Full text: Hessenland (33.1919)

Blätter fielen, seine Waffe gerichtet, und jauchzend 
hatten seine Lippen lautlos, lautlos die Worte ge 
schrieen: „Du bist Grplid, mein Land, wie bist du 
doch so schön". Rein und groß wie die Sonne 
stieg seine Seele immer da hinab, wo sie hingehörte, 
an den Platz schaffenden Wirkens. Und wenn sich 
sein Auge so voll Schönheit gesogen, dann lachte 
und leuchtete es, dann lachte es einen hehren Lenz. 
Weil er so einsam war, darum hat er nach Sonne 
gerungen und Lenz und Licht; Licht hat er mit 
genommen und Sonne mit in seine goldene, himmel 
blaue, weite nnd so wehe Einsamkeit. Mit jenen 
hat er sich eins wissen wollen, die das Wort geredet 
halten von einem schönen vollendeten Ganzen. 
Zugerufen hat er's seiner lichtfrohen, aber sturm 
schwertfroheren Seele gern und heiß. 
Und heute zog er. Und er trug eine Heimat 
im Herzen, eine Heimat, die niemand kannte denn 
er; deren Sonne ihm aus den Augen schien, heilig 
und rein. Freunde hatte er nie gehabt, denn zu 
hoch hatte er von seinem Ideal gedacht, so hoch, 
daß sie es nicht erfüllen konnten, die Menschen; 
er hat nie Freunde gehabt und. darum hat ihn oft, 
wenn ihm das Leid die Träne versagte, das schmer 
zende Weh die Brust pressen wollen; aber seine 
stille, schöne Heimat, die Heimat seines Herzens, 
die aus diesem Gefühl der lodernden Sehnsucht 
und erstickenden Einsamkeit geboren und gebaut 
war mit ihrem blauen Himmel und ihrem Sonnen 
lande, die machte ihn groß. Ihn begleitete der 
Rhythmus des ungeheuren Schönen, und mit dem, 
mit der Sehnsucht danach zog er hinaus in die 
grenzenlose Weite. 
Am Bahnhof stand sein Väterchen. Alt wollte 
er werden, und grau wurde schon sein Haar. 
Verstanden hatten sie sich nicht gut, gerade und 
stolz waren beide. Und dann kam der letzte Hände 
druck, die letzten Worte: „Vater, diesem Vaterlande 
schenkst du mich nicht, du schenkst mich mir selbst". 
So sprach er von dem, was er am höchsten stellte, 
von dem Bilde Gottes, von dem Menschen. Er 
predigte keinen Egoismus, aber den reinsten Indi 
vidualismus, der aus sich selbst ein reines Ganzes 
macht, um dem Ganzen ein Ganzes zu sein. Und 
dann fort, fort, weit fort. Der Zug sauste durch 
die Nacht mit dem Sturm und Regen, sauste und 
brauste, weit, weit von Heimat und Sonne hinweg. 
Entsetzen heulte der Sturmwind. Schlacht und 
Tod hielten ihren blutigen Umzug auf fahlen tod- 
farbenen Pferden mit Medusenfratzen, aber mit 
tiefstem Ernst. Und es lag etwas darin wie Heilig 
keit, wie Größe, die ein Gott am Richtertage tragen 
würde. Gellend lachte der Wind und johlte wie 
ein toller, frühlingstrunkener Jüngling das eine 
Mal, und das anderemal Mal wie ein stürmender 
Berserker, ein kampfvoller Wate. Und dort unter 
den Bäumen stand einer an seinem Geschütz, der 
mit dem Sturm jauchzte und lief. Schlachtlärm 
und -tosen lief gegen den Himmel und schlug dort 
zurück, um die Erde in krampfhafter Zuckung und 
toller Leidenschaft zu umklammern und doch kraft 
los nachher in sich zusammen zu sinken. Und er 
stand an dem Geschütz und riß in wütig toller Freude 
am Abzug, einen Tod nach dem andern hinaus 
jagend in die sturmschwangere Luft. Feuer wollte 
er sehen und Lärm hören, es trieb mit mächtiger 
Kraft dazu. Der Kopf glühte, obwohl der Sturm 
die wilden Locken herzte und küßte wie eine Dirne, 
die in jugendlichem Tollen den Geliebten durch 
Rosen- und Veilchenkränze zieht und in seligem 
Kusse den Kopf fest umschlungen hält. Durch das 
Gehirn summten ihm in stürmischer Hast Lieder 
zeilen, die er einst gehört, die er einst auf froher 
Fahrt hinausgelacht hatte wie eine junge Lerche. 
Und manchmal, wenn es zu hart an ihn kam, dann 
riß er den Abzug noch härter, und durch die gepreßten 
Zähne zerrte ihm seine Braut, der Wind, einen 
Liedvers und führte ihn höhnisch und gellend an 
der stahlklirrenden und feuergießenden Front ent 
lang. Wild klang der Donner. Gern, zu gern 
warf er die Geschosse hinaus und immer jauchzender. 
Da durchzuckte ihn der Gedanke wie ein Blitz aus 
der Wolke über ihm: „Dort drüben sind Menschen 
wie du!" Wehe, was traf ihn so? Die Hände 
zittern, die Brust bebt und das Herz schlägt vor 
Angst und Verzweiflung. Das Gehirn aber grübelt 
und grübelt. . . . Grübelt während der Schlacht. 
„Es ist ein Fluch, ein anders veranlagter Mensch 
zu sein", so las ich einst. Es ist ein böser, böser 
Fluch. Wohin es mich zieht, mein Tagebuch? Ich 
weiß es nicht. Doch, in ein weites, weites Geistes 
land, fern von hier, in ein Seelenland, ach, dahin, 
wo lauter Licht, wo Treue und Liebe wie Gold 
und Silber glänzt, dahin, wo ein Kindersinn um 
die Seelen Fäden schlingt, die unzerreißbaren 
Blumenkelten gleich sich traut von Herzensblüte 
zu Herzenblüte schlingen, hehr und schön. Wenige, 
ach, so wenige haben dieses Grplid erst gefunden, 
wenige wollen es gefunden haben. Mich aber hält 
es, eisern und fest, und zieht mich, wie die Sonne 
mit ihren hellen Strahlenarmen die Erde, zieht 
mich mit glutender, wogender Sehnsucht unendlich 
weit. Ach, so einsam macht dieses Sehnen, so 
einsam, so leer. Und so viel Freundlichkeit habe 
ich nötig, nein, nicht viel, wenig, sehr wenig. Aber 
ach, wo bleibt das wenige? Nie habe ich einen 
Menschen gesehen, der mir Liebe gezeigt, ein klein 
wenig nur. Nie ist jemand gekommen und hat 
seine Hand auf meinen Kopf gelegt und leise 
geflüstert: „Karl."
	        
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