Rumpenheirn so übel benommen, daß er nach Rück
kehr auf die Wache gebracht wurde. Eine Kammer-
jungfer, Z., hat gestohlen und wird fortgejagt;
zwei Diener prügeln sich und werden eingesperrt.
Wie Asmodoe, der hinkende Teufel, hebt Mülot
des landgräflichen Refidenzschlosfes Dächer ab:
Boudoir, Speisesaal, Küche und Dienerzimmer
liegen offen da. Und klingt es nicht — als Aus
klang — wie der Laut gedämpfter Sporen aus
den Worten des 11. August 1786:
„Nr. de Ltein, Colonel Prussien a été ici et
annoncé la mort du feu Roi.“
Vereinigend also Kleinstes und Größtes in leicht
verschlungenem Band find diese wenigen vergilbten
Notizen echte Kinder deutschen Rokokos, das schon
von dem Geist Mozarts in sich fühlte und in der
großen Sehnsucht nach des Sonnenkönigs Glanz
doch noch barocken Erdgeruch an sich hatte, weil
es eben einen Unterschied ausmacht, mit dem
Wasser des Mains oder der Seine getauft zu sein.
Ein Gpfer.
Von Karl Muster.
Von der Schulbank fort war er hineingegangen,
heiß und froh. Von denen war er einer, die die
Schönheit mit den Augen, mit der Seele tranken.
Wie hatte er es getan, wie hatte er geleuchtet, wenn
er dieser Schöne duftendes Himmelskleid sah. Ge
lacht und gejauchzt hatte er, wenn er sein Land
durchwallte, wenn er morgens die Sonne von
den Bergen grüßte. Ach, wie hielt es ihn nimmer,
wenn ihn die Sehnsucht packte, wenn ihn der
Wanderdrang ergriff und seine Seele preßte und
drängte, schwer und heiß. Mit Lächeln dachte der
Primaner daran, dachte an einst, wo der Sekun
daner die Schulzeit zu lang befunden, wie der
Wanderdämon gekommen war, wie ihn die Felder
so gezogen und ihm die Heimatglockenklänge des
Waldes so getönt und ihn gelockt hatten, daß er
kurz entschlossen die Ferien acht Tage früher be
gonnen, zu Hause die Klampfe von der Wand
gerissen hatte und hinausgestürmt war in alle Schön
heit. Und dort trank er, schlürfte, trank, trank
mit der Seele und mit den Augen, trank, trank,
bis ihm die Sehnsucht in schmerzendem Weh die
Kehle zuschnürte. Aber müde wurde er nicht, zu
trinken, und immer von neuem tauchte er seine
goldgelben Locken in den geheimnisvollen Bronnen.
Nicht immer hatte er so getrunken. Einst waren
Tage gewesen, an denen er gerungen und gekämpft
hatte, und dort, wo die Sehnsucht ihre heißen,
schwermütigen Augen sonst hob, war wilder, toben
der Kampf gewesen. Aber er, der in der sehnsüch
tigen Einsamkeit starke, hatte sich gefunden, gefunden
in der Sonne, in der Natur. Nun hatten sie ihn,
den Jungen, von der Schulbank gezogen, hinaus
unter die vielen grauen Gestalten, die namenlos
und unbekannt dahin huschen und bauen an einem
großen Werk. An dem Werk, dessen Ganzes wie
ein gigantischer Fiebertraum ist, an dem nur die
Folge eine riesengroße Wirklichkeit verrät, die über
alles Begreifen geht. Ihn hatte es gedrückt an
jenem regnerischen Tage, an dem er hinausgezogen,
daß er nicht fertig mit der Schule war, daß er
hinter diesen Abschnitt kein „Vollendet" setzen konnte.
Seinen Lehrern hatte er die Hand gereicht, und herz
lich hatte er von manchem prächtigen Menschen,
von manchem schlechten Pädagogen Abschied ge
nommen und herzlich laut, übermächtig laut gelacht.
Düster war der Tag gewesen, aber ein Tag nach
seinem Herzen, ein Kampftag, an dem die Wolken
wogten und kämpften und der Sturmwind seinen
Ägisschild schüttelte. Und er hatte hineingejauchzt,
laut dahingejubelt in den Sturm, wenn der Wind
der Gesänge Klang wild jachternd zerriß. Kampf
stimmung füllte seine Brust, nicht weil auf ihn die
Schlacht wartete, nein, Prüfungen, schwere Prü
fungen warteten auf ihn, das fühlte er, und so
dehnte sich seine Brust im Gedanken an solche herben
Kämpfe. Klang das Wetter, das über ihm rauschte,
denn nicht auch wie Glockenklang und Sturm
fanfare? Genau so war's gewesen, als er zum
letzten Male sein Land geküßt hatte, dessen heiligen
Staub er auf seiner Brust trug, still heimlich und
gewiß. Dort draußen einsam unter dem Himmel,
weit hinten im Gebirge im Wetter, dort hatte er
sein heilig Abendmahl gehalten mit dem Herrn, mit
der gigantischen Schönheit, mit der ewig singenden
Sonne, mit der Wahrheit. Und nun dachte er
daran, und ein Leuchten brach aus seinen Augen,
heilig, groß und glänzend; seine Seele aber betete
stark in den Wind hinaus, der eben seine Locken
durchwühlte: „Laß ein Mann mich werden!" —
Der Drill war stramm. Schmutz sahen seine
Augen und hörten seine Ghren, und lausend
Schmerzen durchwühlten ihn; mit bitterem Weh
sah er hin, aber dann hatte er sich in jeder freien
Stunde hinausgestohlen, hinaus in den freien Wald,
wo er so tausendmal gerufen hatte: „Der du von
dem Himmel bist", und dort hatte ihn alles ver
lassen, was so häßlich, was so schmutzig glomm in
den Niederungen. Freudig hatte er beim Üben im
Dienst wieder, wenn im Herbst die sterbenden