Full text: Hessenland (33.1919)

Rumpenheirn so übel benommen, daß er nach Rück 
kehr auf die Wache gebracht wurde. Eine Kammer- 
jungfer, Z., hat gestohlen und wird fortgejagt; 
zwei Diener prügeln sich und werden eingesperrt. 
Wie Asmodoe, der hinkende Teufel, hebt Mülot 
des landgräflichen Refidenzschlosfes Dächer ab: 
Boudoir, Speisesaal, Küche und Dienerzimmer 
liegen offen da. Und klingt es nicht — als Aus 
klang — wie der Laut gedämpfter Sporen aus 
den Worten des 11. August 1786: 
„Nr. de Ltein, Colonel Prussien a été ici et 
annoncé la mort du feu Roi.“ 
Vereinigend also Kleinstes und Größtes in leicht 
verschlungenem Band find diese wenigen vergilbten 
Notizen echte Kinder deutschen Rokokos, das schon 
von dem Geist Mozarts in sich fühlte und in der 
großen Sehnsucht nach des Sonnenkönigs Glanz 
doch noch barocken Erdgeruch an sich hatte, weil 
es eben einen Unterschied ausmacht, mit dem 
Wasser des Mains oder der Seine getauft zu sein. 
Ein Gpfer. 
Von Karl Muster. 
Von der Schulbank fort war er hineingegangen, 
heiß und froh. Von denen war er einer, die die 
Schönheit mit den Augen, mit der Seele tranken. 
Wie hatte er es getan, wie hatte er geleuchtet, wenn 
er dieser Schöne duftendes Himmelskleid sah. Ge 
lacht und gejauchzt hatte er, wenn er sein Land 
durchwallte, wenn er morgens die Sonne von 
den Bergen grüßte. Ach, wie hielt es ihn nimmer, 
wenn ihn die Sehnsucht packte, wenn ihn der 
Wanderdrang ergriff und seine Seele preßte und 
drängte, schwer und heiß. Mit Lächeln dachte der 
Primaner daran, dachte an einst, wo der Sekun 
daner die Schulzeit zu lang befunden, wie der 
Wanderdämon gekommen war, wie ihn die Felder 
so gezogen und ihm die Heimatglockenklänge des 
Waldes so getönt und ihn gelockt hatten, daß er 
kurz entschlossen die Ferien acht Tage früher be 
gonnen, zu Hause die Klampfe von der Wand 
gerissen hatte und hinausgestürmt war in alle Schön 
heit. Und dort trank er, schlürfte, trank, trank 
mit der Seele und mit den Augen, trank, trank, 
bis ihm die Sehnsucht in schmerzendem Weh die 
Kehle zuschnürte. Aber müde wurde er nicht, zu 
trinken, und immer von neuem tauchte er seine 
goldgelben Locken in den geheimnisvollen Bronnen. 
Nicht immer hatte er so getrunken. Einst waren 
Tage gewesen, an denen er gerungen und gekämpft 
hatte, und dort, wo die Sehnsucht ihre heißen, 
schwermütigen Augen sonst hob, war wilder, toben 
der Kampf gewesen. Aber er, der in der sehnsüch 
tigen Einsamkeit starke, hatte sich gefunden, gefunden 
in der Sonne, in der Natur. Nun hatten sie ihn, 
den Jungen, von der Schulbank gezogen, hinaus 
unter die vielen grauen Gestalten, die namenlos 
und unbekannt dahin huschen und bauen an einem 
großen Werk. An dem Werk, dessen Ganzes wie 
ein gigantischer Fiebertraum ist, an dem nur die 
Folge eine riesengroße Wirklichkeit verrät, die über 
alles Begreifen geht. Ihn hatte es gedrückt an 
jenem regnerischen Tage, an dem er hinausgezogen, 
daß er nicht fertig mit der Schule war, daß er 
hinter diesen Abschnitt kein „Vollendet" setzen konnte. 
Seinen Lehrern hatte er die Hand gereicht, und herz 
lich hatte er von manchem prächtigen Menschen, 
von manchem schlechten Pädagogen Abschied ge 
nommen und herzlich laut, übermächtig laut gelacht. 
Düster war der Tag gewesen, aber ein Tag nach 
seinem Herzen, ein Kampftag, an dem die Wolken 
wogten und kämpften und der Sturmwind seinen 
Ägisschild schüttelte. Und er hatte hineingejauchzt, 
laut dahingejubelt in den Sturm, wenn der Wind 
der Gesänge Klang wild jachternd zerriß. Kampf 
stimmung füllte seine Brust, nicht weil auf ihn die 
Schlacht wartete, nein, Prüfungen, schwere Prü 
fungen warteten auf ihn, das fühlte er, und so 
dehnte sich seine Brust im Gedanken an solche herben 
Kämpfe. Klang das Wetter, das über ihm rauschte, 
denn nicht auch wie Glockenklang und Sturm 
fanfare? Genau so war's gewesen, als er zum 
letzten Male sein Land geküßt hatte, dessen heiligen 
Staub er auf seiner Brust trug, still heimlich und 
gewiß. Dort draußen einsam unter dem Himmel, 
weit hinten im Gebirge im Wetter, dort hatte er 
sein heilig Abendmahl gehalten mit dem Herrn, mit 
der gigantischen Schönheit, mit der ewig singenden 
Sonne, mit der Wahrheit. Und nun dachte er 
daran, und ein Leuchten brach aus seinen Augen, 
heilig, groß und glänzend; seine Seele aber betete 
stark in den Wind hinaus, der eben seine Locken 
durchwühlte: „Laß ein Mann mich werden!" — 
Der Drill war stramm. Schmutz sahen seine 
Augen und hörten seine Ghren, und lausend 
Schmerzen durchwühlten ihn; mit bitterem Weh 
sah er hin, aber dann hatte er sich in jeder freien 
Stunde hinausgestohlen, hinaus in den freien Wald, 
wo er so tausendmal gerufen hatte: „Der du von 
dem Himmel bist", und dort hatte ihn alles ver 
lassen, was so häßlich, was so schmutzig glomm in 
den Niederungen. Freudig hatte er beim Üben im 
Dienst wieder, wenn im Herbst die sterbenden
	        
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