Full text: Hessenland (32.1918)

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Größe seiner Pflichterfüllung uns näher gestanden als 
heute. Seine Person ist unter unserm Schutze. Wir 
wissen, daß die bürgerliche und soldatische Bevölkerung 
Kassels ihm nur Gefühle der Verehrung und Hochach 
tung entgegenbringen wird und er vor jeder Belästigung 
sicher ist. Der Generalfeldmarschall trägt Waffe, ebenso 
die Offiziere und Soldaten des Großen Hauptquartiers, 
wenn sie ihn begleiten. Für den Arbeiter- und Sol 
datenrat: Grzesinski. Für den Magistrat: Koch." 
Heimkehr der Kasseler Truppen. Seit 
Tagen von der Einwohnerschaft erwartet, kehrten am 
24. November die Kasseler Truppenverbände, zuerst die 
Elfer und dann die Dreiundachtziger (die Husaren be 
finden sich noch in der Ukraine) mit ihren Reserve 
formationen aus dem Felde zurück. Vor der von der 
Stadtverwaltung errichteten Ehrenpforte hieß der Kasseler 
Stadtverordnete und Redakteur Hauschildt vom Arbeiter 
und Soldatenrat die Truppen herzlich willkommen, die 
sich dann, von Tausenden begleitet, unter klingendem 
Spiel in ihre Kasernen begaben. Einige Tage später 
wurden die einzelnen Verbände bei ihrem Zug durch die 
reich beflaggten Straßen der Stadt aufs herzlichste be 
grüßt, beschenkt und mit Blumen überschüttet und auch 
von Generalfeldmarsch all Hindenburg auf dem Rück 
marsch zur Kaserne begrüßt, wo Oberbürgermeister Koch 
eine packende Ansprache hielt, die in wärmstem Danke 
für die unvergleichlichen Leistungen der Tapferen 
gipfelte. Das Schauspielhaus veranstaltete eine Reihe 
von Ehrenvorstellungen für die Heimgekehrten. 
Schlösser als Lazarette. Der ehemalige 
Kaiser hatte angeordnet, daß etwa 60 Königliche Schlösser 
und Gebäude als Lazarette für die aus den geräumten 
Gebieten zurücktransportierten Verwundeten eingerichtet 
würden. Für Kassel kamen in Betracht das Wilhelms 
höher Schloß mit Ausnahme der kaiserlichen Gemächer, 
in denen die Kunstgegenstände und Möbel aufbewahrt 
werden, und das Prinzenhaus. 
Das Kasseler Hoftheater ist von jetzt ab 
staatliches Theater, das provisorisch einem Verwaltungs 
rat (Stadtverordneter Hauschildt, Leutnant Kunert, 
Schriftleiter Häring, Oberbürgermeister Koch, Baurat 
Karst) unterstellt wird. Die künstlerische Leitung wird 
anstelle des nach jahrelangem Wirken freiwillig zurück 
getretenen Intendanten Grafen Bylandt-Rheydt pro 
visorisch Spielleiter Sieg übernehmen. Dessen Stell 
vertreter wird das älteste Bühnenmitglied Schauspieler 
Jürgensen sein. Ihnen ist ein künstlerischer Beirat zur 
Mitberatung des Spielplans und zur Geltendmachung 
aller Wünsche der Bühnenangehörigen und Angestellten 
zur Seite gegeben. 
Hessischer G e s ch i ch t s v e r e i n. In der 
Sitzung des Marburger Vereins vom 7. November 
sprach Professor vr. E. Maaß über Seelenabtvehr 
im Volksglauben. Der Vortragende ging von einer 
bisher unbeachteten oder grob mißverstandenen Stelle 
des römischen Historikers des 4. Jahrhunderts n. Chr. 
Ammianus Marcellinus aus, der in der Schilderung 
der Kämpfe zwischen Römern und Alemannen i. I. 
356 im Elsaß vergleichsweise von Gräbern redet, die 
gegen die^Gewohnheit der Antike abseits vom Verkehre 
lagen und außerdem mit Netzen umstellt waren. Er 
wies zunächst nach, daß die Notiz des Historikers sich 
notwendig auf römische Beerdigungsverhältnisse bezieht, 
daß die betreffenden Toten als unheimlich und gefährlich 
angesehen wurden, endlich aus allerlei Spuren und An 
zeichen innerhalb der altrömischen Kultur, daß die Netze 
den Toten verhindern sollten, den nächsten Umkreis des 
Grabes zu verlassen, unter die Lebenden zurückzukehren 
und sie physisch oder psychisch zu schädigen. Eine völlige 
Analogie zu diesem, wie Ammians Erwähnung lehrt, 
weitverbreiteten römischen Grabesbrauch hat sich im 
Elsaß gefunden, wo noch in neuerer Zeit das Grab 
der Wöchnerin mit Garn umsteckt zu werden pflegte. 
Gerade junge Mütter galten als Wiedergänger und wur- 
den gefürchtet. Ferner in Westpreußen und bei verschie 
denen Naturvölkern. Mit dieser für den Seelenabtvehr 
glauben neuen Erkenntnis verband der Vortragende zwei 
Bußordnungen des Wormser Bischofs Burchard aus dem 
11 . Jahrhundert, in denen verboten wird, der bei 
der Geburt verstorbenen Mutter oder dem verstorbenen 
Neugeborenen in der Gruft einen Pfahl durch den Leib 
zu stoßen. Die eine der beiden Verordnungen teilt auch 
den Grund dieser fürchterlichen Sitte mit: es sollten die 
Toten an ihren Platz im Grabe festgebannt bleiben 
und ein für allemal verhindert werden, wiederzukommen 
und Unheil anzurichten unter den Lebenden. Und da 
trifft es sich günstig, daß in einer Verordnung Philipps 
des Großmütigen aus dem Jahre 1554 Kindesmord 
und allerlei grobe Unzucht so bedroht wird: „die soll 
man lebendig in ein Grab ein Dornenheck uff ihren 
Leib legen, sie mit Erde beschütten und ihr eynen 
eychen Pfal durch ihr Herz schlagen" usw. Ob be 
wußt oder unbewußt: diese auf den uralten Seelen 
abwehrtrieb zurückgehende Strafe in ihrer ganzen Furcht 
barkeit ist ein Rest aus der Heidenzeit der Katten- 
Damit gewinnt Tacitus „Germania" 12 (ignavos et 
imb 6 ll 68 et corpore infames caeno et palude iniecta 
insuper crate mergunt) endlich seinen bisher verkann 
ten Bezug auf denselben Seelenglauben zurück und wird 
jetzt voll verständlich. Römischer und deutscher Grabes 
brauch, seltsam an'sich, stimmen hier mit dem der Natur 
völker überein. Das weist auf eine psychologische Not 
wendigkeit, auf ein geheimes Gesetz. — Sodann legte 
Professor Maaß unter Hinweis auf einen früher ge 
haltenen Vortrag das Buch Dr. Quillings über die 
Mainzer Juppitersäule vor, das während des Welt 
krieges erschienen ist. Das Prachtwerk vereinigt mit 
gewaltigem Fleiß in geradezu mustergiltiger Weise das 
Gesamtmaterial über diesen bedeutendsten Skulpturen 
fund aus dem Limesgebiet, geht mehrfach mit Glück 
auch neue Wege und muß für jede weitere Unter 
suchung die Grundlage bilden. 
Am Herrenabend des Kasseler Vereins am 4. No 
vember teilte Geheimrat Scheibe verschiedene für 
die hessische Kriegsgeschichte lehrreiche Aktenstücke mit; 
zunächst einige Berichte des Polizeidirektors und Land 
kommissars in der Grafschaft Hanau, des Kriegsrats 
Friedrich Wilhelm Marquart an Landgraf Wilhelm IX. 
Diese Berichte stechen wohltuend ab von der allgemeinen 
Kopflosigkeit und Verwirrung, die 1792 beim Anrücken 
der Franzosen unter Custine allgemein Platz gegriffen 
hatte. Weiter wurde der gute Geist, der damals im 
hessischen Heere waltete, durch Feldpostbriefe des Karl 
Ludwig Losekant aus dem Hanauer Grenadierregiment 
v. EschN'ege gekennzeichnet, die dieser 1793 beim Rück 
zug aus der Champagne abgefaßt hatte. Bibliotheks 
direktor Professor Dr. Brunner wies sodann auf 
das kürzlich erschienene Werk des Marburger Archiv 
rates Dr. Knetsch hin über die Genealogie des Hauses 
Brabant, das geradezu phänomenale Kenntnisse auf 
diesem Gebiet aufweist und zu dem Ergebnis kommt, 
daß das Haus Brabant das älteste aller europäischen 
Fürstengeschlechter ist. Eine Reihe weiterer kleiner Mit 
teilungen und Aussprachen füllten den Abend aus.
	        
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