Blätter fielen, seine Waffe gerichtet, und jauchzend
hatten seine Lippen lautlos, lautlos die Worte ge
schrieen: „Du bist Grplid, mein Land, wie bist du
doch so schön". Rein und groß wie die Sonne
stieg seine Seele immer da hinab, wo sie hingehörte,
an den Platz schaffenden Wirkens. Und wenn sich
sein Auge so voll Schönheit gesogen, dann lachte
und leuchtete es, dann lachte es einen hehren Lenz.
Weil er so einsam war, darum hat er nach Sonne
gerungen und Lenz und Licht; Licht hat er mit
genommen und Sonne mit in seine goldene, himmel
blaue, weite nnd so wehe Einsamkeit. Mit jenen
hat er sich eins wissen wollen, die das Wort geredet
halten von einem schönen vollendeten Ganzen.
Zugerufen hat er's seiner lichtfrohen, aber sturm
schwertfroheren Seele gern und heiß.
Und heute zog er. Und er trug eine Heimat
im Herzen, eine Heimat, die niemand kannte denn
er; deren Sonne ihm aus den Augen schien, heilig
und rein. Freunde hatte er nie gehabt, denn zu
hoch hatte er von seinem Ideal gedacht, so hoch,
daß sie es nicht erfüllen konnten, die Menschen;
er hat nie Freunde gehabt und. darum hat ihn oft,
wenn ihm das Leid die Träne versagte, das schmer
zende Weh die Brust pressen wollen; aber seine
stille, schöne Heimat, die Heimat seines Herzens,
die aus diesem Gefühl der lodernden Sehnsucht
und erstickenden Einsamkeit geboren und gebaut
war mit ihrem blauen Himmel und ihrem Sonnen
lande, die machte ihn groß. Ihn begleitete der
Rhythmus des ungeheuren Schönen, und mit dem,
mit der Sehnsucht danach zog er hinaus in die
grenzenlose Weite.
Am Bahnhof stand sein Väterchen. Alt wollte
er werden, und grau wurde schon sein Haar.
Verstanden hatten sie sich nicht gut, gerade und
stolz waren beide. Und dann kam der letzte Hände
druck, die letzten Worte: „Vater, diesem Vaterlande
schenkst du mich nicht, du schenkst mich mir selbst".
So sprach er von dem, was er am höchsten stellte,
von dem Bilde Gottes, von dem Menschen. Er
predigte keinen Egoismus, aber den reinsten Indi
vidualismus, der aus sich selbst ein reines Ganzes
macht, um dem Ganzen ein Ganzes zu sein. Und
dann fort, fort, weit fort. Der Zug sauste durch
die Nacht mit dem Sturm und Regen, sauste und
brauste, weit, weit von Heimat und Sonne hinweg.
Entsetzen heulte der Sturmwind. Schlacht und
Tod hielten ihren blutigen Umzug auf fahlen tod-
farbenen Pferden mit Medusenfratzen, aber mit
tiefstem Ernst. Und es lag etwas darin wie Heilig
keit, wie Größe, die ein Gott am Richtertage tragen
würde. Gellend lachte der Wind und johlte wie
ein toller, frühlingstrunkener Jüngling das eine
Mal, und das anderemal Mal wie ein stürmender
Berserker, ein kampfvoller Wate. Und dort unter
den Bäumen stand einer an seinem Geschütz, der
mit dem Sturm jauchzte und lief. Schlachtlärm
und -tosen lief gegen den Himmel und schlug dort
zurück, um die Erde in krampfhafter Zuckung und
toller Leidenschaft zu umklammern und doch kraft
los nachher in sich zusammen zu sinken. Und er
stand an dem Geschütz und riß in wütig toller Freude
am Abzug, einen Tod nach dem andern hinaus
jagend in die sturmschwangere Luft. Feuer wollte
er sehen und Lärm hören, es trieb mit mächtiger
Kraft dazu. Der Kopf glühte, obwohl der Sturm
die wilden Locken herzte und küßte wie eine Dirne,
die in jugendlichem Tollen den Geliebten durch
Rosen- und Veilchenkränze zieht und in seligem
Kusse den Kopf fest umschlungen hält. Durch das
Gehirn summten ihm in stürmischer Hast Lieder
zeilen, die er einst gehört, die er einst auf froher
Fahrt hinausgelacht hatte wie eine junge Lerche.
Und manchmal, wenn es zu hart an ihn kam, dann
riß er den Abzug noch härter, und durch die gepreßten
Zähne zerrte ihm seine Braut, der Wind, einen
Liedvers und führte ihn höhnisch und gellend an
der stahlklirrenden und feuergießenden Front ent
lang. Wild klang der Donner. Gern, zu gern
warf er die Geschosse hinaus und immer jauchzender.
Da durchzuckte ihn der Gedanke wie ein Blitz aus
der Wolke über ihm: „Dort drüben sind Menschen
wie du!" Wehe, was traf ihn so? Die Hände
zittern, die Brust bebt und das Herz schlägt vor
Angst und Verzweiflung. Das Gehirn aber grübelt
und grübelt. . . . Grübelt während der Schlacht.
„Es ist ein Fluch, ein anders veranlagter Mensch
zu sein", so las ich einst. Es ist ein böser, böser
Fluch. Wohin es mich zieht, mein Tagebuch? Ich
weiß es nicht. Doch, in ein weites, weites Geistes
land, fern von hier, in ein Seelenland, ach, dahin,
wo lauter Licht, wo Treue und Liebe wie Gold
und Silber glänzt, dahin, wo ein Kindersinn um
die Seelen Fäden schlingt, die unzerreißbaren
Blumenkelten gleich sich traut von Herzensblüte
zu Herzenblüte schlingen, hehr und schön. Wenige,
ach, so wenige haben dieses Grplid erst gefunden,
wenige wollen es gefunden haben. Mich aber hält
es, eisern und fest, und zieht mich, wie die Sonne
mit ihren hellen Strahlenarmen die Erde, zieht
mich mit glutender, wogender Sehnsucht unendlich
weit. Ach, so einsam macht dieses Sehnen, so
einsam, so leer. Und so viel Freundlichkeit habe
ich nötig, nein, nicht viel, wenig, sehr wenig. Aber
ach, wo bleibt das wenige? Nie habe ich einen
Menschen gesehen, der mir Liebe gezeigt, ein klein
wenig nur. Nie ist jemand gekommen und hat
seine Hand auf meinen Kopf gelegt und leise
geflüstert: „Karl."