„Es muß aber doch nicht alles auf der Welt
einen praktischen Zweck haben", fiel Maria ein.
„Ich finde die Anlage prachtvoll. Sie kommt
mir vor wie ein Gedicht, das man beim ersten
Lesen nicht recht versteht."
„Ein Gedicht," nickte Heinz zustimmend, „das
ist die richtige Bezeichnung. Sie waren gewiß
auch in der Kapelle. Der Fürst, der sie sich zum
Ruheplatz erkoren, stand auf einer Zeitenwende.
Der unerschütterlich am Alten, Feudalen hängende
Herr verschloß der gewaltsam über ihn herein-
brechenden neuen Zeit sein Herz. Dieser Trotz
kommt deutlich in der mittelalterlichen Feste zum
Ausdruck. Aber das Rad der Zeit hielt er nicht
auf. Er mußte es erleben, wie alles Festgeglaubte
abbröckelte, stürzte. Davon redet das Ruinenhafte."
Dankbar schaute Maria an Heinz empor: „Nun
versiehe ich auch den schlafenden Ritter über der
Gruft", fügte sie hinzu.
„Ich finde, hier oben weht überhaupt so eine
kriegerische Lust, vom Schloß herauf bis zu dem
Keulenschwinger", begann Martha.
„Da haben Sie nicht unrecht", nahm Heinz
wieder das Wort, der sich jetzt in seinem Fahr
wasser fühlte. „Bis zu den Pforten des Riesen
schlosses brandeten die Wogen des siebenjährigen
Krieges, als eines Tages Franzosen die Kaskaden
gegen tapfere Bergschotten stürmten. Und da
unten auf der Schlohterrasse jagten die kriegerischen
Ereignisse nur so einander. Drei Kronen rollten
im Sande: eine Kurfürstenkrone, eine Königs
krone und eine Kaiserkrone. Übrigens entsandte
von hier aus unser Kaiser seinerzeit den Grafen
Waldersee nach China. Hier empfing er auch
seinen stieben' Gnkel Eduard, der uns die Welt
auf den Nacken hetzte."
„Ich fürchte, der Gnkel Eduard geht zur Zeit
wieder um", fiel Martha ein.
„Meinen Sie wirklich, England würde sich
Serbiens wegen in einen Krieg stürzen? Ich kann's
nicht glauben. Sie sollen einmal sehen, in letzter
Stunde wird es schon das Schlimmste zu ver-
hindern wissen. England braucht Frieden so gut
wie wir"st beschwichtigte Fritz.
„Gb es für Rußland überhaupt noch ein Zurück
gibt, scheint mir fraglich", entgegnete Heinz.
„Aber wir wollen uns doch durch das Säbel-
geraffel den Tag nicht verderben lassen", lenkte
Fritz in heiterem Tone ein und suchte Marthas
Augen.
Die weilten schon geraume Zeit auf der Schloß
terrasse, wo inzwischen ein Auto vorgefahren war.
Das nahm nun aller Aufmerksamkeit gefangen.
Lakaien gingen ab und zu. Dann kam es wie
aus einem Munde: „Die Kaiserin!"
Man starrte sich an. Das bekannte Signal
tönte gedämpft herauf. Das Fahrzeug schwand
unter dem Bogen. Die Standarte sank von der
Kuppel. Jeder fühlte das, hier fuhr der Friede
davon.
Nun ging die Rede von dem, was kommen
mußte, wenn der Krieg zur Tat würde.
Martha sprach von Brüdern und Schwägern,
die der Kaiser begehrte. Heinz hatte sich am
fünften Mobilmachungstage zu stellen. Fritz war
für die Krankenpflege vorgemerkt. Maria stand
allein in der Welt. Fast neidisch hörte sie zu.
Sie würde Schwester werden, sagte sie stolz.
Ein Nebelschleier nahm den Dingen des Tales
ihre Deutlichkeit. Das bange Schauen nach innen
schlug sie tot. Wozu war man eigentlich herauf
gestiegen? Hinab, hinab drängte die Fülle schwerer
Gedanken.
In einem Torbogen hielt es Heinz fest. Sein
Blick flog zum Riesenbilde empor. Der Riese
Deutschland wird seine Keule, auf der er fast ein
halbes Jahrhundert geruht, erheben. Seine ge
sammelte Kraft wird kund und offenbar werden.
Es durchzuckte seine Glieder vor Erregung. Er
reckte sich frohmutig. Mit geballter Faust folgte
er treppab: „Nun geht's in den Kampf!"
Am Fuße des Riesenschlosses hatten sich Gruppen
gebildet. Die Kriegserklärung werde stündlich
erwartet.
Maria sah nach der ühr. üm drei wollte sie
in der nahen Wirlschaftshalle einen Bekannten
treffen. Gb die Herren Lust hätten, mit hinüber
zugehen. Es sei ein Forstmann, mit dessen Familie
sie befreundet wäre.
Da kam schon der Grünrock um die Ecke.
Heinz fuhr zusammen. „Ach Gott, das ist ja — “
Maria wollte vorstellen.
„Wir kennen uns", sagte der Oberförster und
reichte Heinz die Hand.
„An Sie hätt' ich nicht gedacht", kam's ver
legen von Heinzens Lippen.
„Hab' mir schon von weitem Gedanken gemacht,
welche Beziehungen Sie wohl zu Fräulein Maria
haben könnten." Der Forstmann sagte das scherz-
hast, und ein Lachen lohnte ihn.
Dann wurde von gestern und heute erzählt.
Die sich so unerwartet gefunden, begannen ge
meinsam in Spangenberg verlebte Stunden vor
einander auszukramen. Im Festspiel der feiernden
Liebenbachstadt waren sie sich nahe gekommen.
Aber als eines Tages die Rede auf Bismarck
kam, wurden sie sich fremd.
Heinz, auf dessen Jugend der Reif der hessischen
Renitenz gefallen war, hatte in dem Eisernen Kanzler
einzig nur den Zerstörer der hessischen Selbständig