Full text: Hessenland (31.1917)

Olbrich war eine wunderbar reiche Natur, aber 
übersprudelnd in der Fülle seiner Ideen, und 
souverän in ihrer Ausführung. Nichts kennzeichnet 
den Mann besser, als die kleine Episode, die man 
von ihm erzählt, daß er einmal kurz vor Eröffnung 
einer Ausstellung in einem Chaos von Kisten und 
Ballen gestanden habe, „in vollem Dreß, mit 
hohem Hut und Handschuhen, und daß er so, ein 
Spazierstöckchen schwingend, seine Arbeiter diri 
gierte" und schneller fertig ward, als alle Kollegen, 
die selbst mit Hand anlegten. 
Er war lein Architekt, sondern Dekorateur, 
und sein „.Hochzei sturm", die Kennmarke der 
Ausstellung von 1908, heute das Wahrzeichen 
von Darmstadt, zeigt das auf das Schlagendste, 
and doch möchte man weder den Mann noch sein 
Werk missen, nur daß eben dieses über Olbrich 
hinausgewachsen ist, und Olbrichs früher Tod, 
er starb am 18. August 1908, vierzigjährig, be 
wahrte ihn vor der Enttäuschung, die ihm früher 
oder später ein scheinbarer Undank tut Interesse 
des Ganzen hätte zufügen müssen. 
Ähnlich lag es mit Peter Behrens, der 
in seinem Hause von 1901, das er unter Ver 
wendung von glasiertem Ziegel und Rauhputz 
dahingestellt, seine Kraft gezeigt, aber diese selbe 
Kraft konnte sich nicht in Darmstadt auswirken, 
und zu höchster Vollendung steigern. Peter 
Behrens ging als der Architekt der Elektrizität 
nach Berlin, und hier fand er in einer Turbinen- 
halle aus Eisen und Beton seine eigentliche Stil 
form. — Und gleich diesen ersten, führenden 
Künstlern des neuen Darmstadt, mit denen in der 
Ausstellung von 1901 Großherzog Ernst Ludwig 
seine ersten Erfolge errang, durch die sein und 
Darmstadts Name bekannt wurden, verschwanden 
auch nach und nach die anderen Künstler der 
ersten Zeit, Olbrich war eigentlich noch der letzte 
gewesen, der geblieben, und dessen Schaffen die 
Ausstellung von 1908 das Gepräge gegeben, 
wohingegen deren Plan vou dem 1906 nach 
Darmstadt berufenen A l b i n Müller ausging. 
War die erste Ausstellung, jene von 1901, 
als ein Dokument dessen, was man wollte, 
gewissermaßen als ein Programm gedacht, und 
in all ihren Teilen, vom Ernst Ludwig-Haus bis 
zu den Ausstellungen der einzelnen Künstlerhäuser 
durchaus darauf eingestellt, so wollte schon jene von 
1904, wenn auch iu kleinerem Rahmen aus Hand 
werk und Industrie direkt wirken. So entstanden 
im Anschluß an sie die „ L e h r st ä t t e n f ü r 
angewandte Kunst" Diese bezeichnen auch 
zugleich den Personenwechsel, der nicht aus irgend 
welchen persönlichen Wünschen des Mäzens, son 
dern aus der Sache selbst sich ergeben. Diese 
Lehrstätten, in denen F. W. K l e u k e n s für 
Flächenkunst, der Goldschmied Ern st R i e g e l 
für Kleinkunst, der Bildhauer Heinrich Job st 
für Plastik und der schon genannte A l b i n M ü l - 
l er für Raumkunst wirkten, unterstanden direkt 
dem großherzoglichen Kabinett und haben bis zum 
Jahre 1910 einen tüchtigen Nachwuchs gezeitigt. 
Fast gleichzeitig mit diesen richtete auch der Groß 
herzog die „ K e r a m i s ch e Manufaktur" 
unter der Leitung des Münchners Scharvogel ein. 
Unter so ganz anderem Sterne als die ersten 
tastenden Versuche vor: 1901 und 1901 stand im 
Jahre 1908 aber die Darmstädter Landesausstel- 
lung, denn in ihr erwies sich eben die Le- 
benskraft der jungen Bewegung. 
Allein schon finanziell zeigte sich das darin, daß 
sie einen Überschuß vou 75 000 Mark abwarf und 
die Jndustrieen des Landes sich in außerordent 
lichem Maße beteiligt hatten. Und in Turin, 
St. Louis und nicht zuletzt 1910 in Brüssel sollte 
sich erweisen, welche Werte für die deutsche In 
dustrie und das Kunsthandwerk in der neuen Be 
wegung steckten. 
Mit sicheren: Blick hatten in den „Lehrstätten 
für angewandte Kunst" die neuen Männer erkannt, 
daß die Kunst eben aus der akademischen Ver 
einsamung heraus ins Lebeu treten müsse, wenn 
sie wirken wolle, und die Industrie begriff schnell, 
was für Werte ihr da entgegengebracht wurden. 
Als erste mit die M ö b e l i n d u st r i e, der ja 
durch die Zeitschrift Alexander Kochs der Weg 
schon gewiesen, und bald folgte, unter der ge 
schickten Leitung des Direktors der Offenbacher 
Kunstgewerbeschule, Hugo Eberhardt, die 
Industrie der fleißigen Mainstadt, namentlich die 
Lederwarenbranche und die Gürtlerwarenfabri- 
kation. Die Großherzogliche Keramische Manu 
faktur unter dds Professors G. I. Scharvogel 
Leitung schuf mustergültiges Scharsfeuer-Stein 
zeug, und von Terrakotten aus dieser Anstalt 
sind besonders nennenswert die Arbeiten der Nau- 
heimer Brunnenhöfe. Fast wichtiger aber möchte 
auf dem Gebiete der Keramik der Einfluß er 
scheinen, den Darmstadt auf die Lauterbacher 
Töpferei ausgeübt: hier ward unter Anregung 
Professors Hausteins durch den Meister Leon 
hard Bauer eine alte Volkskunst wieder in 
die Reihe der konkurrenzfähigen Kunstgewerbe 
eingefügt. Vor: den Bauerschen Arbeiten (und 
sie haben ihrerseits auch wieder befruchtend auf 
die Marburger und Vaaker*) Arbeiten gewirkt, 
*) Die Vaaker Werkstätte von Lotze ist zu Beginn des 
Krieges still gelegt. Wenn ihre Ware der Lauterbacher 
auch nicht gleichkam, so hätte sie doch entschieden Förde 
rung verdient.
	        
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