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Gberstallmeister von Eschwege.
Am 7. August 1817, also vor 100 Jahren, wurde
in dem Schlosse zu Reichensachsen dem Rittmeister
Baron Ferdinand von Eschwege und seiner jungen
Frau Luise, geb. Freiin von Buttlar, das erste
Kind, ein Sohn, geboren und Hermann getauft.
Diejenigen unter uns, die das alte, damals noch
kw^Usche Kassel kannten, werden sich noch der so
bekannten mA populären Erscheinung des Ober
stallmeisters von WsWnege erinnern. Er war
nicht nur ein auffallend schöNer Mann, sondern
überragte auch die meisten um KopfeMuge; er war
gütig und freundlich gegen jeden, von streng rrster-
licher Gesinnung, von allen ge
liebt und geachtet, und in einem
der vielen Nachrufe, die hessische
Zeitungen 1882 nach seinem Tode
brachten, hieß es, Eschwege sei
einer der wenigen Menschen, von
denen man sagen.konnte, er
hatte keinen Feind.
Schon den jungen Gardedu-
korps - Leutnant hatten seine
Reitergeschichten bekannt gemacht.
So war er eines Tages infolge
einer Wette die hohe Steintreppe,
die damals vom Auetor am Fried
richsplatz herab zur Orangerie
führte, herunter geritten; seine
Kameraden und viele Zuschauer,
die sich gesammelt hatten, sahen
atemlos dem kühnen Reiter nach
und fürchteten ihn jeden Augen
blick die steile Treppe herunter
stürzen zu sehen, aber er kam
glücklich unten an und sprengte munter grüßend
den Fahrweg wieder herauf. Zwei Tage Arrest
waren die Strafe für diesen Übermut, und an der
Wache, wo jetzt das Theater steht, zogen Scharen
von Kasselanern vorbei, um den Eschwege am Fenster
zu sehen. Als man im Revolutionsjahre 1848 auch
in Kassel Barrikaden baute, sollte Eschwege eine
Nachricht ins Palais bringen, und trabte die Königs
straße herunter, wo man gerade eine große Barri
kade aufrichtete. Er hielt an und rief: „Leute, ihr
müßt mich aber durchlassen, denn ich muß ja doch
nach dem Palais." Da erscholl es von oben: „Ach
es is ja der Eschwege, den wollen me vorbei lassen",
und richtig, man schob einen umgestürzten Wagen
zur Seite, und Eschwege ritt freundlich dankend
dnrch. All dies war nur möglich in einer kleinen
Residenz, wo fast jeder den andern kannte. Bald
darauf wurde er Flügeladjutant des Kurfürsten und
dann Oberstallmeister. Das Gestüt Beberbeck war
sein besonderes Werk und erreichte unter ihm einen
großen Ruf; namentlich die herrlichen Isabellen
waren weltberühmt. Der öftere Aufenthalt in Beber
beck hatte für ihn noch einen besonderen Reiz durch
die wundervolle Jagd im Reinhardswald; er war
ein passionierter Jäger und ein ebenso guter Schütze
wie brillanter Reiter, aber davon erfuhr sein kur
fürstlicher Herr möglichst wenig. Als der Kurfürst
einmal einen Hirsch weidgerecht zur Strecke gebracht
hatte, rief ein Treiberjunge bewundernd aus: „Au,
den honn Se aber famos getrof
fen!" „Kennst du mich denn
auch?" „Nee," lautete die Ant
wort, „aber-Se weren wohl der
Eschwege sinn." Etwas betroffen,
daß sein Oberstallmeister bekann
ter sei als der Landesherr, aber
auch wieder geschmeichelt, mit
dem schönsten Mann seiner Um
gebung verwechselt zu werden,
hat der Kurfürst dies Erlebnis
später selbst lachend erzählt.
Nach der Annexion Kur
hessens legte Oberstallmeister
von Eschwege trotz aller ihm
gemachten Anerbietungen seine
Ämter nieder und lebte ruhig
in seiner Villa in Kassel und
seinem Gute Jestädt. Zu jedem
Geburtstage seines in der Ver
bannung lebenden Landesherrn
fuhr er zu ihm nach Prag,
gehörte aber nie zu denen, die der neuen Regierung
entgegenarbeiteten; selbst mit manchen preußischen
Offizieren und Beamten stand er auf freundlichem
Fuße, und oft konnte man ihn seine vier schönen
Rappen selbstlenkend mit preußischen und hessischen
Herren auf sein Jagdgebiet fahren sehen. Und im
Juli 1882 folgten in langem Trauergefolge seinem
Sarge Hessen und Preußen, die Söhne des Kur
fürsten und die preußischen Generale zusammen.
Oberstleutnant von Eschwege hinterließ nur eine
einzige, in erster Ehe mit dem Grafen Wedel, in
zweiter mit dem preußischen General und Majorats
besitzer Graf von der Groeben vermählte Tochter.
Die Enkel des Oberstallmeisters sind der preußische
Gesandte Graf Georg Wedel und Gräfin Isa Wedel,
die mit ihrem Namensvetter, dem Grafen Botho
Wedel, deutschem Botschafter in Wien, vermählt ist.
Gberstallmeister Hermann von Eschwege.