Heffenland
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 7. 30. Jahrgang. Erstes April-Hefi 1916.
Kasseler Bilderbogen aus der Revolutionszeit.
Mitgeteilt von. Dr. Joachim Kühn.
Den deutschen Zeitschriften vom Ende des 18.
Jahrhunderts ist es eigenartig genüg ergangen:
während sie von ihrer Generation verschlungen
wurden, sind sie heutzutage selbst in Fachkreisen
fast völlig verschollen und gelten jedenfalls für
wertlose „Tagesliteratur"; und doch enthalten sie
geschichtlich überaus wertvolle Materialien, die sehr
wohl eine bibliographische Durcharbeitung lohnen
würden und zum mindesten eine liebevollere Be
rücksichtigung verdienen, als bisher geschehen ist.
Daß jedenfalls für die Zwecke der engeren hessischen
Kulturhistorie in der periodischen deutschen Presse
der Revolutionszeit manches zu holen ist, veran
schaulichen die im folgenden aufgefrischten Kasseler
Schilderungen, die an Lebendigkeit und Interesse
nichts zu wünschen übrig lassen. Die eine stammt
aus dem 1798 er Maiheft des seinerzeit viel ge
lesenen „Journals des Luxus und der Moden",
das von F. I. Bertuch und G. M. Kraus geleitet
wurde und im Verlage des bekannten „Industrie-
Comptoirs" in Weimar erschien; die andere ist
dem 4. Stück eines kleinen, gänzlich verschollenen
Kampfblattes, dem „Neuen grauen Ungeheuer"
entnommen, das der fränkische Aufklärer A. G. F.
v. Rebmann 1796 bei Aloys Ritter in Altona
herausgab.*) Beide sind etwa zur selben Zeit ent
standen und runden einander vortrefflich ab; sie
mögen sich daher an dieser Stelle gegenseitig ver
vollständigen.
„So oft ich wieder ein paar Wochen in Kassel
verweile", hebt der Berichterstatter der Weimarer
Damenzeitschrift an, „fällt es mir ein, diese Stadt
mit einem schönen Weibe zu vergleichen, deren
eigene Reize sowohl als die Eleganz ihres Schmuckes
unsere Augen blenden, von deren Physiognomie
wir uns viel Genuß für Geist und Herz versprechen,
bei näherer Untersuchung aber uns getäuscht finden.
Dieser erste günstige Eindruck müßte im Steigen
erhalten werden; aber man empfindet gerade das
Gegenteil, man kann nicht umhin, wenn man so
fruchtlos in ihrer Unterhaltung den Geist, den alles
belebenden, sucht, sich zu erinnern, daß in der
Weiberwelt, in der Natur oder in der ganzen
menschlichen Gesellschaft nur selten verschiedenartige
Vollkommenheiten beisammen gefunden werden.
*) Der wunderliche Titel des Unternehmens knüpfte
an das in den 1780 er Jahren volkstümliche Magazin
„Das graue Ungeheur" an, das der gleichfalls aus
Franken stammende Demokrat Wilhelm Ludwig Weckhrlin
begründete.