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Wohnung nahm, alles getan hatte, um die er
warteten Patienten nicht nur zu heilen, sondern
auch zu zerstreuen und zu verwöhnen. Zu diesem
Zweck hatte er für alle möglichen Annehmlichkeiten
gesorgt: im Saal der Galerie trat die französische
Kindertruppe der Madame Fleury aus, die sich
vorher in Aachen gezeigt und dort die besten Er
folge erzielt hatte, für die Verpflegung der Kurge
sellschaft war ein guter Traiteur aus Hannover
bestellt worden, dem ein landgräflicher Mundkoch
zur Hand ging. Für Leidende oder Bequeme
standen Sänften bereit. Im übrigen zog „die
Menge der Fremden, der baldigst sich verbrei
tende gute Ruf des Bades mehrere Kaufleute hin,
und die große Anzahl der Anwesenden erleichterte
es, mit wenigen Kosten kleine Vergnügungen für
das 'Allgemeine zu veranstalten" 14 . Der in dieser
Eröffnungsaison in Nenndorf anwesende Hosrat
Waitz äußerte denn auch bereits damals die
Überzeugung, daß „bei der ferneren Unterstützung
lmfereö huldreichsten Fürsten dieses Nendorfer
Schwefelwasser sich zu einem der ersten und wirk
samsten Bäder Deutschlands heben wird" 15 .
14 Baldingers Neues Magazin für Ärzte, 1790, 12.
Band, 1 . Stück, S. 53.
15 Ebend. S. 54.
(Schluß folgt.)
—
Aus Gutzkows Kesselstadler Zeit.
Von Dr. Hans Knudsen, Berlin-Steglitz.
Nachdem auf die unglücklichen Jahre Karl
Gutzkows in Weimar, wo er den Posten eines Ge
neralsekretärs der Schillerstiftung seit 1861 beklei
det hatte, im Jahre 1865 der Selbstmordversuch
in Friedberg in Hessen gefolgt war, nahm er, in
der Anstalt St. Gilgenberg halbwegs von den
schweren seelischen Depressionen geheilt, nach ver
schiedenen kleineren Reisen im Sommer 1866 seinen
Wohnsitz — mit Unterbrechungen — bis 1869 in
dem kleinen Orte Kesselstadt bei Hanau. Hier
wohnte ihm benachbart Georg Christ, dessen 1846
in Neuyork geborene Tochter im Jahre 1864
einen Dr. Berna heiratete, aber schon im Jahre
1865 Witwe wurde. Sie vermählte sich dann 1880
mit dem Grafen Oriola. Ihre wertvolle und
manches Ungedruckte bergende Autographen-
Sammlung kam nach ihrem vor einiger Zeit er
folgten Tode an die Familie von Buttlar in
Hanau, der ich die Nachrichten über ihre Ver
wandte ebenso verdanke wie die — wiederholt in
liebenswürdigster Weise gegebene — Erlaubnis, aus
ihrenl Handschriften-Besitz wichtige und interessante
Stücke zu veröffentlichen. Ich gebe hier wieder,
was auf Gutzkows Aufenthalt in Kesselstadt Be
ziehung hat. Ob sich der schriftliche Verkehr mit
der damaligen Frau Dr. Berna auf diese wenigen
Blätter beschränkt, oder ob Gutzkow auch später
noch mit ihr in brieflichen Beziehungen blieb, weiß
ich nicht. — Zunächst der einzige eigentliche Brief,
den er „von Hause" abschickte:
Nehmen Sie, verehrte Frau, die Anlage als
viel zu spät eintreffenden Beitrag für Ihr schö
nes Album nachsichtig entgegen!
Die Anwendung des darin nur im Allgemei
nen ausgesprochenen Gedankens auch auf Ihr
charaktervolles Streben und meine Absicht, Sie,
soweit guter Wille vermag, für die nicht leichte
Verfolgung Ihrer bei noch so jungen Jahren so
schwierig gestellten Lebensbahn zu ermuthigen,
liegen nahe.
In Hoffnung, Sie mit werthen Ihrigen heute
unter unserm bescheidenen Dach zu begrüßen und
vereyrungsvoll
immer der Ihrige
Gutzkow.
V. H. 2./II. „Allerseelen" 66.
Das beigefügte Album-Blatt hat folgenden
Wortlaut:
Bilde Dir die Befähigung aus, Alles, was
Du erstrebst und erlebst, Dir gegenständlich zu
machen und unterzuordnen einem einzigen
großen Gedanken, dem leitenden Deines Lebens!
Besitzest Du dann n i ch t den Muth, diese
Richtschnur Deiner Handlungen frei und offen
auch mit den Lippen zu bekennen, so kaun es
an sich den Werth Deines Daseins nicht ver
ringern, wenn dessen edleres Wollen auch nur
una us g es p ro chen in ihm treibt und drängt
und wirkt, stillverborgeu, wie die Blüthe der
Religion duftet: Gebet, Selbstbetrachtung,
die sich nur unter dem Auge Gottes weiß —
B e s i tz e st Du ihn aber, den Muth, der seinen
Handlungen und Unterlassungen, seiner Liebe u.
seinem Haß, auch äußerlich den Stempel
weihevollen Ursprungs, das Gepräge b e w u ß -
t e n Wollens, aufzudrücken wagt, so führst Du,
wie der Dichter sagt, „ein Schauspiel für Göt
ter" auf, vorausgesetzt, daß dabei auch Inhalt
und Form Deines Lebensgcdichts unter den
Gesetzen der Schönheit und Wahrheit immer zu
gleich stehen.
K. 2. Nov. 66.
Karl Gutzkow.