Hessisches Heimatsblall
Zeitschrift sür hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 3/4.
34. Jahrgang.
Februar-Doppelheft 1920.
Der Zwergmythus in Hessen.
II.
Von Heinrich Franz.
1.
Indem die Wichtel sich, sichtbar oder unsichtbar,
außerhalb ihrer Hausung herumtreiben, treten sie
im Geklüft, in der nächsten Umgebung ihres Berges
oder Hügels, aus Weide, Wiese und Acker, in Gar
ten, Hof und Haus in Berührung mit den Men
schen. Wie stellen sie sich zu diesen? Nicht grund
sätzlich feindlich, mehr wohlwollend und freund
lich 7 . Dank ihrem rastlosen Tätigkeitsbedürfnis hel
fen sie ihnen sogar bei ihren mannigfachen Ver
richtungen. So arbeiten sie nächtlicherweile für die
Schmalkalder Messerschmiede an Schraubstock und
Amboß und schleifen und polieren in der Schleif-
kothe auf das trefflichste die Klingen, die man
ihnen Abends hingelegt hat 2 . Auch der Landwirt
darf sich ihres Beistandes getrösten: sie helfen emsig
den Schnittern auf dem Feldes, sie beaufsichtigen
jeweils in Abwesenheit des Hirten die auf dem
Felde weidende Herdes sie beteiligen sich beim
Einbringen des Getreides 5 und fehlen auch nicht,
wenn es gilt, die saure Arbeit auf der Dreschtenne
zu leisten 6 . Sind sie in einem Gehöft erst heimisch
geworden urü) wollen dem Gesinde wohl, so helfen
sie ihm rüstig bei seinen verschiedenen Verrichtungen,
und oft, noch ehe dieses sich Nom Lager erhebt, ist
das Haus bereits blank aufgeputzt, das Vieh ge
füttert, die Kühe besorgt und alles für den Tag
in Ordnung gebracht 7 . Nicht minder beteiligen sie
sich an der wichtigsten winterlichen Hausarbeit, am
Spinnen: sie helfen dabei nicht nur unsichtbar den
Spinnerinnen, sondern spinnen ihnen zum öfteren
Nachts alle Spulen voll 8. Auch als flinke geschickte
Schuhmacher betätigen sie sich 9 , und der Broihan
von Oldendorf war nie.wieder so schön wie damals,
wo sich noch die Zwerge von der nahen Paschenburg
als kundige Brauer an seiner Bereitung beteilig
ten Nett ist dabei, daß sie angeblich bei ihren
Wohltaten und Gefälligkeiten nicht unterschiedslos
verfuhren, sondern sie guten Menschen zuwandten 77 ,
weniger nett schon, daß sie ab und an erst das
Korn, den Weizen und andere Dinge stahlen, die
sie ihren Günstlingen zuwenden wollten 72 . Wie
weit ihr Wohlwollen und daraus entfließende Nei
gung zum Schenken geht, erhellt aus einer Mit
teilung aus der Homberger Gegend, wonach die
„auf dem Steter" bei Holzhausen hausenden Wich
tel in der Nähe arbeitenden Pflügern und Schnit
tern manchmal Essen, etwa Hirsebrei oder sonst
etwas Leckeres gebracht haben. Einst, als ein Knecht
dort ackerte, stieg ihm ein Duft von frischem Gebäck