Darmstädter Kunst.
Von Bruno Jacob, Kassel.
Der Krieg hat einen Anfang gehabt, er wird
auch einmal ein Ende haben! Und daß das bevor
stehende Ende des Krieges der deutschen Wirtschaft
Aufgaben stellt, die all ihre Kräfte in Anspruch
nehmen, soll all das neu gebaut werden, was
allein nur auf wirtschaftlichem Gebiete zerstört und
gestört ist, das steht fest.
Das deutsche Kunstgewerbe, das schon im Jahre
1910 auf der Brüsseler Ausstellung einen so her
vorragenden Platz eingenommen und die Blicke
der Welt auf sich gezogen, wird im Rahmen der
deutschen Jndustrieentwickelung sich noch beson
ders auszeichnen müssen, Qualitätsarbeit
wird dem deutschen Namen den Weltmarkt wieder
gewinnen helfen müssen.
Uns Hessen ist das besonders nahe gelegt durch
die Entwickelung, die die großhcrzogliche Hälfte
des Hefsenlands, die namentlich Darm st ad t
selbst im Laufe der letzten Zeit, etwa seit 1900,
genommen, und es sollte viel mehr gewürdigt
werden, als es im allgemeinen geschieht. Man
frage einmal landauf, landab tu Hessen, was vou
der darmstädter Kunst- und Gewerbeentwickelung
bekannt ist, und man wird bedauerlicherlveise sagen
müssen, daß das herzlich wenig ist.
Und doch bedeutet der Name D a r m st a d t für
deutsches Kunstschaffen ein Programm, ist der
Name des Großherzogs E r n st Ludwig von
Hessen unlöslich verknüpft mit dem Auf
schwünge, den das deutsche Kunstgewerbe ge
nommen, ist D a r m st a d t für unsere Zeit ge
worden, was einst der akademischen Kunst Mün
chen, was der Blütezeit der klassischen Literatur
Weimar gewesen.
Es ist kein Wunder, daß es eine der kleineren
deutschen Residenzen war, die auch hier wieder
das Banner vorantrug, denn kulturelle Er
neuerung kann nur da Platz greifen, wo sie nicht
als Nebending, als Luxus, sondern als d i e Auf
gabe angesehen wird. So war es auch nur zu
natürlich, daß die Blütezeit deutschen Barocks na
mentlich in den kleineren geistlichen Herrschafts
gebieten sich auswirkte, in denen nicht Eroberer
wille, nicht die Absicht, die Mit- und Umwelt zu
beherrschen, ihre Statte hatten, sondern wo das
„InLsrvionäo consumor" im Sinne des kultu
rellen Aufstieges richtig begriffen, recht angewandt
ward.
Das monarchische Prinzip, gerade im Laufe
des letztverflossenen Jahrhunderts so oft ange
griffen, findet auf dem kulturellen Gebiete noch
in erster Linie einen Boden, auf dem es seine
Daseinsberechtigung zu erweisen vermag, denn hier
hat auch der geistige Adel seinen vorzüglichsten
Platz, das Feld seiner Betätigung. Wenn
irgend wo, so ist ein aristokratisches Prinzip auf
dem Gebiete der Kultur- und Kunstentwickelung
am Platze: ein Kreis von uneigennützigen Ar-
beitem im Dienste der Gesamtheit, geschart um
eine hochsinnige Fürstengestalt.
Als im September 1916 in Zürich, unter dem
Drange der Kriegsnöte, die an dem Baue der
schweizerischen Eidgenossenschaft zerrten und rissen,
die ?ro Meino-Woche stattfand, als man in der
Nordschweiz sich bemühte, Dessiner Wesen und
Wirken kennen zu lernen und Fäden zu den Brü
dern jenseits des Gotthard anzuknüpfen, da konnte
man es angesichts dieser Versuche des Kennen-
nnd Verstehenlernen doppelt bitter empfinden, daß
noch imnrer in Niederhessen ein bedauerlicher
Mangel des Verstehens und Keimens der hessischen
Brüder im Großherzogtume vorhanden ist. Und
doch wie naheliegend sind die Quellen der kul
turellen Kraft, die das geschaffen, was im Groß-
herzogtume so reich sich entfaltet.
Wenn auch keine direkten Fäden mehr Ver
gangenheit und Gegenwart verknüpfen, so ruht
doch ein reicher Schatz von alter Volkskunst in
beiden Hälften des Landes zu Hessen. Man
blicke nur hin auf die Renaissancebauwerke in
Kassel, Marburg und Darmstadt oder Gießen,
auf die so unendlich reiche Holzarchitektur, die
namentlich in den Rathäusern Hessens ihre feinsten
Blüten getrieben. Man blicke nur auf das Rat
haus zu Alsfeld, oder jenes zu Frankenberg, zu
Lichtenau oder Schotten, .nran betrachte die
Brunnenarchitektur in Fritzlar, in Biedenkopf, in
Büdingen, in Friedewald und man erfasse alles
das, ivas Volkskunst im engsten Sinne ist oder
war, die Truhen und Stühle, die keramischen Ar
beiten Oberhessens, die Stickereien der Volks
trachten. Sollte das alles gewesen, verloren sein?
Sollte Hessens Boden nach solch reichem Ertrage
steril geworden sein?
Ob alle diese Erwägungen von Anfang an
das Wollen Großherzog Ernst Ludwigs beherrscht,
darf man als fraglich bezeichnen. Denn wie oft
ist es unmöglich, alle die Wirkungen und Zu
sammenhänge zu erkennen, die unser Handeln
hervorruft, wie auch die, durch die wir beeinflußt
wurden.