Full text: Hessenland (32.1918)

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Wohnung nahm, alles getan hatte, um die er 
warteten Patienten nicht nur zu heilen, sondern 
auch zu zerstreuen und zu verwöhnen. Zu diesem 
Zweck hatte er für alle möglichen Annehmlichkeiten 
gesorgt: im Saal der Galerie trat die französische 
Kindertruppe der Madame Fleury aus, die sich 
vorher in Aachen gezeigt und dort die besten Er 
folge erzielt hatte, für die Verpflegung der Kurge 
sellschaft war ein guter Traiteur aus Hannover 
bestellt worden, dem ein landgräflicher Mundkoch 
zur Hand ging. Für Leidende oder Bequeme 
standen Sänften bereit. Im übrigen zog „die 
Menge der Fremden, der baldigst sich verbrei 
tende gute Ruf des Bades mehrere Kaufleute hin, 
und die große Anzahl der Anwesenden erleichterte 
es, mit wenigen Kosten kleine Vergnügungen für 
das 'Allgemeine zu veranstalten" 14 . Der in dieser 
Eröffnungsaison in Nenndorf anwesende Hosrat 
Waitz äußerte denn auch bereits damals die 
Überzeugung, daß „bei der ferneren Unterstützung 
lmfereö huldreichsten Fürsten dieses Nendorfer 
Schwefelwasser sich zu einem der ersten und wirk 
samsten Bäder Deutschlands heben wird" 15 . 
14 Baldingers Neues Magazin für Ärzte, 1790, 12. 
Band, 1 . Stück, S. 53. 
15 Ebend. S. 54. 
(Schluß folgt.) 
— 
Aus Gutzkows Kesselstadler Zeit. 
Von Dr. Hans Knudsen, Berlin-Steglitz. 
Nachdem auf die unglücklichen Jahre Karl 
Gutzkows in Weimar, wo er den Posten eines Ge 
neralsekretärs der Schillerstiftung seit 1861 beklei 
det hatte, im Jahre 1865 der Selbstmordversuch 
in Friedberg in Hessen gefolgt war, nahm er, in 
der Anstalt St. Gilgenberg halbwegs von den 
schweren seelischen Depressionen geheilt, nach ver 
schiedenen kleineren Reisen im Sommer 1866 seinen 
Wohnsitz — mit Unterbrechungen — bis 1869 in 
dem kleinen Orte Kesselstadt bei Hanau. Hier 
wohnte ihm benachbart Georg Christ, dessen 1846 
in Neuyork geborene Tochter im Jahre 1864 
einen Dr. Berna heiratete, aber schon im Jahre 
1865 Witwe wurde. Sie vermählte sich dann 1880 
mit dem Grafen Oriola. Ihre wertvolle und 
manches Ungedruckte bergende Autographen- 
Sammlung kam nach ihrem vor einiger Zeit er 
folgten Tode an die Familie von Buttlar in 
Hanau, der ich die Nachrichten über ihre Ver 
wandte ebenso verdanke wie die — wiederholt in 
liebenswürdigster Weise gegebene — Erlaubnis, aus 
ihrenl Handschriften-Besitz wichtige und interessante 
Stücke zu veröffentlichen. Ich gebe hier wieder, 
was auf Gutzkows Aufenthalt in Kesselstadt Be 
ziehung hat. Ob sich der schriftliche Verkehr mit 
der damaligen Frau Dr. Berna auf diese wenigen 
Blätter beschränkt, oder ob Gutzkow auch später 
noch mit ihr in brieflichen Beziehungen blieb, weiß 
ich nicht. — Zunächst der einzige eigentliche Brief, 
den er „von Hause" abschickte: 
Nehmen Sie, verehrte Frau, die Anlage als 
viel zu spät eintreffenden Beitrag für Ihr schö 
nes Album nachsichtig entgegen! 
Die Anwendung des darin nur im Allgemei 
nen ausgesprochenen Gedankens auch auf Ihr 
charaktervolles Streben und meine Absicht, Sie, 
soweit guter Wille vermag, für die nicht leichte 
Verfolgung Ihrer bei noch so jungen Jahren so 
schwierig gestellten Lebensbahn zu ermuthigen, 
liegen nahe. 
In Hoffnung, Sie mit werthen Ihrigen heute 
unter unserm bescheidenen Dach zu begrüßen und 
vereyrungsvoll 
immer der Ihrige 
Gutzkow. 
V. H. 2./II. „Allerseelen" 66. 
Das beigefügte Album-Blatt hat folgenden 
Wortlaut: 
Bilde Dir die Befähigung aus, Alles, was 
Du erstrebst und erlebst, Dir gegenständlich zu 
machen und unterzuordnen einem einzigen 
großen Gedanken, dem leitenden Deines Lebens! 
Besitzest Du dann n i ch t den Muth, diese 
Richtschnur Deiner Handlungen frei und offen 
auch mit den Lippen zu bekennen, so kaun es 
an sich den Werth Deines Daseins nicht ver 
ringern, wenn dessen edleres Wollen auch nur 
una us g es p ro chen in ihm treibt und drängt 
und wirkt, stillverborgeu, wie die Blüthe der 
Religion duftet: Gebet, Selbstbetrachtung, 
die sich nur unter dem Auge Gottes weiß — 
B e s i tz e st Du ihn aber, den Muth, der seinen 
Handlungen und Unterlassungen, seiner Liebe u. 
seinem Haß, auch äußerlich den Stempel 
weihevollen Ursprungs, das Gepräge b e w u ß - 
t e n Wollens, aufzudrücken wagt, so führst Du, 
wie der Dichter sagt, „ein Schauspiel für Göt 
ter" auf, vorausgesetzt, daß dabei auch Inhalt 
und Form Deines Lebensgcdichts unter den 
Gesetzen der Schönheit und Wahrheit immer zu 
gleich stehen. 
K. 2. Nov. 66. 
Karl Gutzkow.
	        
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