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wächst gleichsam aus der Landschaft, ihrer Vege
tation, ihrem Klima. Der Freibau braucht nicht
restlos in der Natur aufzugehen. Vielmehr kann
seine Form das Landschaftsbild beherrschen.
Immer muß jedoch ein harmonisches Verhältnis
erhalten bleiben.
Die Beziehungen werden komplizierter in der
Gartenarchitektur, wo die Natur nicht nur Milieu,
sondern Gegenstand des Kunstwerks ist, wo das
dekorative Gefühl, kaum noch bestimmt durch
Zwecke, sich frei ausleben kann. Als Konsequenz
des Freibaustils ist logischerweise nur eine Lösung
möglich: den natürlichen Formen nachzugehen, die
Natur zu stilisieren.
Prüfen wir daraufhin die Anlage der Wil
helmshöhe (Oktogon und Kaskaden), so scheint
beim ersten Anblick das Prinzip innegehalten: die
Terrassierung eines Bergabhanges mit monumen
taler Krönung der Höhe; die Dimensionen des
Bauwerks auf die Größenverhältnisse der Natur
bemessen. Allein schon das vielgebrauchte Bild,
der Herkules „kröne" die Wilhelmshöhe, gibt eine
falsche Vorstellung des ästhetischen Sachverhalts.
Das Riesenschloß G u e r n i e r o s setzt nicht einem
durch seine Lage besonders gekennzeichneten Punkt
den architektonischen Akzent auf wie etwa das
Kyffhäuser-Denkmal oder in bescheidenem Maße
der Bismarckturm auf dem Brasselsberge. Es
besteht keine künstlerische Notwendigkeit für die
Wahl des Platzes, — der historische Grund ist
klar: es sollte dem Schloß Weißenstein gegenüber
liegen — 1000 Meter nördlicher oder südlicher
auf dem Kamm des Waldes wäre der Effekt der
gleiche. Es handelt sich nicht um eine Einfühlung
der ànst in die Natur, sondern, wie es Wölfflin
grundsätzlich vom Barock ausspricht, die Natur
wird von der ànst vergewaltigt. Diese ànst
hat nichts mehr mit der Landschaft zu tun. Da
mit fallen alle lokalen und nationalen Grenzm.
Das ànstwerk steht für sich und will nur so ge
sehen sein. Der künstlerische Grundgedanke, den
der Barock zum ersten Male ganz verwirklicht,
die Einheit des Kunspverks soll gewahrt
werden.
Diese Einheit ist in der Natur nur zu erreichen,
indem sich das Kunstwerk gegen die Landschaft
streng abschließt. Blickpunkt und Blickfeld müssen
bestimmt sein. Der Herkules kann nicht aus be
liebiger Entfernung betrachtet werden, ohne sàen
ästhetischen Eigenwert einzubüßen. Ist es schon
zweifelhaft, ob man den willkürlichen Einschnitt,
den er in die feine Wellenlinie des Habichtswaldes
macht, schön nennen darf, so ist der sicherste Gegen
beweis, daß bereits auf mäßige Entfernung
(2—3 km) eine neue Silhouette entsteht. Der
große Unterbau, der architektonisch von dem Ok
togon nicht zu trennen ist, verschwimmt, die Figur
des Herkules wird unkenntlich, und über dem
Kamm des Waldes erhebt sich ein plumpes Vier
eck, aus dem ein unverhältnismäßig spitzer Auf
satz herausragt. Das Riesenschloß ist aber — wie
die ganze Barockkunst — nicht auf Silhouetten
wirkung eingestellt. Der Grundriß des Oktogons,
der keine reine Frontalansicht gestattet, sondern
stets Schrägstellung der Seitenflügel erzwingr,
die abwechslungsreichen Binnenformen weisen da
rauf hin, daß es lediglich auf Licht- und
Schattenwirkungen ankommt. Anders wä
ren die großen schwarzen Fenster- und Toröffnun
gen in einem Frontbau, der den Blick abschließen
soll, künstlerisch nicht zu rechtfertigen. (Man ver
gleiche das offene Mitteltor zur Orangerie, das die
Front gewaltsam aufreißt und als gähnendes Loch
empfunden wird!)
Auch die Kaskaden brauchen Sonne, Licht- und
Schattenkontraste. Doch hier schafft die notwendige
Begrenzung des Blickfeldes ein lineares Gegen
gewicht. Das Auge sieht nicht nur helle und
dunkle Massen, sondern findet in der Umrißlinie
einen Wegweiser. Die Bearbeitung der Baum
gruppen zwischen Bowlinggreen und Neptungrotte
im Naturparkstil und die Fällung der hohen Kas
kadentannen haben die Konturen der ursprüng
lichen Anlage verwischt. Aber die N i k k e l e n -
scheu Entwurfsbilder (im hiesigen Naturalien
museum und in Wilhelmsthal), auf denen eine
rampenartige Einfassung den ganzen Bau um
rahmt, zeigen, wie wichtig die Scheidung für den
Barockkünstler ist: hier Kunst — dort Natur.
Immerhin bleiben die pittoresken Formen der
Kaskaden für den Aufblick unsichtbar, und die sche
matische Wiederholung nimmt ihnen ihre Selbst
ständigkeit. Die Teile haben keine Geltung. Das
Ganze soll nicht nur mittelbar als Stileinheit
empfunden, sondern unmittelbar als optische Ein
heit gesehen werden.
Nach diesem Grundsatz wird die schwere Auf
gabe gelöst, einen mehreren hundert Meter hohen
Berg architektonisch zu bewältigen. Die Terrasse,
wie sie die Renaissance geschaffen hat, gleicht
Höhenunterschiede aus, indem sie mehrere hinter
einander gelegene selbständige Ebenen anlegt. Da
durch wird aber bei großen Dimensionen die Kon
zentrierung auf das Ganze unmöglich. Die Guer-
nierosche „Delineatio montis“ geht von dem ent
gegengesetzten Prinzip aus. Eine riesenhafte Per
spektive reißt Vorder- und Hintergrund zu un
geheurer Tiefenwirkung zusammen. Seitliche
Ausbuchtungen — die Neptunsgrotte, die Pluto
grotte — sollen nur die langgestreckte Grenz