Full text: Hessenland (35.1921)

Länge, und als er nach acht Wochen nochmals um 
Verlängerung seines Urlaubs einkommen mußte, 
erhielt er statt des Urlaubs unerwarteter Weise den 
Abschied. Seine Gesundheit wurde aber nach län 
gerer Zeit wieder hergestellt, und er begab sich danach, 
im Jahre 1757 nach Lvschwitz bei Dresden, wo 
Friedrich der Große damals sein Hauptquartier 
hatte. Er stellte sich in der Hoffnung, wieder an- 
gestellt zu werden, dem Könige vor, der ihn aber 
mit den brüsken Worten: „Herr, Er ist ja noch 
ganz krank!" abfertigte, von Schliessen wandte 
sich nun nach Hessen, dessen Truppen ja auf Seiten 
Friedrichs des Großen kämpften, und trat als Fähn 
rich in das Regiment Isenburg ein. Hier in Reffen 
erkannte man besser als in Preußen, was in dem 
körperlich unscheinbaren jungen Mann steckte. Fast 
stets als Generalstabsoffizier im Siebenjährigen 
Kriege verwendet, wurde er noch im Jahre 1757 
Leutnant, am 3. Mai 1758 Kapitän, 25. Oktober 
1759 Major, 4. März 1760 Major in der 1. Garde 
mit Oberstleutnantsrang, 14. November 1760 Kom 
mandeur der 1. Garde und Generaladjutant des 
Landgrafen, 28. Juni 1762 Oberst und Komman 
deur der Gardedukorps, 14. Juni 1763 General 
major und 1 . Generaladjutant. Er hatte also in 
den sieben Kriegsjahren alle Stufen der militärischen 
Hierarchie vom Fähnrich bis zum Generalmajor 
durchflogen. Vielfach führte er als Generalstabs 
offizier größere Truppenteile zu besonderen Unter 
nehmungen oder entwarf die Pläne zu solchen, bei 
spielsweise zur Schlacht bei Minden, wofür er, da 
die Verleihung von Orden damals noch nicht üblich 
war, von dem Führer 0 er Armee, dem Herzog Fer 
dinand von Braunschweig, ein Geldgeschenk von 
4000 Talern erhielt. Er hatte aber sein altes Vater 
land nicht vergessen. In Gemeinschaft mit den 
zahlreichen anderen preußischen Offizieren, die vor 
und im Siebenjährigen Kriege in hessische Dienste 
getreten waren, wirkte er darauf hin, daß Landgraf 
Friedrich II. in seinem Bunde mit Preußen ver 
harrte. Das war von Wichtigkeit, obwohl der Land 
graf wohl niemals daran gedacht hat, von Preußen 
abzufallen. Hätte er es getan, so würde wahr 
scheinlich der Sieg Preußens sehr fraglich gewesen 
fein. Schliessen sehnte sich aber nach Preußen zu 
rück. Im Jahre 1762 machte er einen Versuch, 
sich wieder in Preußen niederzulassen. Herzog Fer 
dinand von Braunschweig wandte sich deshalb befür 
wortend an den König Friedrich II., der aber 
unterm 14. November 1762 aus Meißen antwor 
tete, der Oberst von Schliessen, der aus Preußen 
stamme und ohne Erlaubnis des Königs sein Vater 
land verlassen habe, habe seine Güter verwirkt, die, 
wenn er nach Preußen zurückkehre, eingezogen wer 
den würden. Daraufhin blieb Schliessen in hessischen 
Diensten, in denen er am 26. Oktober 1772 General 
leutnant und Staatsminister wurde. Als solcher 
war er der eifrigste Berater des Landgrafen Fried 
rich II. und wirkte 1776 als Gesandter in London 
wesentlich für den Abschluß der Subsidienverträge 
mit England. Eine Reise nach Mannheim unter- 
nahni er zu dem Zwecke, oen Pfalzgrafen Karl 
Theodor für einen Fürstenbund zu gewinnen, der im 
preußisch-evangelischen Sinne gegenüber den mit 
Österreich verbundenen katholischen Fürsten wirken 
sollte. Schliessens Plan kam aber nicht zum Ab 
schluß. Als 1785 sein Gönner, Landgraf Fried 
rich II. von Hessen, gestorben und im folgenden 
Jahre König Friedrich II. von Preußen ihm gefolgt 
war, hielt ihn nichts mehr in Hessen und auch seiner 
Rückkehr nach Preußen stand nichts mehr im Wege. 
So nahm er denn 1786 seinen Abschied, worauf 
ihn König Friedrich Wilhelm II. von Preußen 
am 10. März desselben Jahres zum Generalleutnant 
von der Armee ernannte. Am 25. April 1789 
wurde er Gouverneur von Wesel, erhielt im Mai 
desselben Jahres den Schwarzen Adlerorden und 
wurde am 21. Januar 1791 Chef des bisherigen 
Regiment Eichmann in Wesel. 1789 wurde er an 
die Höfe im Haag und in London geschickt, um mit 
beiden Höfen wegen der Maßregeln zu verhandeln, 
die infolge der Unruhen in Brabant nötig geworden 
waren. In deren Ausführung rückte er 1790 als 
Oberbefehlshaber der preußischen Truppen in das 
Bistum Lüttich ein. Auch sonst vielfach zu diplo 
matischen und militärischen Aufgaben verwendet, 
nahm er 1792 seinen Abschied und zog sich nach 
Windhausen zurück, dessen tzerrschaftsgebäude er 
4769 erbaut hatte. Er wohnte aber meist nicht in 
diesem Gebäude, sondern in einer schilfgedeckten 
Eremitage. In Kassel hatte er sich ein Wohnhaus 
am Königsplatz gebaut, den späteren Gasthof zum 
König von Preußen. Er lebte von nun an ganz 
den Wissenschaften und verfaßte eine Reihe von 
Schriften, von denen heute noch zwei von Wert sind: 
eine Familiengeschichte der von Schliessen und seine 
eigene Lebensgeschichte, letztere unter dem Titel: 
„Einige Betreffnisse und Erlebungen Martin Ernsts 
von Schliessen." Das Werk ist sehr schwer lesbar, 
weil der Verfasser alle Fremdwörter vermieden, an 
ihrer Stelle aber Ausdrücke gewählt hat, die nicht 
ohne weiteres verständlich sind. Er nennt z. B. 
den Generaladjutanten „Hauptfeldhandbieter", den 
Adjutanten „Schaardienstbesteller", das Garnisons 
regiment „Besatzungsschaarheit", den Gesandten 
„Geschäftsführer" usw. Dem Verkehr mit Menschen 
ging er ganz aus dem Wege und trat nur noch 
einmal öffentlich auf. Dies letzte Erscheinen war 
sehr eigentümlicher Art. 1813, beim Angriff 
Czernitscheffs aus Kassel, begab er sich nämlich nach
	        
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