwarz ausgeschlagene Kapelle war von
.Kerzen erhellt. Nachdem der gesamte Zug durch den
Burghof gezogen war, hielt Generalsuperintendent Rom
mel die gut abgefaßte Trauerrede, dann tvurde, indes
101 Kanonenschüsse und Jnfanteriesalven ertönten, der
Sarg in die Gruft gesenkt und in einen Marmor
sarkophag gesetzt, die Schlüssel zur Tür in die Gruft
hinabgeworfen und diese vermauert. Die Truppen defi
lierten vor dem Kurfürsten, worauf die Teilnehmer nach
Kassel zurückkehrten.
Man hat gesagt, mit dem Todestag des Kurfürsten
sei für Hessen erst das 18. Jahrhundert beendet ge
wesen. Das ist nicht ganz unrichtig, Er war in seinem
ganzen Denken und Handeln ein Regent nach der Art
des 18. Jahrhunderts. Gewiß wollte er in dieser Art
das Beste seines Volkes, aber nur zögernd tvollte er der
neuen Zeit Konzessionen machen. Daß er dieses Beste
tvollte, weist Redner aus der langen Zeit seiner Re
gierung nach. So war z. B. eine seiner ersten Regierungs
handlungen die Abschaffung der Folter. Er war ein
echt deutscher Fürst mit starker Abneigung gegen alles
französische Wesen. Immer tvieder griff er gegen den
Erbfeind zu den Waffen. Auch getvann er es nicht
über sich, gleich anderen Fürsten Napoleon zu huldigen.
Mit der Niederlage Preußens war aber auch ihm der
Todesstoß versetzt. Auch seinen Geiz, der vielfach unheil
voll in die Erscheinung trat, konnte er, tvenn er es
für nötig hielt, überwinden. Das zeigt außer seinen
Bauten der Umstand, daß er nach der Verbannung 1813
einer der ersten deutschen Fürsten tvar, die mit Geld
mitteln nicht zurückhielten. Trotzdem viele Tausende
seiner hessischen Untertanen als westfälische Soldaten in
Rußland den Untergang gefunden hatten, brachte er es
in zwei Monaten fertig, ein völlig neues Heer von
24000 Mann auf den Kriegsschauplatz zu schicken.
Trotz allen Fehlern war er beim Volke beliebt, das ihm
selbst seine vielen Mätressen verzieh, denen er nie den
geringsten Einfluß auf die Regierung zugestand. Aber
nicht an all^n Untertanen war die westfälische Regierung
vorübergegangen, die so manchen, jetzt ungern vermißten
Fortschritt gebracht hatte. Alle diese Fortschritte ließen
sich nicht beseitigen, ohne daß das Bedauern und Un
willen erregte. So sank bei Bürgern, Bauern und Of
fizieren die anfangs günstige Stimmung stark herab.
Alle Klaffen hatten Grund zur Unzufriedenheit, alle
waren einig in dem Verlangen nach einer Verfassung.
Diesen Bestrebungen stand der Kurfürst nicht ganz ab
lehnend gegenüber, aber die Forderungen des Volkes
gingen ihm zu >veit, und so zog er von seinen Zu
geständnissen nach und nach alles tvieder zurück. In
diesem Mißverhältnis sind die ersten Anfänge des Ver
fassungskampfes zu suchen, der später so schweres Leid
über das Hessenland bringen sollte. So ist es nicht ver
wunderlich, daß man überall große Hoffnungen auf seinen
Nachfolger setzte. Die erste Zeit der Regierung Wil
helms II. schien dieses Vertrauen zu rechtfertigen, aber
sein Starrsinn und der Einfluß seiner Mätresse, der
späteren Gräfin Reichenbach, die sich im weitesten Sinn
in die Regierungsgeschäfte mischte, führte schon bald zu
verhängnisvollen Zerwürfnissen.
Von allen Personen, die bei der Beisetzung des ersten
Kurfürsten tätig waren, gedenkt man noch heute überall
in Hessen am lebhaftesten des sog. schwarzen oder Toten
ritters, des Jagdjunkers Christian von Eschwege, dessen
sich schon früh die Volkssage bemächtigte. Redner weist
nach, daß der alte Brauch, einen solchen Totenritter
zu verwenden, nicht nur bei fürstlichen Beerdigungen,
sondern — was bisher noch unbekannt war — auch bei
Beisetzungen nicht fürstlicher vornehmer Personen vor
kam. Die Sage von dem frühzeitigen Hinscheiden dieses
schwarzen Ritters fand in Christian von Eschwege ihr
letztes Beispiel. Dieser, 1703 in Reichensachsen als Sohn
eines Oberstleutnants geboren, hatte sich im Zug gegen
Frankreich 1814/15 den kurhcssischen Orden des Eisernen
Helm und den preußischen ?our le mérite erworben und
dann als Hof- und Jagdjunker im Oberforst Habichtswald
Dienst getan. Als seine Mutter, der die alte Sage be
kannt war, erfuhr, daß er im Leichenzug des Kurfürsten
zum Totenritter bestimmt, war, lebte sie in großer
Sorge. War doch in der Todesnacht des Landesherrn
nicht nur das Bild ihres Sohnes, des Jagdjunkers,
von der Wand gestürzt, sondern hatte im Fall von den
vielen auf einer Kommode stehenden Tassen gerade die
jenige mit dem Bilde der . Löwenburg in Scherben
geschlagen. Aber auch diese üble Vorbedeutung hielt
Eschwege nicht davon ab, sich seiner Lehnspflicht zu unter
ziehen. Augenzeugen wollen bemerkt haben, daß er
schon vor Beginn des Zuges unter der ungewohnten
Rüstung blaurot im Gesicht war. In der Löwenburg
zog er sich dann vermutlich eine starke Erkältung zu,
jedenfalls erkrankte er bald danach am Nervenfieber,
dem er nach vier Monaten erlag, und zwar am 11. Juli
1821, wie die Inschrift seines Grabmals auf dem Luther
platz besagt. Seine Rüstung befindet sich noch heute im
Armatursaal der Löwenburg. Noch mancherlei wird über
den Tod des ersten Hessenkurfürsten berichtet, was in
das Gebiet der Vorahnung fällt, darunter selbst von so
ruhigen und verständigen Leuten wie den Brüdern
Grimm. Wenig bekannt ist auch, daß der Leichen
wagen, der den Sarg dieses letzten Kurfürsten des