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gescheit in die Welt hinein. Da lockte er sie mit
den Bröckchen der Brotrinde, um vom Weg zu
kommen. Daß der Wirt und seine Gäste die
Hälse hinter ihm her reckten und sich vor Lachen
schüttelten, merkte der alte Bursche nicht. Wachend
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waiabend
träumte er einen betörender: Traum, in dem wirrterr
sich Geißgemecker, rauschende Milchstrahlen im
Eimer und raschelndes Rauhfutter zu einem Herr,
lichen Klangbild zusammen.
(Fortsetzung folgt.)
int Dorfe.
Und jeden Abend ist es so:
Duftwellen kommen von irgendwo.
Hoch in den Bergen vergrollt ein Gewitter;
vorm Hause sinnen die jungen Mütter,
und hinter den Gärten — das geht so nah —
schluchzt eine Mundharmonika.
Die Mädchen aber sind wie immer;
stellen Flieder in alle Zimmer,
öffnen heimlich Türen und Truhen.
Und wenn sie längst in den Betten ruhen,
singt selig noch der blaue Blick:
Doch morgen — morgen kommt das Glück!
Gtto Blüse.
Weißenborn.
Aus Heimat und fremde.
Heinrich Bertel m a n n f. Eben kommt uns die
tieftraurige Kunde, daß Heinrich Bertelmann einer
schweren Krankheit erlegen ist. Wir werden im nächsten
Heft versuchen, dem Andenken dieses prächtigen Menschen
und Dichters gerecht zu werden. Die Redaktion.
Die Kasseler F r ü h j a h r s a u s st e l l u n g
19 20 wurde am 9. Mai im Oberlichtsaal des'Stände-
hauses durch den Vorsitzenden des Arbeitsausschusses der
Ausstellung Akademiedirektor Professor Dr. Bantze r
eröffnet, der, an die letzte große Kasseler Ausstellung
im Jahre 1913 anknüpfend, einen Rückblick über das
seitherige Kunstschaffen in Hessen bot, die Aufgabe der
bildenden Kunst in der Gegenwart schilderte und zum
Schluß zu einer Würdigung der expressionistischen Kunst
überging. Oberbürgermeister Scheide mann, der im
Namen der Stadt der Ausstellung einen guten Erfolg
wünschte, stellte in erfreuliche Aussicht, daß in abseh
barer Zeit Räume für eine städtische Galerie bereit
gestellt werden könnten. Über die vom Kunstverein und
der Kasseler Kunstakademie veranstaltete Ausstellung
selbst, die bis zum 4. Juli dauert, werden wir im
nächsten Heft berichten.
H o ch s ch u l n a ch r i ch t e n. ' Marburg : Der
Direktor der medizinischen Klinik Prof. Dr. Gustav
von Bergmann wurde nach Frankfurt versetzt und
Prof. Dr. Alfred Schwenkenbacher, bisher an
der Frankfurter Universitätsklinik, zu seinem Nachfolger
ernannt. — Der Privatdozent und Oberarzt an der
medizinischen Klinik Prof. Dr. med. Gerhard Katsch
siedelte mit Prof, von Bergmann an die Klinik der
Frankfurter Universität über. — Der a. o. Professor
für Straf-, Strafprozeß- und Zivilprozeßrecht Dr. für.
Woldemar Engelmann wurde zum 'ordentlichen Pro
fessor ernannt. — Die philosophische Fakultät verlieh
dem Prof. Adolf S t o l l in Kassel anläßlich seines
70. Geburtstages ehrenhalber die philosophische Doktor
würde. — Seit dem 1. April führt nach Anordnung des
Volkswohlsahrtsministeriums die gesundheitspolizeilichen
bakteriologischen Untersuchungen für den Regierungs
bezirk Kassel und Waldeck das hygienische Universitäts
institut Marburg und nicht mehr Frankfurt aus. —
Das Sommersemester nahm am 29. April seinen Anfang.
Die Zahl der Immatrikulierten beträgt 2997 Herren
und 410 Damen. (Theologie 242 Herren und 8 Damen,
Jura 585 Herren und 14 Damen, Medizin 937 Herren
und 86 Damen, Philologie 1033 Herren und 302
Damen.) — Gießen: Prof. Dr. Karl F e i st hat
den an ihn ergangenen Ruf auf den Lehrstuhl der
pharmazeutischen Chemie an der Universität Göttingen
als Nachfolger Mannichs angenommen. — Dr. Johannes
Com pernaß aus Salmünster bei Schlüchtern er
hielt die venia legendi für byzantinische Philologie.
P e r s o n a l ch r o n i k. Einer der bekanntesten ein
stigen Willingshäuser Maler, Hans von Bolkmann
in Karlsruhe, beging am 19. Mai seinen 60. Geburts^
tag. — Fräulein Dr. phü. Margret Heinemann,
Tochter des Kasseler Stadt-Medizinalrates, wurde als
Hilfsarbeiterin in das preußische Kultusministerium be
rufen. Es dürfte der erste Fall sein, daß eine Frau in
diesem Ministerium die Stelle eines vortragenden Rates
erhält.
Die Plätze der Kasseler Oberneustadt
früher und jetzt. Zum zweitenmal in kurzer Zeit
bot der Handels- und Gewerbeverein seinen Mitgliedern
und Gästen einen bedeutsamen Vortrag mit Lichtbildern
über die städtebauliche Entwicklung Kassels. Am 20. April
sprach Stadtbauinfpektor Labes im dichtbesetzten Vor
tragssaal des Landesmuseums über „Die Plätze der
Oberneustadt früher und jetzt". Unsere Oberneustadt, so
führte Redner einleitend aus, ist ein Werk des 18. Jahr
hunderts, einer künstlerisch sehr hochstehenden Zeit, be
gonnen im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts
(1688, und vollendet um 1800. Diese Epoche sind 100
Jahre großen architektonischen Aufschwungs und städte
baulichen Glanzes und dann kommen 100 Jahre, die
das Gegenteil sind, ein Niedergang der Architektur, eine
Verkümmerung des Städtebaues. Was war das architek
tonisch Große in dieser Glanzepoche? Jeder Bau, von
der Kirche bis zum kleinsten Gartenhäuschen, war nach
Grund- und Aufriß eine räumlich und künstlerisch klare
Lösung, ein künstlerisches Objekt, das gesetzmäßig ge
bildet war. Sodann war jeder Bau ein Glied eines
größeren architektonischen Gedankens, der einen ganzen
Stadtteil als Einheit umfaßte. Jeder Bau hatte die
engste Beziehung zu den Nachbarhäusern, war Einzel
glied einer Gesamtkomposition. Charakteristisch für Kassel
war nicht, >vie etwa bei den Wilhelmshöher Kaskaden-