Full text: Hessenland (30.1916)

alten Stadt war nicht angestrebt. Man verzichtete 
sogar darauf, Festungswerke anzulegen, weil man 
befürchtete, daß eine Vorfestung der Hauptfestung 
mehr schaden als nützen könne. 
Außerordentlich interessant war eine vorgeführte 
Ansicht der Oberneustadt mit den zum Wohnhaus 
deK jetzigen kommandierenden Generals gehörenden, 
mit diesem durch einen Tunnel verbundenen Berg 
gartenanlagen. Hier sehen.wir auf dem jetzigen land 
gräflichen „Bellevuepalais" statt .der Mansarde noch 
eip flaches Dach mit Balustrade und aufgesetztem 
Tempel. Es war die alte Astronomie von Kassel. Als 
dieses Observatorium später verlegt wurde, wurde, 
um das Haus mehr zu Wohnzwecken auszunutzen, 
die Plattform und der kleine Tempel beseitigt; im 
Treppenhaus sind aber noch jetzt die Ochsenaugen 
zu- sehen,, durch die seinerzeit die großen Fern 
rohre durchgesteckt waren. Sehr lehrreich war so 
dann die Vorführung des Stadtplans von. Leopold 
aus 1757. Später wurde dann, wie an einer 
Anzahl von Plänen gezeigt wurde, der Friedrichs 
platz das Bindeglied zwischen der alten Stadt, und 
der .Oberneustadt. Einer, der interessantesten. Pläne 
für die Baugeschichte unserer deutschen Städte ist 
der außerordentlich geistreiche, kürzlich aufgefundene 
Plan, - der zwei am landgräflichen Hofe lebende 
Franzosen, de Paige und- Dumont, zu Verfassern 
hat. Er ist einer der vollkommensten städtebau 
lichen Pläne des Barock und es ist zu bedauern, 
daß. dieser Plan mit seinen großartigen Platz 
anlagen nicht zur Ausführung gekommen ist. In 
ähnlicher Weise befaßt sich ein Plan S. L. Du Rys 
von 1768 mit der Erweiterung der Stadt, und 
zwar in der Oberneustadt. Er geht sogar weit über 
den Plan der beiden Franzosen hinaus, aber be 
gnügt sich mit einem einzigen großen Platz. Du Ry 
löst die Platzfrage dadurch, daß er in die Kreuzung 
der Straßen jedesmal Plätze legt. Neu waren so 
dann zwei Ansichten des 1766 von Du Ry ge 
schaffenen, nach dem Schwedenköuig Landgraf. 
Friedrich L. benannten Königsplatzes. Der Königs- 
Platz wies ursprünglich einen Ring von Steinen 
auf, der . sämtliche Steinarten Hessens besaß. An 
diesem Platz entstand 1767 das von Diede erbaute, 
jetzt durch das hessische Bankhaus ersetzte Palais 
Hessen-Rotenburg, 1770 das sog. Ganssche Haus 
des Bildhauers Nahl und bas Haus des Ministers 
von Schliessen (König von Preußen), 1771 an 
Stelle der jetzigen Post das alte Postgebäude, in 
dem Goethe wiederholt übernachtete, und 1792 an 
Stelle des jetzigen Schulischen Kaufhauses das auf 
dem alten Festungsgraben und deshalb aus Fach- 
werk errichtete Hallengebäude. In der Mitte des 
Platzes war ursprünglich ein Standbild Fried 
richs I. vorgesehen, später eine Säule, Pyramide 
oder Obelisk. 1813 wurde dort eine Statue Napo 
leons, angeblich von Canova, enthüllt, die aber 
schon ein Jahr später von den Kosaken zerstört 
wurde und sich jetzt im Landesmuseum befindet.*) 
An der Hand trefflicher Lichtbilder unternahmen 
die Zuhörer sodann einen kleinen Rundgang durch 
die Oberueustadt. Der Blick in die Georgenstraße 
könnte durchaus den Ausschnitt eines französischen 
Städtchens darstellen, und auch die Kirche ist so 
französisch, daß sie sogar noch Reminiszenzen an 
die Gotik enthält. Das jetzige Breithauptsche Haus 
mit sehr interessanten Stukkaturen im Innern war 
das alte Hospital der Franzosen, noch heute an 
der Taube, dem Symbol des heiligen Geistes, er 
kenntlich. Der Charakter des französischen Hauses 
ist Einfachheit und Bescheidenheit; es ist alles 
vermieden, was nach Kunst aussieht. Die Dächer 
sind auf das Mindestmaß herabgedrückt, und über 
all sieht man das.Schema der französischen Häuser, 
die Dreiteilung. Nur das Portal ließen sich die 
Franzosen nicht nehmen. Mehr aus dem Rahmen 
heraus fällt das Palais des Ministers Waitz von 
Eschen, der dem Landgrafen bei einein Gastmahl 
versprochen hatte, hier einen besonders schönen Bau 
zu schaffen. Waitz übertvarf sich übrigens später 
mit dem Landgrafen, ging in preußische Dienste 
und starb 1776 als Minister Friedrichs des Großen. 
Als Architekt des Hauses' gilt Du Ry, der es 
meisterhaft verstanden hat, mit diesem Palais, das 
die größte Ähnlichkeit mit dem Wilhelmsthaler 
Schloß aufweist, dem .Opernplatz einen hervor 
ragend schönen und symmetrischen Abschluß zu 
geben. Die Tradition schreibt auch das Haus des 
Malers I. A. Naht Du Ry zu. Dieses letzte 
Haus in Rokoko hat im Innern noch reiche Wand- 
und Deckenmalereien, die Szenen aus der antiken 
Geschichte darstellen. Die jetzige Besitzerin, Frl. 
v. Griesheim, läßt es sich angelegen sein, das 
Erbe in pietätvoller Weise zu erhalten. Die Front 
zeigt als Verzierung allerhand Malerembleme. 
Als Bekrönung befanden sich auf den Seiten 
giebeln ursprünglich Putten, die 1797 durch Vasen 
ersetzt wurden. Das Haus des Bildhauers Nahl, 
angeblich von Du Ry, am Königsplatz entstand 
1770. Der Stukkateur I. M. Brühl gab dem 
Haus, wohl nach Angaben Nahls, den äußeren 
Stuck (Putten, Fruchtkorb mit den beiden Ka 
ryatiden usw.). Auch im Innern befinden sich 
noch reiche Stückarbeiten (Decken, Engelsköpfe, 
Ofennischen, Supraporten). 
Daß sich auch an dm Grundrissen der fran 
zösischen Häuser Klarheit und Einsachheit offen 
bart, zeigt Redner an einer Reihe von Plänen. 
* 
‘) Abbildung im „Hcssenland" 1914, S. 295.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.