Full text: Hessenland (31.1917)

Bahnzügen dergestalt vorgespannt werden, daß 
man denselben in zwei Teile, jeden zu 500 Zentner 
abteilt, so werden 8 gut ge nährte Pferde 
rech: gut, bei fortwährender Mitwir 
kung der Dampfmaschine, eine solche Ab 
teilung im gestrecktem Trabe mit 1 :50 Steigung 
aufwärts fördern können. Oben werden die beiden 
Abteilungen wieder zusammengehängt, bewegen sich 
auf der horizontalen Hochebene fort und laufen auf 
der anderen Seite die schiefene Ebene von selbst 
herunter. Me Pferde kehren sofort von der Höhe 
in ruhigem Schritte nach ihren - Ställen zurück, 
ruhen und fressen eine Stunde, bis sie dem nächsten 
Bahnzuge wieder vorgespannt werden." — 
(Schluß folgt.) 
Erinnerungen aus meinem Leben. 
Von Otto Bähr. 
(Fortsetzung.) 
Zu Ostern 1835 bezog ich die Universität Göt 
tingen. Dort hörte ich zunächst deutsches Privat 
recht bei Albrecht, Zivilprozeß bei Mühlenbruch, 
Strafrecht bei Bauer; im nächsten Semester 
Staatsrecht und Kirchenrecht bei Albrecht und 
Zivilprozeßpraktikum bei Bergmann. Mbrecht war 
ein sehr guter Lehrer. Er sprach zwar langsam 
und etwas näselnd, aber er war präzis in seinen 
Gedanken, und wenn man ihm zu folgen vermochte, 
so konnte man viel bei ihm lernen. Auch das 
Kolleg bei Bergmann war von Wert. Er sah die 
von den Studenten gelieferten schriftlichen Ar 
beiten durch und besprach dann im Kolleg die 
wahrgenommenen Fehler in sehr anschaulicher 
Weise. Mühlenbruch, der ja ritten sehr großen 
Ruf genoß, befriedigte mich weniger. Er war nicht 
immer klar in seiner Darstellung. 
Da meinen Eltern geraten war, mich neben der 
Jurisprudenz auch Staatswissenschaften oder, wie 
man damals sagte, „Kameralia" studieren zu 
lassen, so wandte ich mich im nächsten Semester 
kameralistischen Kollegien zu. Ich hörte Staats 
wissenschaftslehre bei Dahlmann, Technologie bei 
Hausmann und Chemie bei Wühler. Von juristi 
schen Vorlesungen besuchte ich nur eine, das von 
Göschen publiee gelesene „Erbrecht", wo man von 
7—8 Uhr morgens einen strengen Schreibkursus 
durchzumachen hatte. In meinem häuslichen Fleiß 
beschränkte ich mich auf das Nachstudium der ju 
ristischen Fächer, da ich in diesen zunächst mein 
Examen zu bestehen hatte. 
Im Herbst 1836 wandte ich mich, nach länge 
rem Schwanken, nach Heidelberg. Dort hörte ich 
bei Thibaut Pandekten zum zweiten Male. Auch 
er las sie achtzehnstündig. Es war ein angenehmes 
Kolleg. Thibauts Vortrag hatte etwas Gemüt 
liches, und er war bestrebt, das Recht als etwas 
Verständliches und Verständiges darzustellen. Aber 
seine Rechtsauffassungen waren nicht sehr tief, und 
viel habe ich bei ihm nicht gelernt. Ein vorzüg 
licher Lehrer war der alte Zachariä, bei dem ich 
konstitutionelles Staatsrecht (2 Stunden) hörte. 
Er trug sehr anschaulich und mit großer Schärfe 
vor. Außerdem hörte ich bei Rau Finanz- und 
Polizeiwissenschaft, auch Handelslehre, und bei 
Mörstadt Nationalökonomie und Völkerrecht. 
Mehrere dieser Fächer wurden jedoch nur zwei 
stündig gelesen. Rau gab sehr viel Material, 
war aber in seinem Vortrag langweilig und trocken. 
Mörstadt war nicht ohne Geist, aber zu sehr Hans 
wurst auf dem Katheder. 
Im Sommer 1837 kehrte ich nach Marburg zu 
rück und hörte hier noch Strafprozeß und römische 
Rechtsgeschichte; letztere nur deshalb, weil ich sie 
bescheinigt haben mußte. Gelernt aber habe ich 
nichts darin, weil ich das, woraus es ankam, schon 
aus den Pandekten kannte. Schon damals in 
meinem siebten Semester quälten mich vielfach 
juristische Zweifel. Um mich- zu unterrichten, nahm 
ich ganz allein noch ein Privatissimum bei dem 
Priyatdozenten, späteren Professor Büchell. Bü- 
chell war ein ganz gelehrter Herr. In diesem Pri 
vatissimum entwickelte sich nun aber ein stiller 
Kampf zwischen uns beiden. Er wollte mich stets 
unterrichten über das, was er wußte, und ich 
wollte unterrichtet sein über das, was ich nicht 
wußte. Beides traf nicht immer zusammen. 
Brachte ich es einmal dahin, daß er über Mnge, 
über die ich aufgeklärt sein wollte, mir Rede und 
Antwort stand, so fand sich öfters, daß er davon 
nicht mehr wußte, wie ich. Dadurch erlitt mein 
pietätvoller Glauben, daß ein Professor ein Mann 
sei, der alles wisse, einen kleinen Stoß. 
'Am 31. August 1837 machte ich mein Uni 
versitätsexamen in Marburg. In diesem Examen 
prüften die ordentlichen Professoren der Fakultät. 
Ein einzelner Prüfling wurde zwei Stunden lang 
vorgenommen. Es wurde lateinisch examiniert. 
Die Prüfung war öffentlich, und hinten im Zu 
hörerraum pflegten die Studenten in hellen Haufm 
zu stehen. Es ging das Gerede, daß die Gegen 
stände der Prüfung bei den einzelnen Professoren 
regelmäßig wiederkehrten, und daß man deshalb/ 
wenn man genau acht gebe, vorausberechnen
	        
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