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liebten Studenten ist originell (wenn der Baum mit dem
in seiner Krone verborgenen Lauscher fehlte, die wir aus
Fritz Reuters „Onkel Bräsig" kennen) und von großer
humoristischer Wirkung. Pickert muß Silchers Biographie
genau studiert haben. Er bringt berühmte Zeitgenossen
von ihm aus die Bühne und läßt Franz Liszt und Uhland,
ohne zwingenden Grund zwar, aber doch aus einiger
maßen plausiblen Ursachen vor uns erscheinen. Man
weiß ja, wie historische Persönlichkeiten, die uns teuer
sind, wenn sie porträtähnlich zwischen den Kulissen sich
zeigen, wirken. Darin, in den Aktschlüssen, in mancherlei
Details zeigt sich der erfahrene Bühnenfachmann. Das
ganz aus Stimmung aufgebaute Werk läßt diese Stim
mung keinen Augenblick vermissen. Glaubt man, sie
könne nachlassen, so ertönt eine der Silcherschen Volks
weisen Md sie ist wieder da. Uno da der musikalische
Teil von Wilhelm Vogger sehr geschmackvoll bearbeitet
ist, fehlte >es nicht an Huldigungen für den Verfasser.
Die Künstler nahmen sich des Stückes mit kollegialem
Feuereifer an. Fräulein Keysell erfreute durch ihr
natürliches Spiel und ihre schöne Stimme, Herr Jür-
gensen gab dem Silcher patriarchalische Würde und
herzliches Gefühl, die vier Studenten der Herren War-
beck, Clemm, Friedrich und Uhlig sorgten für die
nötige Heiterkeit, und der Verfasser spielte einen alten
lüsternen Fürsten, dessen Figur eigentlich etwas aus dem
Rahmen des Stückes fällt. Die Regie, die Herr Pickert
füh'rte, hatte jede Einzelheit liebevoll bedacht. Alles in
allem ein Stück, das gewiß über eine Anzahl Bühnen
gehen und manchen unterhaltsamen Abend bereiten wird.
Dann gab es die köstliche Satire Thoma's „Moral".
Wir haben das Stück vor Jahren hier schon im Residenz-
theater gehabt, es ist erst nach der Revolution für unsere
erste Bühne möglich geworden. Man kann nicht sagen,
daß die Satire durch die Umwälzung an Aktualität
verloren hätte. Nuk würde ein Satiriker von heute sich
vielleicht — und sicher mit demselben Glück — ein
anderes Ziel suchen können, als den Cant, die heuchlerische
Sexualmoral derer, die man früher „die besseren Klassen"
nannte. Vielleicht schärft Thoma einmal seinen Griffel,
um die angeblich uneigennützige „Gesinnnngstüchtigkeit"
im modernen Deutschland dem Gelächter preiszugeben.
Abgesehen von einigen Längen des ersten Aktes, die den
Rotstift ruhig vertragen können, ist das Stück mit ziel
sicherer Bestimmtheit aufgebaut. Daß ein Satiriker über
treiben muß, weiß jeder, und so wird man denn die
scharfen Spitzen, mit denen Sittlichkeitsbestrebungen und
bourgeoise Anschauungsweisen bedacht werden, nicht tra
gisch nehmen.
Von den Darstellern sei vor allem des Fräulein
Storm gedacht, die die Lebedame Ninon de Hauteville
in Kleidung, Haltung, Ungeniertheit und schlauer Über
legenheit entzückend verkörperte. Der Fritz Beermann
des Herrn Berend war in seinen Ängsten sehr glaublich,
Herr Wehl au gab den Justizrat mit kaustischem Humor,
Herrn Pape lag der schnodderige Assessorton sehr gut,
Herr Jürgensen ließ in dem Kammerherrn eine gut
gesehene Abart des alten aristokratischen Hofmanns vor
uns erstehen, der Polizeipräsident des Herrn Schräder
entsprach offenbar den etwas stark auftragenden Absichten
des Dichters. Der deutschtümelnde Professor des Herrn
Hellbach allerdings wirkte wenig eindrucksvoll.
Dann ward uns als Neueinstudierung Grillparzers
„Des Meeres und der Liebe Wellen" be
schert. In seiner Selbstbiographie nennt sich Grill
parzer den größten Dichter, der nach Goethe und Schiller
gekommen. Vielleicht, wenn er in anderen Verhält
nissen gelebt, daß er den beiden Unsterblichen gleich
gekommen wäre. So aber empfinden wir in allen seinen
Werken etwas Unausgeglichenes. Gewiß, er hat die
herzbewegende Sage von Hero und Leander mit feinstem
dichterischen Empfinden zu einer modernen Tragödie
geformt, er hat den einfachen Konflikt, der ohne' jede
Künstelei aus der Liebe eines jungen Menschenpaares
sich ergibt, mit großer Charakterisierungskraft, mit tief
schürfender Seelenkenntnis gestaltet. Man darf aber mit
Recht zweifeln, ob dieser in seiner Behandlung modern
anmutende althellenische Stoff die Synthese von Griechen
tum und heutigem Empfinden darstellt. Der Verkennung
ist — wie bei Hebbel — eine Überschätzung des Dichters
gefolgt. Wir fühlen, er hätte Ewigkeitswerte schaffen
können und es blieb ihm „ein Erdenrest, zu tragen
peinlich". Darum kann man auch begreifen, wenn trotz
der Schönheit »der Sprache,- der Feinheit der Psychologie
das Publikum nicht mitgerissen wird... Fräulein Hopf
war nicht nur eine anmutige Hero, sie rührte und be
wegte, Herr Uhlig war ein feuriger, kraftvoller Leander.
H. B l u m e n t h a l. ,
Aus Heimat und fremde.
H e s s i s ch e r G e s ch i ch t s v e r e i n. Der Besuch des
Herrenabends am 7. Februar wies wegen der Ober
schlesierveranstaltung in der Stadthalle nicht ganz die
übliche Stärke auf. Nach Erörterung kleinerer Vereins
angelegenheiten wies der Vorsitzende General Eisen-
traut auf die Gefährdung des Schandpfahles in Elms
hagen bei Hoof hin, wohl des einzigen, der sich in Hessen
erhalten hat, schilderte die historische Bedeutung dieses»
für die Kulturgeschichte wichtigen Altertumes, berichtete
über die von den Herren von Schaumburg in Hoof,
Breitenbach, Elmshagen und dem Großen Hof bei Martin
hagen ausgeübte Gerichtsbarkeit und über ähnliche Denk
mäler, wie Staupsäulen usw. und sprach die Hoffnung
aus, daß die Gemeinde zu Elmshagen alles tun werde,
um den Pfahl, an dem in früheren Zeiten besonders
Feld- und Walddiebe zur Schau gestellt wurden, vor
weiterem Verfall zu schützen. Auf eine aus der Versamm
lung heraus gestellte Anfrage erörterte Geheimrat Scheibe
die seit Jahrhunderten schwebende Streitfrage über den
Geburtsort des Dichters und Humanisten Eobanus Hessus
und entschied sich auf Grund aller in Betracht kommenden
Momente für Halgehausen bei Frankenberg, für das
namentlich auch Eobanus' Schüler Wigand Lanze und
sein Biograph Krause eingetreten waren. Amtsrichter
Rabe teilte eine kulturgeschichtlich außerordentlich auf
schlußreiche Bittschrift der Gemeinden Weidenbach, Sicken
berg, Asbach und Hennigerode aus 1611 mit, die um die
Versetzung ihres Pfarrers baten, dessen trunksüchtige
Ehefrau durch ihren skandalösen Lebenswandel den kirch
lichen Wandel der Gemeinden in größte Gefahr gebracht
hatte. Rechnungsdirektor Woringer entwarf ein
lebensvolles Bild aus der Geschichte des Schlößchens
Wabern bei Fritzlar, das Landgraf Karl 1704—1707 als
Lustschloß für seine Gemahlin Marie Amalie erbaut hatte
und das seitdem vielfach zum gelegentlichen Aufenthalt
des Hofes diente. 1753 übernachtete Voltaire auf einer
Reise von Berlin nach Paris in dem Schloß, und wäh
rend öes siebenjährigen Krieges diente es wiederholt, so
dem Prinzen Ferdinand von Braunschweig, zum Haupt
quartier. Nach dem Krieg brach dann eine neue Glanzzeit
für das Schlößchen an, indem es durch Landgraf Fried
rich II. von 1763 bis zu dessen Tod 1785 alljährlich