Hefsenlanö
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift sür hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 3/4. 32. Jahrgang. Februar-Doppelheft 1918.
Aus den Ansängen des Bades Nenndorf.
Von Dr. Joachim Kühn.
Selten ist die Kulturgeschichte eines großen Kur
ortes von der zünftigen Historiographie stiefmütter
licher behandelt worden, als die Vergangenheit des
Bades Nenndorf, der bedeutendsten Brunnenstadt,
die der hessische Kurstaat aufzuweisen hatte. Was
darüber vorliegt, bezieht sich zumeist auf die chemi
sche Zusammensetzung der Nenndorser Quellen, ihre
physikalischen Eigenschaften und ihre Anwendung
in der praktischen Medizin; daneben wird die bau
liche und technische Entwicklung des Bades chro
nologisch festgelegt; aber eine fortlaufende Darstel
lung seiner Badegepflogenheiten, seiner Gäste, sei
ner Hotels, seiner Anlagen, gerade das also, was
den Laien, den Kurgast an einem Badeort am
meisten zu interessieren pflegt, gerade das bleibt
im unerschlossenen Dunkel verschollener Zeitschrif
ten und schwer erreichbarer Broschüren vergraben.
Und das ist schade, jammerschade, denn Nenndorf
kann sich in kulturgeschichtlicher Beziehung ebenso
sehen lassen wie in medizinischer Hinsicht. Seine
Chronik ist ein buntes, fesselndes Buch, und wer
sich der Mühe unterzieht, seine verwehten Blätter
zu sammeln und seine verwischten Stellen wieder
aufzufrischen, der wird durch die Fülle kultur
historischen Lebens, das ihm daraus entgegen
strömt, reich belohnt.
Wann die Nenndorser Schwefelquellen zum
erstenmal benutzt worden sind, wird sich niemals
feststellen lassen: sie sprudelten von jeher zwischen
den Dörfern Großen- und Kleinen-Endorf in die
Gegend hinaus, verpesteten sie mit einem durch
dringenden Geruch nach faulen Eiern und bildeten
landschaftlich einen Sumpf, der mit dem fatalen
Namen „auf dem Teufelsdreck" bezeichnet wurde.
Im Volke wußte man um ihre Heilkraft, ohne
daß sie von ärztlicher Seite besonders empfohlen
worden wäre; man kannte auch ihre speziellen
Wirkungen und gebrauchte sie in erster Linie gegen
Wurmbeschwerden und zurückgetretene Krätze, Läh
mungserscheinungen und epileptische Anfälle,
Krankheiten also, die aus Hexerei und Zauberei
zurückgeführt wurden. Wahrscheinlich fanden sich
daneben auch noch alle möglichen anderen Leidenden
ein, die sich durch ein Bad oder einen Trunk im
Schwefelbrunnen zum mindesten auf sympatheti
schem Wege gestärkt fühlten.
In der Geschichte tauchten die Nenndorser Quel
len in der Reformationszeit und im engeren Sinne
in Luthers Todesjahr 1546 auf. Damals ver
öffentlichte Georg Agricola, der Schöpfer der Me
tallurgie und Mineralogie, der als Bürgermeister,
Stadlphysikus, Historiographus und General-
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